Große Vorschau zur Premiere der eSports-WM

Spezialisten treffen in Watopia auf prominentes Profi-Lineup

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Spezialisten treffen in Watopia auf prominentes Profi-Lineup"
Die ersten eSport-Weltmeisterschaften der UCI werden zusammen mit Zwift in der fiktiven Inselwelt Watopia ausgetragen. | Foto: UCI & Zwift

09.12.2020  |  (rsn) - Am Mittwoch wird im Internet Radsport-Geschichte geschrieben: Erstmals kürt der Radsportweltverband UCI in Zusammenarbeit mit Zwift offiziell einen Weltmeister und eine Weltmeisterin im Zwift-Racing. Die Rennen werden am Nachmittag ab 14:45 Uhr live auf Eurosport 2 und im Eurosport Player zu sehen sein - mit Aufnahmen aus der animierten Welt von Watopia, aber auch aus den heimischen Wohnzimmern der teilweise sehr prominenten Starter und Starterinnen, die dort auf den Smarttrainern an ihre Grenzen gehen. radsport-news.com fasst in dieser Vorschau alles Wissenswerte zusammen.

Der Kurs:
In der fiktiven Welt Watopia auf der Online-Trainingsplattform Zwift werden die Weltmeisterschaften auf einem 50,035 Kilometer langen Kurs mit 483 Höhenmetern ausgetragen. Es handelt sich dabei um die sogenannte Figure 8 Reverse-Runde, die 1,6 Mal gefahren werden muss, so dass insgesamt vier rund einen Kilometer lange Anstiege warten und auch das Ziel am Ende einer Schlusssteigung auf dem sogenannten Hilly Q/KOM liegt. Die letzten 900 Meter sind im Schnitt 5,5 Prozent steil - mit einer Maximalsteigung von 11 Prozent.

Wer startet?:
78 Männer und 54 Frauen aus insgesamt 22 Nationen sind gemeldet. Teilnehmende müssen über eine Lizenz bei ihrem jeweiligen Nationalverband verfügen, mit ihrem Zwift-Account mindestens Level 5 erreicht haben - was etwa 200 Kilometern Zwift-Erfahrung entspricht - und dem Anti-Doping-Testpool der UCI oder der jeweiligen Nationalen Anti-Doping-Agentur NADA seit spätestens 16. Oktober 2020 angehören. Zwift berechnete, wie viele theoretisch startberechtigte Sportler jeder Nationalverband hat und vergab daraufhin unterschiedlich viele Startplätze an die Verbände, die wiederum unterschiedlich enthusiastisch darauf reagierten.

Deutschland etwa schickt fünf Männer sowie sechs Frauen ins Rennen und nutzt damit sein Maximum, Italien aber beispielsweise hat nur vier Männer und eine Frau am Start, obwohl der Verband sieben Männer und neun Frauen hätte benennen dürfen. Die Schweiz und vor allem auch die Niederlande verzichten als Nationalverbände komplett - letztere hätte in beiden Rennen sogar zu neunt antreten dürfen. Einzig Anna van der Breggen, Annemiek van Vleuten und Kirsten Wild starten im Frauenrennen per Wildcard-Einladung direkt von Zwift und somit auch nicht im Trikot der Niederlande, sondern in einem Wildcard-Sondertrikot.

Stark vertreten sind in erster Linie die USA - Zwift ist eine kalifornische Firma - mit acht Männern und neun Frauen sowie Australien (7 und 6) Großbritannien und Deutschland (je 5 und 6), Belgien (9 und 1) und Polen (6 und 3) sowie Kanada (5 und 3).

Wer sind Favoriten?:
Auf den Startlisten stehen einige hochkarätige Namen aus dem Straßenradsport, darunter Stundenweltrekordler Victor Campenaerts und sein belgischer Landsmann Thomas De Gendt, die kolumbianischen Kletter-Asse Esteban Chaves und Rigoberto Uran, die Spanier Victor De La Parte und Ivan Garcia Cortina, Alberto Bettiol und Domenico Pozzovivo (beide Italien), Edvald Boasson Hagen (Norwegen), die Südafrikaner Daryl Impey und Ryan Gibbons sowie Lawson Craddock (USA).

Gerade bei den hauptberuflichen Straßenfahrern ist aber die Frage, wie die Form Anfang Dezember aussieht. Interessant sein dürfte daher vor allem auch der aktuelle Weltranglistenerste im Cross, Eli Iserbyt aus Belgien. Er ist momentan in Top-Form und ihm dürfte die rund einstündige Hochbelastung genauso gut liegen, wie dem britischen Multi-Disziplin-Ass Tom Pidcock.

Experten favorisieren auf Zwift aber ohnehin ganz andere Kandidaten: die Spezialisten. Lionel Vujasin aus Belgien und der sehr sprintstarke US-Amerikaner Holden Comeau sind zwei echte Zwift-Größen und gelten daher als heißeste Titelkandidaten. Aus deutscher Sicht wird auch der Ruderer Jason Osborne interessant, der mit beachtlichen Wattwerten im Online-Racing unterwegs ist. Ein Geheimtipp ist sicher auch der Australier Freddy Ovett von der Israel Cycling Academy - ein Straßenfahrer mit beachtlichen Zwift-Auftritten in diesem Jahr.

