Walscheids Neo-Profi-Blog

In Hainan viel Selbstbewusstsein und Motivation für 2017 geholt

Von Max Walscheid

Foto zu dem Text "In Hainan viel Selbstbewusstsein und Motivation für 2017 geholt"
Max Walscheid (Giant-Alpecin) | Foto: Cor Vos

04.11.2016  |  (rsn) - Das ist mein letzter Blog als Neo-Profi, und da die Saison mit ganz besonderen Momenten zu Ende ging, wird auch der Eintrag etwas länger. Viel Spaß schon mal beim Lesen!

Das letzte Mal habe ich mich im September nach auskurierter Lungenentzündung gemeldet. Damals hatte ich zwei Wochen Zeit, ehe es zum Münsterland-Giro ging. Wenig Zeit, aber ich konnte optimal trainieren und stand nach der Krankheit am 3.Oktober wieder das erste Mal am Start.

Das Rennen lief für uns gut, entscheidend ist in Münster in der Regel das Finale auf der kurvigen und mit Pflaster versehenen Schlussrunde durch Münster. Obwohl die Strecke bis auf ein wenig Windkante und den einen oder anderen Hügel nicht besonders schwer war, hatte ich zu kämpfen.

Nach 50 Kilometern merkte ich, dass die Beine schon schwerer wurden. Kein gutes Zeichen, wenn man deutlich über 200 Kilometer absolvieren musste. Letztlich konnte ich mich aber mit mehr Rennübersicht als Form Richtung Finale kämpfen und unsere Mannschaft noch einmal entscheidend vorfahren. Nachdem ich entkräftet ausscherte, krachte es hinter uns, wir kamen durch und John (Degenkolb) gewann das Rennen. Ein toller Wieder-Einstieg für mich und super, John wieder in Deutschland in Top-Form zu sehen! Spätestens als unter der Bus-Dusche auch meine Zehen anfingen sich zu verkrampfen, wusste ich, dass ich wirklich ans Limit gegangen war.

Jetzt hatte ich noch eine knappe Woche bis Paris-Tours und zweieinhalb bis zu meinem großen persönlichen Ziel, der Tour of Hainan. Ich erholte mich von Münster gut und trainierte hart mit Blick auf Paris-Tours. In Frankreich merkte ich schon, dass es deutlich besser lief als eine Woche zuvor in Deutschland.

Es standen gut 250 weitestgehend flache Kilometer an, ideales Training für China. Nachdem ich in Münster noch an viertletzter Stelle in unserem Sprintzug fuhr, rückte ich nun zur Anfahrer-Position auf. Eine Bestätigung für mich, dass Fahrer und Sportliche Leitung davon ausgingen, dass ich im Finale würde dabei sein können. Letztendlich klappte es auch gut, ich fuhr mit Zico (Waeytens), unserem Mann für den Sprint, am Hinterrad bis zur Flamme Rouge, wurde dann leider ungünstig eingebaut und konnte ihn nicht weiter bringen. Schade, denn Zico hatte noch einen guten Punch auf der Zielgeraden, kam aber von zu weit hinten. Ich war mit meiner Form sehr zufrieden, und nun stand noch eine letzte kurze Trainingsperiode bis Hainan an.

Auch diese konnte ich sehr gut nutzen, ich arbeitete viel im Kraftraum und mit intensiven Intervallen, für eine gute Grundlage war keine Zeit mehr. Und als ich kurz vor Beginn der Rundfahrt noch mit Johannes Fröhlinger durch den Schwarzwald und dort die Berge hochjagte, wusste ich, dass die Beine nicht allzu schlecht waren. Die Rundfahrt konnte kommen.

Mit dem ersten Interkontinental-Flug meines Lebens ging es nach China. Dort hatten wir drei Tage Zeit zum Akklimatisieren, ehe die Rundfahrt startete. Für uns ging es fast perfekt los, meine Teamkollegen setzten mich auf der ersten Etappe gut ab. Ich hatte den richtigen Instinkt für’s Hinterrad, der erste Profi-Sieg schien sicher, ehe ich ihn auf den letzten Metern selber verschenkte. Weil ich zu früh jubelte, schob Rafael Andriato noch sein Vorderrad an mir vorbei und ich wurde Zweiter. Es dauerte einige Zeit, bis ich mich gesammelt hatte. Ein sehr dummer Fehler, aber auch eine Lehre: Das wird mir so vermutlich nicht mehr passieren.

Auch die 2. Etappe lief vernünftig. Astana übertölpelte das Feld, indem sie sich auf dem letzten Kilometer mit zwei Mann absetzen konnten und den Sieg unter sich ausmachten. Ich sprintete früh los, um die beiden noch einzuholen. Das war allerdings unmöglich und zudem wurde ich noch von Roberto Ferrari überholt: Platz vier.

