RSNplusDie Tour hat ihre erste Sensation

Vingegaard zwingt Pogacar erstmals übers Limit

Von Joachim Logisch aus Briancon

Foto zu dem Text "Vingegaard zwingt Pogacar erstmals übers Limit"
Jonas Vingegaard (Jumbo - Visma) ist bei der Tour de France neuer Träger des Gelben Trikots. | Foto: Cor Vos

13.07.2022  |  (rsn) - Wie ein Drahtseil war die Muskulatur rund um den Mund von Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) angespannt. Aus ihr war jede Farbe gewichen, so sehr kämpfte sich der Däne mit jeder Faser seines schmächtigen Körpers ins Ziel der 11. Tour-Etappe auf dem Col de Granon hinauf. Diesem Kraftakt war auch Topfavorit Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) nicht gewachsen. Der Slowene brach auf den letzten Kilometern ein und verlor 2:51 Minuten und das Gelbe Trikot an Vingegaard. Die erste große Überraschung, ja Sensation, dieser 109. Tour de France war perfekt!

___STEADY_PAYWALL___ "Ich habe davon geträumt, hier dabeizusein, jetzt sitze ich im Gelben Trikot hier. Das ist ein Traum“, sagte der neue Spitzenreiter in der Sieger-Pressekonferenz mit noch immer von der Anstrengung fleckig weiß gezeichnetem Gesicht. Vingegaard war sich bei seiner Attacke des Risikos bewusst, dass er einbrechen und alles verlieren könnte. "Ja, das hätte passieren können“, beantwortete der 25-Jährige die entsprechende Frage, um dann fortzufahren: "Primoz (Roglic) und ich sind schon Zweiter bei der Tour geworden. Für mich war das wunderschön, aber ich musste etwas probieren, sonst wäre ich heute wieder Zweiter geworden“, sagte der Vingegaard.

Die entscheidende Attacke: Vingegaard schüttelt fünf Kilometer vor dem Ziel Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) ab. | Foto: Cor Vos

Obwohl er in Gelb auf dem Interviewstuhl saß, schien er seinen Triumph noch gar nicht glauben zu können. Vingegaard: "Ich bin sprachlos. Als ich mit dem Radsport angefangen habe, habe ich nicht einmal von einem Etappensieg oder gar dem Gelben Trikot geträumt. Selbst wenn ich das Trikot (wieder) verlieren würde, kann ich noch immer superstolz als Etappensieger und Trikotträger sein. Es ist das größte Rennen der Welt und ich bin nun der Leader.“

Vingegaard vollendet Jumbos "besonderen Plan"

Damit es aber soweit kommen konnte, "brauchten wir einen besonderen Plan“, sagte er und sprach sogleich seiner Mannschaft Dank aus. "Das Team hat super gearbeitet. Ich denke, das heute spiegelt unsere Mentalität wider und zeigt, wie stark wir hier aufgestellt sind.“

Es lag dann am Vorjahreszweiten, den Plan seines Teams bis auf das i-Tüpfelchen perfekt zu vollenden. "Zuerst wollten wir einen Satelliten in die erste Gruppe bringen. Als das nicht klappte, sollten ich und Primoz Tadej herausfordern“, schilderte Vingegaard, wie es laufen sollte. Dazu gehörte, "dass wir schon früh attackieren wollten. Primoz hat begonnen. Das zeigt auch seine Qualitäten, weil er sich voll unserem Plan verschrieb und dafür gekämpft hat. Er ist tief gegangen und hat Tadej in Probleme gebracht.“

Knapp fünf Kilometer vor dem Ziel am Col du Granon, als Roglic schon längst alle Kräfte aufgebraucht hatte, wagte Vingegaard selbst die Attacke. "Im Radio sagten sie mir, wie steil der nächste Part ist. Deshalb stand ich vor der Wahl selbst zu attackieren oder auf den Angriff von UAE zu warten. Zum Glück habe ich attackiert.“ Zu diesem Zeitpunkt ahnte er nicht, dass sein großer Gegner schwächelte. "Ich wusste nicht, dass er leidet, aber ich habe die Initiative ergriffen“, schilderte Vingegaard den Moment seines Angriffs.“

