Was macht eigentlich...Tim Klinger?

"Ich hatte immer mehr Fernweh als Heimweh"

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Tim Klinger im Cockpit Foto: Tim Klinger

22.11.2010  |  (rsn) - In der Serie "Was macht eigentlich...?" befragt Radsport News Ex-Profis über ihr Leben nach der Radsportkarriere. Diesmal steht der ehemalige Gerolsteiner-Profi Tim Klinger Rede und Antwort.

Sie haben im Jahr 2008 aufgrund einer hartnäckigen Knieverletzung Ihre Karriere beenden müssen. Was kam danach?

Klinger: Nach Beendigung meiner Radsportkarriere habe ich mich in die Ausbildung zum Verkehrspiloten gestürzt. Nachdem ich die vielen Prüfungen bestanden hatte, habe ich mich bei Condor beworben und konnte dort die schwierigen Einstellungstests erfolgreich beenden. Nach der Ausbildung auf der Boeing 757-300 fliege ich jetzt als Co-Pilot viele Urlaubsziele an, wie z.B. Ägypten oder die Kanarischen Inseln. In wenigen Monaten werde ich mit einer Boeing 767-300 Langstreckenziele wie Florida, Las Vegas, Alaska, Mauritius, Seychellen, Karibik, Malediven, etc. anfliegen. Das ist ein Traum für mich!

Wie sind Sie auf den Berufswunsch Pilot gekommen?

Klinger: Diesen Berufswunsch hatte ich schon, bevor ich überhaupt mit dem Radsport begonnen hatte. Schon als kleiner Junge hat mich die Fliegerei sehr interessiert. Für mich war das schon immer eine faszinierende Perspektive.

Welche beruflichen Ziele haben auf lange Sicht gesehen?

Klinger: Nun bin ich erst einmal sehr erleichtert, dass ich einen Job bei einer der besten Firmen bekommen habe. Die Ausbildung hat ein hohes Risiko mit sich gebracht, da die wirtschaftliche Situation sich natürlich auch besonders auf die Fliegerei ausgewirkt hatte und es nur wenige Chancen gab, einen Job zu bekommen. Diesen Erfolg möchte ich nun erst einmal genießen und auch im Privatleben viele Dinge tun, die in den letzten Jahren durch den Sport und die harte Piloten-Ausbildung zu kurz gekommen sind. Dann ist es aber gut möglich, dass ich schon in ein paar Jahren das Ziel "Kapitän" angehe.

Leben Sie noch in Freiburg oder sind Sie wieder in Ihre Heimatstadt Sprockhövel zurückgekehrt?

Klinger: Zuerst konnte ich in Emmendingen bei Freiburg wohnen bleiben, da ich in einer privaten Pilotenschule ausgebildet wurde, die in Stuttgart und auch Freiburg Zuhause ist. Wenn ich in Stuttgart war, habe ich bei Hans Holczer im ehemaligen Gerolsteiner-Lager oder bei Christian Neitzert, einem ehemaligen Physiotherapeut, übernachtet. Als ich bei Condor angenommen wurde, wurde ich in Frankfurt ein halbes Jahr auf die Flugzeuge spezialisiert. In dieser Zeit hatte ich ein kleines Apartment in Dreieich bei Frankfurt. Und jetzt geht es tatsächlich zunächst zurück nach Sprockhövel, da ich auf eigenen Wunsch in Düsseldorf stationiert werde.

Als Pilot kommt man wie als Radprofi auch viel in der Welt herum. Hat das bei Ihre Berufswahl auch eine Rolle gespielt?

Klinger: Ja, das Reisen und das Leben aus dem Koffer gefällt mir. Ich finde es einfach toll, unterwegs zu sein und immer wieder neue Dinge zu sehen, seinen Horizont zu erweitern. Auch wenn ich es im Elternhaus sehr gut hatte und ich mich auch in Emmendingen sehr wohl gefühlt habe, hatte ich doch eher immer mehr Fernweh als Heimweh.

Sie waren nicht mal 25, als Sie mit dem Radsport aufhören mussten. Bedauern Sie, dass Ihre Profikarriere so schnell vorbei war?

Klinger: Nein, das bedauere ich nicht. Vielleicht wird mir ein wenig das ständige Streben nach sportlichem Erfolg und das damit verbundene asketische Leben fehlen. Jetzt, da ich einen tollen Arbeitsplatz bekommen habe, weiß ich, dass es die richtige Entscheidung im richtigen Moment war.

Ist Ihre Verletzung die Sie zum Karriereende zwang, mittlerweile ausgeheilt?

