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27.03.2020 | (rsn) - Im vergangenen September wurden sie angekündigt: Die ersten E-Sports-Weltmeisterschaften der UCI in Zusammenarbeit mit dem Heimtrainings-Software-Riesen Zwift. Doch nur ein halbes Jahr später steht hinter dem Vorhaben mindestens ein großes Fragezeichen - auch, aber keinesfalls hauptsächlich wegen der Coronavirus-Pandemie. Das haben Recherchen von radsport-news.com ergeben. Ein wichtiger Faktor: Zwift fehlt eine Einigung mit den WorldTour-Rennställen beziehungsweise mit Velon.
Zwar wollte Zwift das Aus der WM-Premiere im Jahr 2020 nicht bestätigen, ein echtes Dementi gab es jedoch auf die konkrete Nachfrage auch nicht. "Wir sind noch nicht in der Lage, das zu bestätigen", teilte man radsport-news.com mit und wich aus: Die UCI müsse sich derzeit in erster Linie um die Konsequenzen der Coronavirus-Pandemie für den traditionellen Radsport-Kalender kümmern, so dass "es so aussieht, als ob die Pläne für den E-Sport im Radsport auf normalere Zeiten verschoben werden könnten". Der Radsportweltverband UCI selbst reagierte auf eine Anfrage von radsport-news.com bislang nicht.
Einen exakten Termin für die ersten E-Sports-Weltmeisterschaften in Zusammenarbeit mit Zwift gab es ohnehin noch nicht, angedacht war aber der Dezember 2020 - genau wie der November für die ersten offiziellen, vom deutschen Verband BDR ausgeschriebenen Deutschen Meisterschaften im E-Cycling/Virtual Cycling. Diese werden, das bestätigte BDR-Generalsekretär Martin Wolf radsport-news.com, dieses Jahr nicht stattfinden.
Deutsche Meisterschaften von Zwift bereits abgesagt
"Anfang Februar gab es noch intensive Gespräche über eine Vereinbarung. Die sollte von Zwift überarbeitet werden, doch was uns vier Wochen später zugeschickt wurde, war stark verändert und die zu klärenden Punkte waren nicht erwähnt", so Wolf. Es sei dann erst einmal still geblieben, bis kurz nach der Bahn-WM Anfang März von Zwift die Absage kam: "Uns wurde mitgeteilt, dass die Nationalen Meisterschaften nicht wie vorgesehen bereits in diesem Jahr ausgetragen werden können."
Der Plan war ursprünglich, dass ab April Qualifikations-Wettkämpfe laufen würden, so dass im November schließlich die Nationalen Zwift-Meisterschaften mehrerer Länder zentralisiert an einem Ort - Amsterdam oder London - stattfinden könnten. An selber Stelle sollten die Weltmeisterschaften ausgetragen werden. Die Zentralisierung ist auch im sonst über Internetverbindungen von zuhause betriebenen E-Sport nötig, um bei wirklich wichtigen Events wahre Chancengleichheit herstellen zu können.
"Nur so können wir alle Variablen kontrollieren: das Equipment standardisieren und von Offiziellen kalibrieren lassen, sicherstellen, dass die Netzwerk-Verbindung jeweils stabil ist, alle Teilnehmer offiziell gewogen werden können und sich Dopingkontrollen unterziehen", so Zwift. Außerdem könne nur so eine echte Siegerehrung mit Regenbogentrikot durchgeführt werden.
Live-Events an einem Ort derzeit nicht denkbar
In Zeiten von Corona-Lockdowns und social distancing ist an derartige Events zurzeit natürlich nicht zu denken, doch bis November oder Dezember wären auch noch einige Monate Zeit. Das Coronavirus allein kann daher nicht Grund der stockenden Entwicklungen sein. Vielmehr scheinen wirtschaftliche Faktoren eine Rolle zu spielen. Am vergangenen Freitag wurde durch den in der Szene gut vernetzten Blogger DC Rainmaker bekannt, dass Zwift sich umstrukturiert und einige, teils hochrangige Mitarbeiter aus den Bereichen Kommerzialisierung, Partnerbetreuung und E-Sports auf die Straße gesetzt habe - angeblich mit dem Hintergrund, an eigener Hardware arbeiten zu wollen.