Wie durch einen Tunnel ins Ziel

Sehr schnell konnte er sich absetzen, was ihn selbst in Erstaunen versetzte und noch mehr Kräfte freisetzte. Vingegaard: "Natürlich hat es mir Energie gegeben, als ich erfuhr, dass der Vorsprung weiter anwächst. Aber es ist echt ein brutaler Anstieg und auf den letzten Kilometern habe ich sehr gelitten. Ich wollte, dass er vorbei geht, ab dem dritten Kilometer war ich voll am Limit.“

Völlig ausgepumpt sackte der Däne im Ziel zusammen und musste von einem Team-Betreuer versorgt werden. | Foto: Cor Vos

Wie im Tunnel erreichte Vingegaard den Gipfel, wo er zunächst erschöpft auf dem Lenker zusammensank. Doch das Resultat richteten ihn schnell wieder auf. "Ich war ein wenig überrascht, wie groß die Zeitabstände waren.“

Das lag aber nicht allein an ihm, sondern auch an der überraschenden Schwäche von Pogacar und dessen verbliebenen fünf Helfern. Bewiesenermaßen verfügen sie weder über die Qualität des niederländischen Jumbo – Visma-Teams noch die von Ineos Grenadiers. Das Quintett war durch die fortwährenden Attacken am Col de Telegraf und am Galibier verbraucht, so dass der Slowene auf den letzten Kilometern auf sich allein gestellt war.

Vielleicht funktionierte auch deshalb der so wichtige Nachschub an Flüssigkeit und Kohlehydraten nicht mehr und Pogacar brach auf den letzten Kilometern immer mehr ein. Alles spricht für einen Hungerast. Doch der UAE-Kapitän bewies, was für ein Kämpfer er ist. So hielt er seinen Rückstand noch in Grenzen. "Ich weiß nicht, was heute passierte. Am Galibier habe ich mich noch gut gefühlt. Es gab viele Attacken von Jumbo - Visma, sie waren heute sehr gut. Am Schlussanstieg hatte ich dann einfach keine guten Beine, das war leiden bis zum Schluss. Vielleicht hatte ich heute einfach nicht den besten Tag“, musste der bislang so erfolgsverwöhnte 23-Jährige erstmals eine bittere Niederlage eingestehen.

Vingegaard erwartet jetzt jeden Tag Attacken von Pogacar

Pogacar wurde 1998 geboren. Damals führte Jan Ullrich nach 14 Etappen der Tour de France mit 1:11 Minuten vor Bobby Julich sowie 3:01 Minuten vor Laurent Jalabert und Marco Pantani. Der gebürtige Rostocker sah schon wie der sichere Toursieger aus. Doch am nächsten Tag, übrigens auch über den Galibier, erlitt er auf dem Weg nach Les Deux Alpes einen Hungerast und büßte als 25. im Tagesklassement 8:57 Minuten auf den neuen Spitzenreiter Pantani ein.

Auf dem Podium konnte Vingegaard kurz darauf seinen ersten Tour-Etappensieg feiern. | Foto: Cor Vos

Damals war es regnerisch und kalt, diesmal sehr heiß, was beides einen Hungerast begünstigt. Damals schlug Ullrich am nächsten Tag zurück und siegte in Albertville, zeitgleich mit dem Italiener, der später die Tour gewann. Auch Pogacar hat sicher das Zeug dazu, morgen, wenn es wieder über den Galibier und dann hinauf nach Alpe d’Huez geht, ein echtes Comeback zu starten.

"Wir werden sehen, ob es dann besser läuft. Ich werde bis zum Schluss alles geben und möchte mir am Ende nichts vorwerfen. Die Tour ist noch nicht vorbei, heute habe ich drei Minuten verloren, morgen hole ich vielleicht drei Minuten zurück“, kündigte Pogacar an.

Der neue Träger des Gelben Trikots betonte dann auch, dass der Kampf um den Toursieg noch nicht einmal vorentschieden ist. Vingegaard: "Tadej ist noch immer mein schärfster Rivale und ich erwarte jeden Tag Attacken von ihm. Von jetzt an wird es sehr schwer bis Paris", fügte er an.

