Dopingkontrollen sorgen bei der DM für Ärger

Bitte warten! Wenn die Sportler Schlange stehen...

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Bitte warten! Wenn die Sportler Schlange stehen..."
Dopingkontrolle. | Foto: Cor Vos

30.06.2015  |  (rsn) - Um 19:30 Uhr konnte Frau Dr. Sperveslage endlich mit dem Zusammenpacken beginnen. Die Proben aller 20 an diesem Sonntag zu testenden Athleten und Athletinnen waren genommen, ein schrecklich unangenehmer Tag ging dem Ende entgegen. Schrecklich unangenehm? Ja, denn Sperveslage hatte es nach den Deutschen Meisterschaften in Bensheim mit ziemlich schlecht gelaunten Sportlern zu tun. Nicht, weil sie alle verloren hätten, sondern weil es nach dem Rennen Stunden dauerte, bis sie nach Hause fahren durften. Was war passiert?

Rund dreieinhalb Stunden, bevor in der Halle der Geschwister-Scholl-Schule in Bensheim Feierabend war, hatten André Greipel und John Degenkolb den Raum der Dopingkontrolle bereits zum ersten Mal verlassen, und der gerade entthronte ehemalige Deutsche Meister Greipel erklärte: „Meine letzte Blutabgabe war gestern um 21 Uhr. Ich glaube, es macht nicht so viel Sinn, heute dann wieder zu testen. Aber wir müssen jetzt zwei Stunden warten, bis ich meine Blutprobe abgeben darf. Ich kann mir den Sonntag besser vorstellen."

Zwei Stunden? Ja, denn die NADA hatte erstmals nach einem Wettkampf Kontrollen für den Biologischen Athletenpass angesetzt - und die dürfen gemäß der „Operating Guidelines" der WADA sowie Anhang E.3.5 des „Standard für Dopingkontrollen und Ermittlungen" der NADA erst zwei Stunden nach einer körperlichen Belastung wie Training oder Wettkampf genommen werden. Eine Begründung für diese Wartezeit liefern beide Regelwerke nicht. Es dürfte wohl daran liegen, dass die Blutwerte in vergleichbaren Situationen entstanden sein sollen.

Bei einer Trainingskontrolle zuhause ist das Warten weniger problematisch, es kostet lediglich Freizeit. Nach einem Wettkampf, nach dem einige Sportler Flüge gebucht oder zumindest eine lange Heimreise im Mannschaftswagen vor sich haben, sieht das etwas anders aus. In Zukunft muss für Heimflüge wohl ein zweistündiges Extrapolster eingeplant werden, um Stornokosten zu umgehen. Und die Teamkollegen leiden mit, wie etwa am Sonntag bei Bora-Argon 18, als Emanuel Buchmanns Mannschaftskameraden um 19 Uhr ungeduldig zur Dopingkontrolle kamen, um den Ravensburger endlich abholen zu können - mit einem Döner im Gepäck. „Der Deutsche Meister bekommt einen Hungerast bei der Dopingprobe", scherzte Dominik Nerz.

„Für mich ist das eine ganz neue Situation, das habe ich noch nie so erlebt", sagte Degenkolb, der als Frankfurter immerhin das Glück hatte, nicht bis spät am Abend im Auto sitzen zu müssen, beim ersten Verlassen des Kontrollraums. „Ich habe kein Problem damit, eine Dopingkontrolle abzugeben, aber ich glaube ein bisschen Würde ist schon gewünscht. Ich möchte jetzt gerne mal duschen."

Ob Degenkolb, der während der zwei Stunden zwischen der Abgabe seiner gewohnten Urin- und ersten Blutprobe sowie der zweiten Blutprobe für den Athletenpass natürlich ständig unter Beobachtung eines Chaperons stehen musste - und diesen mit seiner schlechten Laune ebenfalls zur Weißglut brachte - zum Duschen kam, ist nicht bekannt. Jedenfalls aber machte er sich gegen 18 Uhr erneut auf den Weg in die Sporthalle - genau wie die anderen für den Athletenpass-Test ausgewählten Sportler Greipel, Marcel Sieberg und Fabian Wegmann. Einige Stunden zuvor hatten auch Lisa Brennauer und Trixi Worrack dieselbe Prozedur über sich ergehen lassen müssen.