Insgesamt soll es eine mittlere zweistellige Zahl an Mitarbeitern getroffen haben, und gerade die Absetzung des 'Partnership Director E-Sport', sowie wohl einiger Mitarbeiter dieser Abteilung, warf die Frage auf, was nun aus den Ambitionen von Zwift in Richtung virtuellem Rennsport wird. "Die Restrukturierung hat E-Sports unter das Kerngeschäft der Abonnements einsortiert. E-Sports bleiben eine Priorität für unser Unternehmen und diese Veränderung wird dahingehend eine bessere Entwicklung erlauben", erklärte Zwift auf Nachfrage von radsport-news.com. Die Unterordnung des E-Sports unter die Ressourcen des Kerngeschäfts soll also bessere Zukunftsaussichten gewährleisten, als es eine eigene Abteilung bislang tat? Fraglich.
Das Hauptproblem für Zwifts E-Sports-Ambitionen ist nicht das Virus
Nach Informationen von radsport-news.com sind die Entwicklungen rund um E-Sports vielmehr grundlegend ins Stocken geraten, weil ein anvisierter Deal des kalifornischen Unternehmens mit der WorldTour-Teamvereinigung Velon nicht zustandegekommen ist. Denn natürlich wollte Zwift, dass bei den großen UCI E-Sports-Weltmeisterschaften auch die großen Namen der WorldTour-Szene am Start stehen - Tour-de-France-Sieger, Klassikerjäger, Supersprinter, Namen, die man kennt eben. Dazu aber müssten deren Arbeitgeber, nämlich die WorldTeams, Freigaben erteilen.
Es ist Zwift nicht gelungen, Velon das schmackhaft genug zu machen. Die Teamvereinigung setzt sich auch im Kampf mit Rennveranstaltern und UCI seit Jahren dafür ein, dass Mannschaften nicht nur Startgeld bekommen, ihr Rennen fahren und dann wieder abreisen, sondern insgesamt mehr an der Vermarktung des Sports beteiligt werden und so einen besseren 'Return of Investment' herausbekommen.
"Velon und Zwift haben Gespräche geführt, wie Zwift sie auch mit vielen anderen über die Jahre hatte, und im Moment gibt es zwischen uns keine Einigung", bestätigte Velon-Boss Graham Bartlett radsport-news.com und ergänzte: "Aber einige Velon-Teams haben mit Zwift zusammengearbeitet beziehungsweise tun das weiterhin und wir wünschen ihnen in ihrer Zusammenarbeit alles Gute."
Velon plant wohl eigene E-Sport-Rennserie ohne Zwift
Die fehlende Einigung erklärt auch, warum nach den Rennabsagen der vergangenen Wochen keine flächendeckende Ersatzunterhaltung in Form von Zwift-Rennen zahlreicher WorldTour-Rennställe samt Livestream-Übertragungen aus dem Boden gestampft wurde, womit wohl viele gerechnet hatten. Bislang kam es lediglich zu für die Öffentlichkeit zugänglichen Gruppenausfahrten mit den Profis der Teams Mitchelton - Scott und Israel Start-Up Nation auf Zwift. Eine echte Rennserie? Fehlanzeige.
radsport-news.com erfuhr im Zuge seiner Recherchen aber, dass Velon selbst weiter an einem solchen Projekt arbeitet und es mit anderen Partnern möglicherweise schon im April auf die Beine stellen wird. Bartlett wollte das noch nicht bestätigen, erklärte aber: "Velon ist mit vielen Organisationen Partnerschaften eingegangen und hat aktuell gültige Vereinbarungen mit verschiedenen Virtual Training Software-Unternehmen. Noch heute wird eine Ankündigung in Sachen Rennen kommen."
Bei Zwift stehen Grouprides wohl zunächst weiter im Vordergrund
Bei Zwift hingegen arbeitet man derzeit an dem, was man selbst auf die Beine stellen kann. "Momentan versucht jeder erstmal, sich der neuen Realität anzupassen. Alle haben zunächst gehofft, dass der echte Kalender weitergeführt werden könnte, und wir bei Zwift hatten unseren eigenen Event-Kalender schon geplant", erklärte Zwift-Pressesprecher Chris Snook gegenüber radsport-news.com, betonte aber im Bezug auf weitere Events: "Wir wurden mit Anfragen überhäuft und arbeiten jetzt daran, die besten Möglichkeiten anzubieten. Das ist alles noch sehr frisch, aber wir werden mehr Events auf unserer Plattform haben und das in den kommenden Wochen verkünden."
Außerdem verwies er auf die gerade zu Ende gegangene Tour of Watopia, in der Continental-Rennställe und Frauen-Teams unterwegs waren. Die nächste derartige Rennserie sei für April geplant. Continental-Teams sind aber eben nicht die Weltspitze und somit kaum WM-tauglich.
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