Mehr Informationen zu diesem Thema

07.07.2023Pech mit der Kette bringt Cavendish um den Rekordsieg

(rsn) – Es hat nicht viel gefehlt, um das Märchen perfekt zu machen. Am 7. Juli 2007 gab Mark Cavendish, damals noch im Trikot von T-Mobile, sein Debüt der Tour de France. Den Prolog in London bee

12.06.2023Van Aert kritisiert Netflix-Serie: “Zielt auf Aufreger ab“

(rsn) – Am vergangenen Donnerstag ist die von vielen Fans lange erwartete Netflix-Serie ´Tour de France: Unchained´ veröffentlicht worden, die hinter die Kulissen der Frankreich-Rundfahrt 2022 bl

02.03.2023Trailer zur Netflix-Serie über die Tour de France veröffentlicht

(rsn) – Den Titel, “Tour de France: Unchained“, hatte Netflix bereits vor einigen Tagen veröffentlicht. Jetzt folgte auch der erste Trailer zu der Doku-Serie, die aus acht Teilen bestehen und v

16.12.2022Sagan hat van Aert noch nicht vergeben

(rsn) – In einem Gespräch mit der italienischen Sportzeitung Gazzetto dello Sport hat Peter Sagan (TotalEnergies) deutlich gemacht, dass er Wout van Aert (Jumbo – Visma) noch nicht für dessen ve

23.11.2022Aktivisten der “Letzten Generation“ bekommen 500-Euro-Strafe

(rsn) – Dreimal kam das Peloton bei der Tour de France 2022 aufgrund von Protesten durch Klima-Aktivisten und Klima-Aktivistinnen kurz zum Stillstand: Zunächst auf der 10. Etappe auf dem Weg nach M

17.11.2022Pogacar: “Evenepoel ist vielleicht sogar stärker als ich“

(rsn) – Mit nicht weniger als 16 Siegen war Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) auch im Jahr 2022 eine der dominierenden Figuren des Radsports. Der 24-jährige Slowene gewann bedeutende Eintagesrennen

03.11.2022CAS bestätigt Quintanas Tour-Disqualifikation

(rsn) - Der Internationale Sportgerichtshof CAS hat die Entscheidung des  Radsportweltverbands UCI bestätigt, der Nairo Quintana (Arkea – Samsic) nachträglich von der Tour de France 2022 disquali

29.08.2022Geschke: “Jedes Bergtrikot am Straßenrand motivierte mich“

(rsn) - Ganz allein erreichte Simon Geschke, der Kapitän der Deutschen Nationalmannschaft, das Ziel der finalen 4. Etappe in Stuttgart. Der Freiburger kam 7:07 Minuten nach Tagessieger Pello Bilbao (

13.08.2022Von Corona genesen: Froome und Woods starten bei Vuelta

(rsn) – Sowohl Chris Froome als auch Teamkollege Michael Woods haben sich von ihrer Corona-Infektion erholt, die sie sich bei der Tour de France zugezogen hatten. Die beiden Fahrer von Israel - Prem

05.08.2022Zwei Wochen vor Vuelta-Start: Roglic trainiert wieder

(rsn) – Zwei Wochen vor dem Start der Vuelta a Espana hat Primoz Roglic wieder das Straßentraining aufgenommen. Der dreimalige Gesamtsieger der Spanien-Rundfahrt war auf der 5. Etappe der Tour de

31.07.2022Van Vleuten auf völlig anderem Level - wie geht das?