Doch die ungewohnten Tests waren nicht der einzige Grund für die schlechte Laune bei den Sportlern, denn damit konnten sie sich nach Erläuterung des Regelwerks noch anfreunden. Viel kritischer sahen sie die Besetzung der Dopingkontrolle mit nur einer Ärztin bei 20 Testpersonen - allein zwölf nach dem Männerrennen. Dadurch entstand ein Stau und man traf beim Dopingkontrollraum selbst zweieinhalb Stunden nach Rennende noch auf diverse Fahrer, die gar nicht für den zeitverzögerten Athletenpass-Test ausgewählt waren - etwa Nikias Arndt oder Marcus Burghardt.

„Vier Athleten pro Arzt ist internationaler Standard, maximal fünf. Sechs wären vielleicht in Ausnahmefällen machbar - aber zwölf auf eine Ärztin? Das ist unmöglich", sagte Stölting-Teamchef Jochen Hahn zu radsport-news.com. Die Ärztin sei sehr kompetent gewesen und habe keine Schuld an den Verzögerungen - sie sei eben einfach allein gelassen worden. Sperveslage selbst erklärte radsport-news.com offen und ehrlich, man habe die Situation gemeinsam mit der NADA unterschätzt.

Was sie vor Ort erkannte, gestand man sich in der NADA-Zentrale in Bonn aber auch zwei Tage danach nicht ein. „Die Wettkampfkontrollen im Radsport verteilen sich ja über den ganzen Tag. Da eine Blutkontrolle in relativ kurzer Zeit abgenommen werden kann, müsste das Kontrollpersonal vor Ort ausreichend gewesen sein", antwortete man radsport-news.com per eMail auf die Frage, wieso nur eine Ärztin in Bensheim war.

Auf eine zweite Nachfrage, wie die NADA die Zahl der Kontrolleure festlegt und ob die finanziellen Mittel nicht ausreichen, um mehr zu schicken, kam nur folgender Satz: „Aufgrund der unterschiedlichen Zeiten der Wettbewerbe hat das Kontrollpersonal für die Blutkontrollen ausgereicht."

Die NADA, die die Tests im Radsport bei nationalen Wettbewerben erst diese Saison vom Verband übernommen hat, steckt in einem Lernprozess. Das macht die wohl von Bahnrennen stammende Einschätzung deutlich, dass sich Wettkampfkontrollen im Radsport auf den ganzen Tag verteilen würden. In Bensheim aber waren es acht Frauen und zwölf Männer, die zu lediglich zwei unterschiedlichen Zeitpunkten ihre Rennen beendeten, um anschließend zum Dopingtest zu kommen.

„In der Tat liegt die Zahl der Kontrollen höher als bisher", erklärte man aus Bonn. „Im neuen WADA-Code bzw. einem entsprechenden Technischen Dokument sind die Anforderungen an die Kontrollen in Qualität und Quantität für jede Sportart klar festgelegt. Die Anforderungen sind gestiegen. Die NADA, die seit diesem Jahr die Wettkampfkontrollen übernommen hat, setzt diese Regeln um."

In Sachen Kontrollumfang gelang das gut, nur die Einschätzung des benötigten Personals ist wohl danebengegangen. Hahn ist sicher: „Die NADA macht das aus Kostengründen. Aber da darf man nicht auf dem Rücken der Sportler sparen. Das ist unzumutbar und geht letztendlich auf die Gesundheit der Sportler." Es ist dünnes Eis, auf dem sich Athleten und ihre Betreuer bewegen, wenn sie sich kritisch über Dopingkontrollen äußern - gerade im Radsport. Und jeder Befragte sagte deutlich, er fände es ja gut, dass viel getestet wird. Doch die Art und Weise gefiel in Bensheim niemand.

Fragen warf bei den Deutschen Meisterschaften auch die Auswahl der Testpersonen auf. So wurden nach dem Einzelzeitfahren am Freitag weder die Deutsche Meisterin Mieke Kröger noch die beiden Besten der U23, Lennard Kämna und Nils Politt, zur Kontrolle gebeten. Bei Stölting sorgte das für Verwirrung, man vermisste die Chaperons förmlich, als Kämna und Politt für die ersten Siegerfotos am Teamfahrzeug posierten. „Ich habe in 20 Jahren noch nie erlebt, dass der Meister nicht getestet wurde", so Hahn.

