RSNplusNorweger imponiert beim Giro

Leknessund: Ein Jongleur im Rosa Trikot

Von Tom Mustroph aus Neapel

Foto zu dem Text "Leknessund: Ein Jongleur im Rosa Trikot"
Andreas Leknessund (DSM) | Foto: Cor Vos

12.05.2023  |  (rsn) - Andreas Leknessund hat sich in einer Menge Sportarten ausprobiert. Als der WorldTour-Profi, der am weitesten im Norden geboren wurde, war der Norweger natürlich auf Skiern unterwegs. Er hat aber auch einiges Talent im Jonglieren. Diabolos hielt Leknessund eine Weile gekonnt in der Luft, bevor er sich darauf konzentrierte, Pedale in Rotation zu halten. Das macht der DSM-Profi inzwischen so gut, dass er nicht nur Stürzen recht elegant entgehen kann. Leknessund fährt nun auch schon den dritten Tag im Rosa Trikot des Giro d’Italia.

“Natürlich freue ich mich über das Rosa Trikot, und darüber dass es so gut läuft. Wir haben es bisher sehr gut verteidigen können“, sagte er im Ziel der 6. Etappe in Neapel. So groß ist die Liebe zum Trikot zwar nicht, dass er sich nicht einmal nachts davon trennen kann. Als Pyjama nutzt er das Leaderleibchen nicht. Veränderungen an sich und auch an seinem Umfeld hat er allerdings schon bemerkt. “Es verleiht mir mehr Selbstbewusstsein. Und ich merke auch, dass ich jetzt mehr Platz im Peloton habe“, sagte er zu radsport-news.com.

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Andreas Leknessund (DSM) ist nicht nur im Besitz des Rosa Trikots, sondern auch des Weißen des besten Jungprofis dieses Giro d‘Italia. | Foto: Cor Vos

Dass Leknessund jetzt in Rosa fährt, ist keine ganz so große Überraschung. Gut, im engeren Favoritenkreis für den Giro hatte ihn wohl niemand. Aber seit einigen Jahren schon taucht sein Name regelmäßig in den Listen von Talenten auf, denen man zutraut, in einigen Jahren den jetzigen Frontmännern rings um Mathieu van der Poel, Wout Van Aert oder auch Tadej Pogacar zusetzen zu können.

Exzellente Ausbildung bei der Talentschmieder Uno-X

Leknessund gilt seit vier Jahren schon als viel versprechender Allrounder. Ausgebildet wurde er beim exzellenten norwegischen Rennstall Uno X. Teamkollege war dort unter anderem Zeitfahrweltmeister Tobias Foss – den er seinerseits vor drei Jahren bei Landesmeisterschaften im Zeitfahren schlug. Team DSM konnte ihn beim Wettstreit um die Talente an sich binden. Und im Gegensatz zu manch anderem Profi, dem die Performance-Strukturen dort zu rigide sind und der das Weite sucht, fühlt Leknessund sich sichtlich wohl und äußert dem Team gegenüber auch Dankbarkeit.

“2021 musste ich mich erst eingewöhnen. Aber 2022 setzten wir uns das Ziel, mein Programm schwerer zu machen. Ich fuhr sehr viele WorldTour-Rennen und auch meine erste Tour de France“, blickte er zurück. Das Tourdebüt war für ihn ein Highlight. Mit Platz 27 war er auch der am besten platzierte Helfer von Kapitän Romain Bardet.

Kann DSM seinen Kapitän Leknessund auch bei der Bergankunft am Gran Sasso im Roten Trikot halten?. | Foto: Cor Vos

Höher noch als die Leistungen und Erlebnisse in Frankreich schätzte er aber seinen Auftritt beim letztjährigen Arctic Race of Norway ein. Das Heimrennen konnte er für sich entscheiden. “Es ist ein bisschen ein Klischee, es als mein Heimrennen zu bezeichnen. Aber es war tatsächlich einer der Gründe, warum ich mit dem Radsport begann. Ich habe viele Fotos auf meinem Handy, wie ich die Flaschen von den Profis sammelte, als ich jünger war. Es war einfach cool, es jetzt zu fahren und es auch noch zu gewinnen“, sagte er.

Balance finden zwischen hohen Zielen und mentalen Freiheiten

Für diese Saison sah der Plan vor, dass Leknessund sein Niveau weiter verbessert. Und auch, dass er die richtige Balance zwischen hohen Zielen und mentalen Freiheiten findet. “Im letzten Jahr fuhr ich ein paar Mal auf Klassement. Dabei merkte ich, dass es mir besser tut, wenn ich in einer freieren Rolle fahren kann und nicht so viel Aufmerksamkeit auf das Klassement richten muss.“ Mit genau der Einstellung ging er auf der 4. Giro-Etappe auch in die Fluchtgruppe. Und am Ende sprang – auch dank freundlicher Erlaubnis von Remco Evenepoel, der das Trikot gern loswerden wollte – Platz 1 im Klassement heraus.

Der bescherte dem lockeren Nordmann aber keinen lähmenden Druck. Vor dem Start der 6. Etappe sah man ihn in der Pizzahochburg Neapel eine Pizza futtern. “Es war eine Margherita, und sie hat gut geschmeckt“, sagte er grinsend. Was der Chef-Nutritionist von DSM dazu meinte, traute sich niemand zu fragen.

Oder holt sich Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step, re.) an der Bergankunft das Maglia Rosa zurück? | Foto: Cor Vos

Leknessund ist ein Fahrertyp, der vieles kann. Im Zeitfahren kann er hohe Wattzahlen treten, er ist auch auf den langen Anstiegen gut. Der 23-Jährige, der am 21. Mai genau wie Mark Cavendish Geburtstag hat, verfügt über viele Möglichkeiten. Und momentan mag er es, sich noch nicht festzulegen und lieber viele Bälle in der Luft zu halten. Das kennt er ja vom Jonglieren her.

Leknessund will Rosa auch am Gran Sasso verteidigen

“Ich denke, ich habe die Skills noch. Jonglieren ist ja wie Fahrrad fahren: einmal gelernt, vergisst man es nicht mehr“, sagte er radsport-news.com. Und auf die Radkarriere bezogen meinte er: “Ich weiß selbst noch nicht, in welche Art von Fahrer ich mich entwickeln will. An meinen besten Tagen kann ich den Besten folgen, aber ich mag es auch als Etappenjäger.“ Jetzt will er vor allem sein allgemeines Level erhöhen, und von dort aus sehen, was möglich ist.

Bei DSM bekommt er gute Unterstützung. “Ich freue mich für ihn. Als Team tun wir alles, dass er so lange wie möglich in rosa bleiben kann“, sagte etwa Marius Mayrhofer zu radsport-news.com. Auf den Flachetappen können sie ohnehin zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das Feld zusammenhalten ist gut für den Mann in Rosa und auch für die Sprinter wie Mayrhofer oder Alberto Dainese.

Am Klassementfahren allerdings hat Leknessund inzwischen Gefallen gefunden. “Ich kämpfe um jeden Tag in Rosa, und hoffe auch, es am Gran Sasso verteidigen zu können“, blickte er auf die Bergankunft der 7. Etappe voraus. Nicht ausgeschlossen, dass Evenepoel sich während dieses Giro noch mit dem Gedanken anfreunden muss, den falschen Mann in Rosa gelassen zu haben.

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