(rsn) – Der Solo-Coup von Annemiek van Vleuten (Movistar) auf der Königsetappe der Tour de France der Frauen hat bei den Beobachtern einmal mehr für große Augen und offene Münder gesorgt. Die 3

31.07.2022Von einem “toten Fisch“ und völlig leergefahrenen Körpern

(rsn) – Die Königsetappe der Tour de France der Frauen hat für riesige Abstände unter den Protagonistinnen gesorgt. Annemiek van Vleuten (Movistar) scheint ihren Gesamtsieg schon vorzeitig perfek

Weitere Radsportnachrichten

27.06.2025Zeitplan der Deutschen Straßen-Meisterschaften

(rsn) – Am Wochenende stehen die deutschen Straßenmeisterschaften auf dem Programm. Diesmal werden die nationalen Titelkämpfe in Rheinland-Pfalz ausgetragen: In Linden finden am Samstag und Sonnta

26.06.2025Schreiber wird in Luxemburg Nachfolgerin von Majerus

(rsn) – Die vorletzte Juniwoche ist auch in diesem Jahr den Nationalen Meisterschaften vorbehalten. Zunächst stehen die Wettbewerbe im Zeitfahren an, ehe am Wochenende die Straßenrennen folgen. W

26.06.2025Red-Bull-Profi Mullen feiert in Irland Favoritensieg

(rsn) – Die vorletzte Juniwoche ist auch in diesem Jahr den Nationalen Meisterschaften vorbehalten. Zunächst stehen die Wettbewerbe im Zeitfahren an, ehe am Wochenende die Straßenrennen folgen. W

26.06.2025Intermarché - Wanty mit Zimmermann und Rutsch zur Tour

(rsn) – Mit den beiden Deutschen Georg Zimmermann und Jonas Rutsch wird Intermarché – Wanty in die am 5. Juli in Lille beginnende 112. Tour den France starten. Für Neuzugang Rutsch wird es die d

26.06.2025Die Aufgebote für die 112. Tour de France

(rsn) – Nach drei Auslandsstarts in Folge (Kopenhagen, Bilbao, Florenz) beginnt die Tour de France erstmals seit dem Jahr 2021 wieder in ihrem Heimatland. Am 5. Juli werden im nordfranzösischen Lil

26.06.2025Valter vor Wechsel zu Bahrain, Allegaert bleibt bei Cofidis

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

26.06.2025Lipowitz verzichtet auf die Deutschen Meisterschaften

(rsn) – Florian Lipowitz (Red Bull – Bora – hansgrohe) wird am Sonntag nicht zum Straßenrennen der Deutschen Meisterschaften antreten. Das bestätigte das Team RSN gegenüber, betonte aber, das

26.06.2025Wichtiger Denkzettel und trotzdem ist Kritik erlaubt

(rsn) – Mit der neuesten Folge der Doku-Serie "Geheimsache Doping" unter dem Titel "Im Windschatten" haben Hajo Seppelt und sein Team aus der ARD-Dopingredaktion zwei Wochen vor dem Start der 112. T

26.06.2025Gaudu und Cosnefroy müssen auf die Tour verzichten

(rsn) - David Gaudu (Groupama – FDJ) wird auf die diesjährige Tour de France verzichten. Wie der Franzose der Nachrichtenagentur AFP sagte, befinde er sich nicht in der dazu nötigen Form. “Anges

25.06.2025Hauptsponsoren verlassen Arkéa - B&B Hotels am Jahresende

(rsn) – In der vergangenen Woche konnten sich die Verantwortlichen von Arkéa - B&B Hotels bei der Tour de Suisse noch am überragenden Auftritt von Kévin Vauquelin erfreuen, der erst am letzten Ta

25.06.2025Valter muss in Ungarn wieder mit Platz zwei Vorlieb nehmen

(rsn) – Die vorletzte Juniwoche ist auch in diesem Jahr den Nationalen Meisterschaften vorbehalten. Zunächst stehen die Wettbewerbe im Zeitfahren an, ehe am Wochenende die Straßenrennen folgen. W

25.06.2025Die Strecken der Deutschen Straßen-Meisterschaft 2025

(rsn) – Die Deutschen Straßenmeisterschaften 2025 werden vom 27. bis 29. Juni 2025 in Ramstein-Miesenbach und Linden westlich und südwestlich von Kaiserslautern ausgetragen. Dabei warten auf Fahre

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Nationale (NC, INT)
  • Deutsche Meisterschaft EZF (BLM, GER)
  • Radrennen Frauen

  • Nationale (NC, INT)
  • Deutsche Meisterschaft EZF (BLF, GER)