Immerhin: Am Sonntag nach dem Straßenrennen durfte auch Kämna dann Blut und Urin abgeben, wie laut Hahn zuvor bereits bei diversen Bundesliga-Rennen in dieser Saison. „Bei Dopingkontrollen ist das Wichtigste, dass sie unberechenbar sind", erklärte die NADA per Email. „Es kann also auch durchaus einmal sinnvoll sein, andere als den Sieger zu testen."

„Intelligentes Testen" ist der Titel, unter den unberechenbare Dopingkontrollen fallen, und dazu gehört auch die sporadische Häufung von Tests - offensichtlich gerade vor Großereignissen wie der Tour de France. Degenkolb wurde vor dem Doppeltest am Sonntagnachmittag bereits am Freitagmorgen zuhause von einem Dopingfahnder besucht und Greipel berichtete am Sonntag, die Kontrolle nach dem DM-Rennen sei sein dritter Test in 32 Stunden. Am Montagmorgen um 7 Uhr folgte ein Tweet: Kontrolle Nr. 4 in dann 47 Stunden.

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

05.07.2015Denz hängt an die Hitzeschlacht noch eine Stunde Training dran

(rsn) – Eine Rennverkürzung um zwei Runden von 182 auf 154 Kilometer, nur 39 der 107 gemeldeten Fahrer im Ziel und das mit großen Zeitabständen: Die Detschen U23-Meisterschaft im nordbadischen Br

05.07.2015Politt sichert sich in Zeitfahrermanier den Straßentitel

(rsn) - Die Titelverteidigung bei den U23-Zeitfahrmeisterschaften vor neun Tagen hat Nils Politt (Team Stölting) verpasst. Dafür sicherte sich der 21-jährige Kölner am Sonntag in Bruchsal in beste

05.07.2015Bei 40 Grad ist ein kühler Kopf gefragt

(rsn) - Eine Woche nach der Straßen-DM in Bensheim werden am Sonntag gut 50 Kilometer südlich im nordbadischen Bruchsal die Deutschen U23-Meisterschaften im Straßenrennen ausgetragen. Die 14 Kilom

30.06.2015Geradeaus Weltklasse!

Adelheid Schütz ist eine der schnellsten Radfahrerinnen in Deutschland, aber wirklich Rad fahren kann sie nicht. Sie mag es nicht, sich mit anderen Radfahrern in einem Feld zu bewegen und vor allem m

29.06.2015Sieberg: Ohne Klassementfahrer bessere Chancen in den Sprints

(rsn) – Der Kurs der Deutschen Meisterschaften in Bensheim stellte sich für Marcel Sieberg (Lotto Soudal) am Ende als um einen Tick zu schwer heraus. Dies hatte der 33-Jährige allerdings bereits v

29.06.2015Buchmann: Klettertalent mit Rundfahrerqualitäten

(rsn) - Emanuel Buchmann ist seit Martin Reimer im Jahr 2009 der erste Fahrer, der gleich in seinem ersten Profijahr die Deutschen Straßenmeisterschaften gewann. Der 22-jährige Ravensburger deutete

29.06.2015Sachse: „Bei optimiertem Training wäre ich drei Minuten schneller"

(rn) - Der Zeitsoldat René Sachse ist aktueller thüringischer Landesmeister im Einzelzeitfahren. Damit hatte er sich für die Deutschen Meisterschaften in dieser Disziplin in Einhausen qualifiziert.

29.06.201520.000 Zuschauer verfolgten Buchmanns Siegesfahrt in Bensheim

(rsn) – Rund 20.000 Zuschauer haben am Sonntag die Meisterschaftsrennen der Männer und Frauen in Bensheim an der Strecke verfolgt. Das teilten die Organisatoren der nationalen Titelkämpfe am Monta

28.06.2015Mit Greipel und Degenkolb wollte keiner fahren

Bensheim (rsn) - Geteiltes Leid ist halbes Leid! Einträchtig miteinander redend, radelten John Degenkolb (Platz 16/Giant-Alpecin) und André Greipel (Platz 18/Lotto Soudal) nach dem Zieleinlauf der

28.06.2015Gerdemann: „Greipel und Degenkolb hatten ihre Privatfehde"

(rsn) - Alles probiert, aber am Ende leer ausgegangen: Diese Bilanz traf im Meisterschaftsrennen von Bensheim auf mehr als eine Handvoll Fahrer zu. Auf dem selektiven Rundkurs jagte eine Attacke die n

28.06.2015Buchmann macht seinen Teamchef Denk sprachlos

(rsn) – Mit Emanuel Buchmann (Bora-Argon 18) gewann zwar ein Außenseiter die Deutschen Straßenmeisterschaften von Bensheim. Der Erfolg des 22-jährigen Ravensburgers kam aber nicht von ungefähr.

