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24.09.2023 | (rsn) – Christophe Laporte ist Europameister. Der Franzose hat sich mit einem mutigen Angriff zwölf Kilometer vor dem Ziel des 199,8 Kilometer langen Rennens zum VAM-Berg die Gold-Medaille gesichert. Von dort nämlich fuhr er allein bis zum Zielstrich und konnte in der Schlusssteigung gerade so noch die heransprintende Konkurrenz in Schach halten. Wout van Aert wurde für Belgien vor dem niederländischen Kapitän Olav Kooij Zweiter, Arnaud De Lie (Belgien) landete auf Rang vier. Das Besondere daran: Alle drei Mann auf dem Podium stehen bei Jumbo – Visma unter Vertrag.
"Es ist noch schwer zu glauben. Das war ein verrücktes Finale", sagte Laporte im ersten Sieger-Interview freudestrahlend und erklärte sein Solo: "Ich habe mich gut gefühlt und mir gedacht: Okay, wenn ich zum Sprint gegen Leute wie De Lie und Wout komme, dann wird es schwer, zu gewinnen. Also habe ich es probiert – und es hat geklappt. Ich bin mit dem Herzen gefahren. Es ist schwer, ein solches Rennen vorherzusagen und ich habe nicht viel überlegt oder geplant, sondern es einfach versucht."
Widmen wollte Laporte den EM-Titel sowohl seinem Team und seiner Familie als auch Nathan van Hooydonck, seinem Jumbo-Visma-Teamkollegen, der vor wenigen Tagen wegen einer Herzerkrankung seine Karriere beenden musste. "Ich denke, er wird glücklich sein, mich in dem Trikot zu sehen", so Laporte.
Für den Bund Deutscher Radfahrer fuhr John Degenkolb, der erst in der Vorwoche in den Kader nachgerückt war, auf den achten Platz. Der Oberurseler war ein sehr aufmerksames Rennen gefahren und hielt sich gerade auf den sechs Schlussrunden um den VAM-Berg immer ganz vorne auf. Lange Zeit waren auch Jonas Koch, Felix Engelhardt und Kim Heiduk noch an seiner Seite. Durch einen Sturz von Heiduk etwa 25 Kilometer vor Rennende verloren alle drei genau wie das bis dahin sehr vielversprechende italienische Team und weitere Mitfavoriten den Anschluss an eine nun nur noch zehnköpfige Spitzengruppe, aus der heruas Laporte schließlich auf der letzten Runde zum Solo ansetzte.
"Am Ende kann ich ziemlich stolz sein, wie wir als Team gefahren sind und wie wir ein weiteres sehr spezielles Rennen mit vielen Kurven und kleinen Straßen angegangen sind. Wir haben unser Bestes versucht, immer in guter Position zu bleiben", sagte Degenkolb nach dem Rennen zu Eurosport.
"Ich bin auch einmal gestürzt, bei dem großen Sturz am Anfang, aber wir haben uns zurückgekämpft. Und als wir auf den letzten Runden hier waren, ging es darum, die Position zu halten. Ich war dann sehr happy, in der letzten Selektion vorne dabei zu sein und am Ende ist das herausgekommen, wozu die Beine in der Lage waren. Auf das Ergebnis können wir sehr stolz sein."
Vor dem neuen Europameister Laporte konnte Degenkolb nur lachend den Hut ziehen: "Die Jungs von Jumbo sind scheinbar auf einem anderen Level und offenbar kann er sogar zehn Sekunden in so einem harten Finale halten – trotz eines langen Solos vorher. Chapeau an ihn, es ist toll zu sehen, wie stark der menschliche Körper sein kann."
Nach dem scharfen Start vor den Toren des Startorts Assen zeigten sich sofort einige Teams offensiv – vor allem die Schweiz. Johan Jacobs ritt eine der ersten Attacken, dann aber bildete sich nach etwa acht Kilometern die erste echte Ausreißergruppe um Stefan Bissegger. Er fand in Joshua Tarling (Großbritannien), Rory Townsend (Irland), Norman Vahtra (Estland) und Mathias Vacek (Tschechien) zeitfahrstarke Begleiter für die topfebene erste Rennhälfte auf dem Weg zum Rundkurs um den VAM-Berg.
Das Hauptfeld ließ zunächst aber nicht locker und hielt den Abstand zur Spitze zehn Kilometer lang unter 20 Sekunden, bis das Loch dann aber doch auf mehr als eine Minute anwachsen durfte. Tim Declercq spannte sich nun für Belgien vors Peloton und sorgte gemeinsam mit dem Dänen Mathias Norsgaard für kontrollierte Nachführarbeit. Am Ende der ersten Rennstunde standen dann 1:55 Minuten für die fünf Spitzenreiter auf der Uhr – und bei rund zwei Minuten Vorsprung blieb es dann für eine ganze Weile.
Rund 120 Kilometer vor dem Ziel verringerten Norsgaard und Declercq den Rückstand zur Spitze auf 1:30 Minuten, doch dann kam es bei einem Fahrbahnschweller in einer Ortsdurchfahrt auf gerader Straße zu einem schweren Sturz mitten im Feld – mittendrin die Deutschen Kim Heiduk, Michael Schwarzmann und Max Walscheid sowie der Niederländer Bauke Mollema und der Pole Michal Kwiatkowski. Durch den Massensturz zerriss das Peloton.