Die Form stimmte eigentlich und ich war mir sicher, dass es mit dem Sieg klappt, wenn wir als Team alles zusammen bringen: Ab der 3. Etappe begann dann eine Siegesserie, die ich selber immer noch nicht ganz fassen kann. Ich gewann alle verbleibenden fünf Sprintetappen und davon die ersten drei in Serie.

Auf der 3. Etappe feierten wir den ersten Sieg. Nachdem wir zunächst zu spät dran waren, fuhren mich meine letzten beiden Helfer Johannes und Bert unfassbar gut vor, ich hatte die nötige Ruhe und gewann. Nun hatten wir den ersten Sieg und gleichzeitig noch Gelb und Grün.

Auf den Etappen vier und fünf konnten wir wieder gewinnen und die Trikots verteidigen. Mit der 6. Etappe ging es in die Berge. Vielleicht kann ich bei einer solchen Rundfahrt in Zukunft durch die Sekunden-Bonifikationen auch einmal in der Gesamtwertung bestehen, an diesem Tag musste ich aber deutlich die Stärke der anderen am Berg anerkennen. Tom – Stammie - Stamsnijder brachte mich aber vorbildlich und kraftsparend ins Ziel. Wir verloren Gelb, behielten jedoch Grün.

Die 7. Etappe war ein Meisterstück der Teamarbeit. Nachdem nun praktisch kein Team mehr mit uns arbeiten wollte, mussten wir die Gruppe alleine zurück holen. Vier meiner Teamkollegen fuhren sich die Seele aus dem Leib, holten tatsächlich die starke Gruppe ein, so dass wieder gesprintet wurde. Im Finale waren wir bei insgesamt sieben Startern pro Team folglich nur noch zu dritt, fuhren aber wieder extrem geschlossen. Bei Gegenwind wartete ich lange genug und sprintete auf den letzten Metern an Brenton Jones vorbei zum vierten Sieg.

Diese Etappe machte mich unfassbar stolz, wir hatten es geschafft, mit einem unglaublichen Willen einen Sprint zu erzwingen, jeder gab sein Maximum und am Ende haben wir wieder gewonnen. Unfassbar! Auf  Etappe acht ging es wieder in die Berge: diesmal mehrere Bergwertungen, allerdings keine der 1. Kategorie. Vor der Etappe hatten wir eigentlich ausgeschlossen, dass ich ein Finale fahren sollte. Nachdem ich mich aber am ersten Anstieg, der das Finale einläutete, gut halten konnte, versuchte ich es doch. Ich war ziemlich am Limit, verlor allerdings den Kontakt und auf der Kuppe war die Lücke zu groß. Knapp, aber es hat nicht gereicht. Dennoch war ich im Nachhinein zufrieden. Es war auch ungewohnt, wieder wie zwei Tage zuvor mit Stammie einen Fahrer an meiner Seite zu haben, der nur dafür da war, mich zu unterstützen. Wahnsinnig motivierend!

Mit der 9. Etappe ging die Rundfahrt zu Ende und sie sollte mit einem erneuten Sprint enden. Es wurde extrem intensiv gefahren, da die Etappe auf Grund von monsunartigem Regen und daraus resultierenden Überschwemmungen auf genau die Strecke von 88 Kilometern der 1. Etappe verkürzt wurde. Nachdem wir auf der 7. Etappe mit Willen und trotz taktischer Fehler gesiegt hatten, machten wir es zum Finale auch noch mit einer fehlerfreien Nachführarbeit und dem besten Leadout der Rundfahrt taktisch perfekt: Korrektur der 1. Etappe, Sieg Nummer fünf und Sieg in der Gesamt-Sprintwertung.

Für mich ist es unglaublich, auf diese Art und Weise die Saison zu beenden. Nicht nur durch die Anzahl der Siege, sondern auch durch die Art und Weise, wie wir sie herausfuhren. Das Team hat absolut alles füreinander und für mich gegeben. An Position 20 zu fahren und zu sehen, wie die Teamkollegen an der Spitze auf dem Zahnfleisch fahren, um die Gruppe zurück zu holen, hat mich nicht beängstigt,im Sprint zu versagen, sondern moch motiviert, es der Konkurrenz richtig zu zeigen und das Team für diese Schwerstarbeit zu belohnen. Auch abseits der Rennstrecke hatten wir eine super Atmosphäre. Ich konnte noch einmal viel Selbstbewusstsein und Motivation für 2017 sammeln, ich möchte da weiter machen, wo wir in China aufhörten.

So geht also die Achterbahnfahrt meiner ersten Profi-Saison zu Ende und ich genieße jetzt die Winterpause. Ich möchte mich bei allen mir nahestehenden Menschen bedanken, die mich unterstützt haben. Es war teilweise nicht einfach, aber ich habe den Glauben nicht verloren.

Vielen Dank für das Interesse,

Max

 

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