28.06.2015Buchmann setzt auf das I-Tüpfelchen noch einen drauf

(rsn) – Das Deutsche Meistertrikot wird auch in diesem Jahr bei der Tour de France zu sehen sein – allerdings nicht auf den Schultern von arrivierten Stars wie André Greipel (Lotto Soudal) oder J

Weitere Radsportnachrichten

18.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wie geht´s zum Liveticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morgen

18.04.2024TotA-Sturz: Harper kommt mit leichter Gehirnerschütterung davon

(rsn) – Entwarnung für Chris Harper: Der Australier von Jayco – AlUla ist bei seinem Sturz rund 25 Kilometer vor dem Ziel der Königsetappe der Tour of the Alps ohne schlimmeren Verletzungen dav

18.04.2024Die Aufgebote für das 8. Lüttich-Bastogne-Lüttich der Frauen

(rsn) – Mit der 8. Ausgabe des Lüttich-Bastogne-Lüttich der Frauen endet die Ardennenwoche. Während das Männerrennen von Lüttich aus nach Süden zum Wendepunkt in Bastogne und von dort wieder z

18.04.2024Die Aufgebote für das 110. Lüttich-Bastogne-Lüttich

(rsn) – Zum krönenden Abschluss der sogenannten steht am 21. April die 110. Ausgabe von Lüttich-Bastogne-Lüttich an. La Doyenne, wie das 1892 erstmals ausgetragene und damit älteste Eintagesrenn

18.04.2024Steinhauser: Giro-Test mit Prädikat sehr gut

(rsn) – Den Feinschliff für sein Grand-Tour-Debüt holt sich Georg Steinhauser (EF Education – EasyPost) derzeit bei der 47. Tour of the Alps (2.Pro). In wenigen Wochen geht es für den Allgäue

18.04.2024Belgrade Banjaluka: Ausreißer Albrecht zum Auftakt Zweiter

(rsn) – Zum Auftakt von Belgrade Banjaluka (2.2) hat das Team P&S Metalltechnik – Benotti einen starken Auftritt hingelegt. Auf der 140 Kilometer langen 1. Etappe zwischen Belgrad und Bijeljina b

18.04.2024Auf der Königsetappe macht Carr die schwachen Tage vergessen

(rsn) – Mit einem Soloritt über rund 30 Kilometer hat sich Simon Carr (EF Education – EasyPost) die Königsetappe der 47. Tour of the Alps (2.Pro) gesichert. Der 25-jährige Brite setzte sich üb

18.04.2024Hartmann: Aus “nur durchkommen“ wurden 74 km an der Spitze

(rsn) – Elena Hartmann bekam ihre völlig durchnässten Handschuhe kaum mehr von ihren frierenden Fingern. Als die 33-Jährige vom Team Roland oben auf der Mur de Huy 5:41 Minuten nach Siegerin Kata

18.04.2024Extrembedingungen beim Flèche, aber kein Schlechtwetterprotokoll

(rsn) – Zwei Rennen unter Extrembedingungen hart an der Grenze des Schlechtwetterprotokolls der UCI bot der Flèche Wallonne am Mittwoch: Nachdem beim Start der Männer um 11:15 Uhr in Chareleroi no

18.04.2024Trotz wenig Schlaf: Benoot holt ein “exzellentes Ergebnis“

(rsn) – Vor dem Start des 88. Flèche Wallonne in Charleroi hatte Tiesj Benoot (Visma – Lease a Bike) noch mehr über die Geburt von Töchterchen Loes gesprochen, die am Abend zuvor zur Welt gekom

18.04.2024Lüttich-Bastogne-Lüttich im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(rsn) – Lüttich-Bastogne-Lüttich bildet traditionell den krönenden Abschluss der Ardennenwoche. La Doyenne, das älteste Eintagesrennen der Welt, ist mit seinen kurzen, teils extrem steilen Anst

18.04.2024Lopez: “Einer der härtesten Tage meines Lebens“

(rsn) – Die 3. Etappe der Tour of the Alps 2024 wird den Teilnehmern lange in Erinnerung bleiben. Zwar hatte der 124,8 Kilometer lange Abschnitt rund um Schwaz in Tirol nur wenig an Spektakel zu bie

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Belgrade Banjaluka (2.2, BIH)