Wer sind Favoritinnen?:
Das Frauen-Feld wird angeführt von Straßen-Stars wie Doppel-Weltmeisterin  van der Breggen und ihrer Vorgängerin van Vleuten sowie der auf Zwift im Frühjahr bereits starken Südafrikanerin Ashleigh Moolman-Pasio und der Allgäuerin Lisa Brennauer. Doch auch hier stehen Fragezeichen hinter der Form, zudem sind einige Spezialistinnen zu beachten.

Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) bezeichnet nicht umsonst die über Zwift zum Profivertrag gekommene Tanja Erath als Kopf des Teams, weil Zwift-Erfahrung wichtig ist. Der Sprinterin dürfte die Schlusssteigung aber sehr weh tun. Im Jahresverlauf sehr stark präsentierten sich grundsätzlich die US-Amerikanerinnen mit der Nummer 1 der Zwift-Weltrangliste, Laura Matsen Ko, und der Nummer 2, Courtney Nelson, sowie die Fahrerinnen aus dem Team Twenty20 um Kristen Kulchinsky und Shayna Powless. Das US-Frauenteam ist voll mit Siegkandidatinnen.

Doch auch die von Zwift mit einer Wildcard ausgestattete Britin Lou Bates sowie die Schwedin Cecilia Hansen sind heiße Tipps, und auch die Australierinnen Sarah Gigante, Victoria Whitelaw und Jess Pratt sowie die Neuseeländerin Ella Harris darf niemand unterschätzen.

Worum geht's?:
Auch wenn für viele Profis das Zwift-Racing in erster Linie Spaß ist, so werden am Mittwoch erstmals offizielle Weltmeistertitel ausgefahren und ein Großteil des Starterfeldes wird das sehr ernst nehmen. Sieger und Siegerin werden in den kommenden zwölf Monaten auf Zwift im Regenbogentrikot fahren dürfen und bei offiziellen Rennen auch daheim vor der Webcam ein Regenbogentrikot tragen. Außerdem gibt es 8.000, 4.000 und 2.000 Euro für die Top 3 beider Rennen.

Wer gewinnt?
Für Zuschauer und auch Teilnehmer ist es wichtig zu wissen, dass nicht unbedingt derjenige gewonnen hat, der auf dem heimischen Display als Erster die Ziellinie überquert. Aufgrund von Internet-Verbindungsverzögerungen können in der Abbildung der virtuellen Welt Verschiebungen entstehen. Das sah man im Frühjahr schon bei Zwift-Profirennen, als der im Sprint augenscheinlich knapp geschlagene Zweite später doch zum Sieger erklärt wurde. Was zählt sind die Zahlen im Algorithmus des Computers, nicht das Bild auf dem Display.

Chancengleichheit?
Das große Problem des Online-Racings ist und bleibt, dass die Teilnehmenden ohne offiziellen Funktionär in den eigenen vier Wänden auf ihren Rädern sitzen und somit theoretisch viele Möglichkeiten bestehen, zu betrügen. Dem begegnen die UCI und Zwift mit einigen Maßnahmen, wie etwa einheitlichen Smarttrainern samt spezieller WM-Firmware, einheitlichem Software-Setup und Beweisvideos zu Körpergewicht und -größe der Fahrer und Fahrerinnen. Schließlich ist es das angegebene Gewicht, das bestimmt, wie schnell das Avatar - das virtuelle 'Ich' eines Fahrers - auf Zwift unterwegs ist, wenn mit einer Leistung X ins Pedal getreten wird.

Innerhalb von 24 Stunden vor dem Start müssen alle Teilnehmenden ein Video von sich aufnehmen, mit dem sie ihr Körpergewicht beweisen. Dabei müssen sie auch beweisen, dass die Waage ordentlich kalibriert ist, indem sie mit Zusatzgewichten arbeiten ( Beispielvideo hier ). Außerdem haben alle Teilnehmer von Garmin Tacx einen Smarttrainer des Typs NEO 2T zugeschickt bekommen, der mit der Firmware-Version 90.0.38 bespielt wurde - einer speziellen Version, die für die WM optimiert wurde und der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist.

Außerdem überwacht Zwift ständig die Leistungsdaten und meldet Auffälligkeiten der UCI-Jury, die wiederum bei Betrugsverdacht in Zusammenarbeit mit Zwift weitere Untersuchungen anstellt und schließlich Sanktionen aussprechen kann.

Power-Ups:
Die Welt von Zwift bietet zahlreiche virtuelle Joker - sogenannte PowerUps -mit verschiedensten Effekten, die die Starterinnen und Starter an bestimmten Stellen auf der Strecke zugelost bekommen und dann beliebig einsetzen können. In den beiden WM-Rennen sind nur zwei dieser PowerUps aktiv: Die Feder verringert das Gewicht des Fahrers für 15 Sekunden um zehn Prozent und der Aero-Helm macht den Fahrer für 15 Sekunden aerodynamischer. An elf Toren im Rennverlauf wird jeder Fahrerin und jedem Fahrer eines der beiden PowerUps zugelost (50:50-Chance). Voraussetzung dafür ist nur, dass das vorherige PowerUp bis zu diesem Punkt eingesetzt worden ist.

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