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01.01.2025 | (rsn) – Erneut ist Marc Hirschi die klare Nummer 1 in der RSN-Jahresrangliste. Nachdem er schon 2023 mehr als doppelt so viele Punkte auf sein Konto gebracht hatte wie der damals zweitplatzierte Stefan Küng (Groupama - FDJ), war der Schweizer 2024 unter den deutschsprachigen Fahrern sogar noch überlegener. Mit so einem großen Vorsprung lag noch nie in der Geschichte unseres Rankings der Sieger vorn. Hirschi sammelte 620 Punkte, sein Teamkollege Nils Politt auf Rang zwei deren 264.
Wundern darf das niemand. Denn abgesehen von echten Sprint-Spezialisten fuhr unter den WorldTour-Profis nur Tadej Pogacar 2024 mehr UCI-Siege ein als der Schweizer, der das Jahr auf Weltranglistenplatz sechs beendetet. Hirschi brachte gleich neun Mal die Platzziffer "1" vor seinen Namen. Dabei gelang ihm endlich auch auf WorldTour-Niveau wieder der großen Wurf - eigentlich waren es zwei große Würfe.
Erstmals seit seinem Tour-Etappensieg und dem Erfolg beim Flèche Wallonne 2020 gewann er mit der Klasikoa in San Sebastian sowie dem Bretagne Classic in Plouay zwei WorldTour-Rennen. Überhaupt: Was Hirschi im Sommer leistete, suchte seinesgleichen. Von der 2. Etappe der Czech Tour (2.1) am 26. Juli bis zum Memorial Marco Pantani (1.1) am 14. September fuhr er an neun Renntagen sechs Mal als Erster über den Zielstrich und zwei Mal als Zweiter. Einzig sein 16. Platz im Olympischen Straßenrennen in Paris war da ein Ausreißer nach unten. ___STEADY_PAYWALL___
"Sehr positiv", fiel im Gespräch mit RSN am Rande seines Dezember-Trainingslagers in Moraira an der Costa Blanca in Spanien daher auch seine Jahresbilanz aus. "Ich bin direkt gut gestartet. Die Ardennen waren vielleicht nicht ganz wie erhofft. Aber in der zweiten Saisonhälfte ab der Tschechien-Rundfahrt nach meiner Sommerpause hatte ich ein sehr hohes Level. Deshalb bin ich wirklich sehr zufrieden und hoffe, dass ich so weiterfahren kann. Mein Ziel war, auch bei WorldTour-Rennen ganz vorne dabei zu sein, und das ist mir gelungen."
Dass Hirschi die Ardennenklassiker als "nicht ganz wie erhofft" bezeichnete, ist da schon fast belustigend. Immerhin wurde er beim Amstel Gold Race hinter Tom Pidcock (Ineos Grenadiers) Zweiter – und das wohl auch nur, weil er im Sprint vom Briten an der Bande etwas eingebaut worden war.
Beim Amstel Gold Race musste sich Hirschi (rechts) knapp gegen Pidcock (2. von rechts) geschlagen geben. | Foto: Cor Vos
"Ich wollte eben unbedingt einen großen Sieg, und das ist der zweite Platz beim Amstel nicht. Es war knapp im Finale und schlau gemacht von Pidcock", sagte Hirschi, der die Strecke durch seine Vergangenheit beim Team Sunweb, das seine Teamhäuser unweit von Valkenburg hat, schon seit vielen Jahren wie seine Westentasche kennt.
Seine sechste Saison bei den Profis hatte Hirschi gut begonnen. Am ersten Renntag, der Figueira Champions Classic (1.Pro) im Februar in Portugal wurde er Sechster, zwei Wochen später gewann er die Faun Drome Classic (1.Pro) in Frankreich.
Nach Strade Bianche und Tirreno-Adriatico im Schatten der dortigen Kapitäne Pogacar und Juan Ayuso fuhr Hirschi bei Mailand-Turin (1.Pro) auf Rang drei und bestritt anschließend einige flämisch Klassiker auf dem Weg zum Amstel Gold Race. Nachdem der 26-Jährige dort Zweiter wurde, setzten ihm die Eiseskälte und der Schneeregen beim Flèche Wallonne sehr zu und er stieg dort vorzeitig aus. Bei Lüttich-Bastogne-Lüttich war dann Pogacar wieder Kapitän und gewann, Hirschi kam als 17. ins Ziel und fuhr zehn Tage später bei Eschborn-Frankfurt im Sprint eines 36-köpfigen Feldes auf Platz neun.
Marc Hirschi feierte bei der Klasikoa in San Sebastian seinen ersten WorldTour-Sieg seit dem Flèche Wallonne 2020. | Foto: Cor Vos
Eine echte Pause gab es aber auch danach noch nicht. Im Mai wurde er Fünfter der Ungarn-Rundfahrt (2.Pro) und Sechster der Boucles de la Mayenne (2.Pro), mit je einem zweiten Etappenrang. Es folgte Rang drei beim Circuit Franco-Belge (1.Pro) in Belgien, doch dann ging im Juni bei der Tour de Suisse und auch den Schweizer Meisterschaften, bei denen er Fünfter wurde, nicht mehr ganz so viel.