Klinger: Da ich mich sportlich nicht mehr so stark belaste, kann ich die Frage eigentlich gar nicht beantworten. Beschwerden habe ich jedenfalls keine mehr.

Fahren Sie in Ihrer Freizeit noch Rad?

Klinger: Meine sportlichen Aktivitäten waren während und wegen der Ausbildung sehr bescheiden. Jetzt mache ich fast täglich ein kleines Fitnessprogramm und sitze auch öfter wieder auf dem Rad.

Wenn Sie heute die Wahl hätten: Würden Sie nochmals den Weg als Radprofi einschlagen?

Klinger: Eindeutig ja, denn es war großartig, in das Profigeschäft reingeschnuppert zu haben. Die Dinge, die man dadurch erleben kann, können nur sehr wenige Menschen erfahren. Eine sehr gute Erfahrung war es für mich auch, eine dreiwöchige Landesrundfahrt wie die Vuelta überstehen zu können. Auf der Königsetappe nach Andorra wurde ich 26. und auch nach drei Wochen noch mal 20. im abschließenden Zeitfahren. Es ist für mich persönlich schön zu wissen, dass eine solche Leistung auch ohne Steaks aus Spanien möglich war.

Stehen Sie noch in irgendeiner Verbindung zum Radsport?

Klinger: Ich bin Trainer von Michael Hümbert (Seven Stones), einem hoffnungsvollem Nachwuchstalent. Außerdem habe ich in den letzten eineinhalb Jahren aushilfsweise als sportlicher Leiter beim Team Seven Stones mitgewirkt.

Können Sie sich, irgendwann mal wieder im Radsport tätig zu sein?

Klinger: Ja, denn ich liebe den Radsport trotz des inzwischen schlechten Images immer noch.

Haben Sie noch im Kontakt zu ehemaligen Kollegen?

Klinger: Alleine durch das Team Seven Stones stehe ich noch manchmal im Kontakt zu den Rennern. Ansonsten telefoniere ich noch öfter mit Johannes Fröhlinger, Fabian Wegmann, Marcel Sieberg, Michael Rich und noch mit ein paar anderen hin und wieder. Für viele Treffen war bisher aber keine Zeit.

Sie haben Ende 2008 nach zwei Jahren bei Gerolsteiner aufhören müssen - gerade zu der Zeit, als das Team aufgelöst wurde und die Dopingfälle Schumacher und Kohl bekannt wurden. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Klinger: Die Dopingproblematik hat mich sehr belastet. Die Fälle im eigenen Team haben der Sache noch die Krone aufgesetzt. Auch mir wurde damals klar, dass der Radsport ein großes Problem hatte. Mit ein wenig Abstand bin ich mir aber heute sicher, dass es mehr ehrliche Profis gibt, als man glaubt. Und denen drücke ich heute am Fernseher die Daumen.

Im nächsten Jahr wird es kein ProTour-Team mehr in Deutschland geben. Wie sehen Sie die Situation im deutschen Profiradsport?

Klinger: Natürlich hat der Radsport in Deutschland gerade ein Tief. Die Medien und Sportinteressierten werden aber auch alle irgendwann merken, dass es in anderen Sportarten nicht besser oder schlechter ist. Deshalb wird sich der deutsche Radsport sicherlich auch wieder erholen. Und dann fiebern alle wieder mit dem nächsten deutschen Tour-Helden mit.

Wie beurteilen Sie Ihre Jahre bei Sparkasse, Wiesenhof und Gerolsteiner?

Klinger: Von Team Optik Delker als U23 Fahrer über das Team Sparkasse, Wiesenhof-Akud und bis zuletzt Gerolsteiner konnte ich mich von Jahr zu Jahr steigern. Es war eine großartige Erfahrung und Entwicklung, die letztendlich von Verletzungen gestoppt wurde.

Die Fragen an Tim Klinger stellte Matthias Seng.


Aufgrund einer hartnäckigen Sehnenverletzung im Knie musste Tim Klinger bereits mit 24 Jahren seine hoffnungsvolle Profikarriere beenden. Der mittlerweile 26-Jährige aus Sprockhövel galt als großes Rundfahrttalent mit Stärken am Berg. Klinger fuhr zunächst für die Teams Optik Delker, Sparkasse und Wiesenhof-Akud. Im Jahr 2007 wurde er Profi bei Gerolsteiner. In den beiden Jahren bei Gerolsteiner wurde er aber immer wieder von seiner Verletzung geplagt, so dass er sich Anfang 2009, nachdem er beim österreichischen Vorarlberg-Team unterschrieben hatte, dazu entschloss, seine Profikarriere zu beenden.

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