Vorne spannten die Dänen nun zusätzlich zu Norsgaard auch Mikkel Bjerg noch in die Führung ein und man gab Vollgas, doch das zweite Feld wurde von der gesamten niederländischen Mannschaft wieder herangeführt – und auch Walscheid und Filippo Ganna kamen durch den Fahrzeugkonvoi wieder zurück.
Zu Rennhalbzeit hatten die fünf Spitzenreiter um Bissegger 100 Kilometer vor Schluss trotz oder gerade wegen des Chaos' im Hauptfeld nur noch 45 Sekunden Vorsprung. Den Rundkurs und damit den ersten Anstieg zum VAM-Berg erreichte das Quintett 83 Kilometer vor Rennende dann noch 23 Sekunden vor dem nun von der gesamten belgischen Mannschaft angeführten Hauptfeld.
Über den zweigeteilten Anstieg an der Mülldeponie von Wijster hinweg fielen Tarling und Vahtra aus der Spitzengruppe zurück, so dass eingangs der sechs jeweils 13,7 Kilometer langen Schlussrunden nur Bissegger, Townsend und Vacek noch als Ausreißer übrig blieben – 16 Sekunden vor dem von Belgien angeführten Feld. Auf der ersten der sechs Runden ließ man es im Hauptfeld dann plötzlich nochmal ruhiger angehen und der Vorsprung von Bissegger und Co. wuchs bis zur zweiten VAM-Berg-Passage nochmal auf über eine Minute an.
Die Situation blieb nun erstmal stabil, bis zur dritten VAM-Berg-Passage. Dort beschleunigte das Feld wieder und verkürzte den Abstand auf 25 Sekunden zur Spitze, wo Townsend die Segel streichen musste. Bissegger und Vacek aber zogen weiter durch und es kam zum Ziehharmonika-Effekt: Im Flachen nahm das Feld wieder Tempo raus und so standen 45 Kilometer vor Schluss doch wieder 55 Sekunden auf der Uhr.
Für einige Kilometer setzten sich Jaka Primozic (Slowenien) und Dusan Rajovic (Serbien) aus dem Feld ab, doch das Duo kam nicht weit und wurde bei der nächsten VAM-Berg-Passage schon wieder gestellt. Bissegger und Vacek dagegen behaupteten sich noch bis 30 Kilometer vor Schluss, wurden dann aber ebenfalls zurückgeholt, als die italienische Nationalmannschaft das Zepter übernahm und mit Vollgas das Feld auf die Mülldeponie zuführte.
Im Anstieg sorgte Filippo Ganna dann für die Italiener mit einem Antritt für eine Explosion des Feldes, so dass nur noch knapp 30 Mann gemeinsam auf die letzten zwei Runden gingen. Dort sorgte ein Sturz von Kim Heiduk, der am Straßenrand hängenblieb und unter anderem Filippo Ganna mit zu Boden riss, für die Vorentscheidung. Denn dadurch blieben nur zehn Mann an der Spitze übrig: Wout van Aert, Arnaud De Lie, Andreas Kron, Mads Pedersen, Sandy Dujardin, Christophe Laporte, Olav Kooij, Mike Teunissen, Rasmus Tiller und John Degenkolb.
Mit 35 Sekunden Vorsprung erreichten diese Zehn den Fuß des VAM-Bergs am Ende der vorletzten Runde, während dahinter im knapp 20-köpfigen zweiten Feld die Italiener Vollgas fuhren. Sie hatten eine Runde zuvor die Vorselektion herbeigeführt und waren vorne bestens vertreten, bis sie alle durch den Heiduk-Sturz aufgehalten wurden und in die Defensive gerieten. Doch aller Einsatz half nichts: Die Lücke schmolz zwar nochmal auf 25 Sekunden zusammen, dann aber waren Matteo Sobrero und Mattia Cattaneo als Helfer für Matteo Trentin aufgebraucht.
Eingangs der letzten Runde ritt dann Laporte eine vielversprechende Attacke zwölf Kilometer vor Schluss – ähnlich wie Mischa Bredewold bei den Frauen am Vortag, die so zum Titel fuhr. Bis zu 15 Sekunden Vorsprung fuhr der Franzose heraus, aber hinter ihm arbeiteten acht Mann konsequent zusammen. Trotzdem kam Laporte mit noch elf Sekunden Vorsprung an den Fuß des VAM-Bergs und auf die letzten 1,5 Kilometer.
Dort opferte sich De Lie voll für van Aert auf. Die beiden Belgier attackierten mit Vollgas über den ersten Teil des Anstiegs hinweg und nur Kooij konnte ihnen noch folgen. De Lie führte das Trio die kurze Zwischenabfahrt hinunter zur Schlussrampe, wo van Aert den Sprint eröffnete. Er schloss die letzte 2-Sekunden-Lücke zu Laporte, doch gerade als er auf dessen Höhe kam, gingen dem Belgier die Kräfte aus und Laporte behauptete sich an der Spitze.
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