Trotzdem: Die Dauerbelastung in fünf vollen Monaten machte Hirschi für das zweite Halbjahr fit. "Ich habe mich nach der ersten Saisonhälfte auf die großen Rennen fokussiert, wo du mehr Rennhärte brauchst. Gerade die WM, aber auch San Sebastian – diese Rennen sind so lang und hart, dass es darum geht, wie stark man nach fünf Stunden noch ist. Bei kleineren Rennen kommst Du frischer ins Finale, aber bei den großen kommt es auf den 20. oder 30. Effort noch an", erklärte Hirschi RSN, wie ihn die vielen harten Rennen über die Zeit immer stärker machten.
Und dann zeigte eine vierwöchige Rennpause zur Adaption im Sommer sofort Wirkung. Hirschi gewann die Czech Tour (2.1) und startete zu seiner atemberaubenden Sommer-Serie durch, mit Siegen in San Sebastian und Plouay (beides 1.UWT) sowie bei den drei italienischen Eintagesrennen GP Industria & Artigianato (1.Pro), Coppa Sabatini (1.Pro) und Memorial Marco Pantani (1.1).
Zweiter WorldTour-Sieg in 15 Tagen: Nach San Sebastian jubelte Hirschi auch beim Bretagne Classic in Plouay. | Foto: Cor Vos
"Allgemein liegt mir die zweite Saisonhälfte aber auch besser. Da bin ich besser in Schwung und fühle mich auf dem Rad wohler – im Frühjahr kommen auch noch Allergien dazu, die ich eben habe. Es war schon nicht schlecht in der ersten Hälfte, aber die zweite war nochmal besser", so Hirschi, der abgesehen von Allergie-Thematiken aber keinen echten Grund für dieses Phänomen weiß, dass ihn schon seine ganze Karriere begleitet.
Nach den drei Siegen in Italien kam er über Gesamtrang sechs bei der Skoda Tour de Luxembourg (2.Pro) als Mitfavorit zu den Heim-Weltmeisterschaften in Zürich und fuhr dort bis zum Zielstrich um Edelmetall. Im Sprint um Bronze aber hatte er gegen Mathieu van der Poel keine Chance und musste sich mit Platz sechs begnügen, nachdem kurz zuvor Ben O'Connor in einem taktischen Finale entwischt war und sich Silber sicherte. Gold ging nach langem Solo an Pogacar.
"Tadej war bei der WM sicher mit Abstand der Stärkste. Aber wenn die Belgier etwas ruhiger geblieben wären, hätte man ihn mit Zusammenarbeit – wir und die Niederländer hatten ja auch noch einige Fahrer dabei – vielleicht nochmal zurückholen können. Ich denke schon, dass das möglich gewesen wäre", blickte Hirschi nun gegenüber RSN auf den 29. September zurück, meinte aber auch:
"Trotzdem war er der Stärkste und selbst wenn wir ihn nochmal eingeholt hätten, wäre er eben nochmal weggefahren und hätte trotzdem gewonnen. Schade war eher, wie es hinten im Finale lief. Es war sehr taktisch und am Ende war jeder am Limit. Wenn es ein kleines bisschen anders gelaufen wäre, hätte es vielleicht mit einem Podestplatz klappen können. Aber ich habe das abgehakt. Es war ein megacooler Tag mit vielen Leuten und schön, dass ich vorne dabei war. Das gibt mir für nächstes Jahr auch nochmal Motivation."
Marc Hirschi auf dem Weg zum Sieg bei der Coppa Agostoni. | Foto: Cor Vos
Nach der WM war Hirschis Saison 2024 aber noch immer nicht vorbei. Er bestritt sechs italienische Herbstklassiker, gewann dabei die Coppa Agostoni (1.1) und wurde Fünfter beim Giro del Veneto (1.Pro) sowie Vierter beim Veneto Classic (1.Pro).
Die kommende Saison nun geht Hirschi nach vier Jahren beim UAE Team Emirates in neuen Farben an. Denn der U23-Weltmeister von Innsbruck 2018 hat einen Teamwechsel vollzogen, der seit einigen Jahren bereits naheliegend schien. Denn Hirschi hat bei Tudor Pro Cycling unterschrieben, jenem Schweizer Rennstall, den sein Mentor Fabian Cancellara mitgegründet hat. Zudem vertritt ihn auch Cancellaras Agentur Sette Sports.
"Wir waren natürlich lange im Austausch und Mitte des Jahres war es fix", erzählte Hirschi, betonte aber, dass die Verbindung von Cancellara und Tudor für seine Entscheidung nicht ausschlaggebend gewesen sei. "Vor allem war mir wichtig, dass Tudor extrem professionell arbeitet, die nötige Infrastruktur hat und auch mit das schnellste Material, selbst im Vergleich mit WorldTour-Teams", sagte er. "Außerdem war es mir wichtig, dass ich in ein Team komme, wo ich meine Freiheiten habe. Das hat mir Tudor geboten."
Marc Hirschi (rechts) als Helfer für Tadej Pogacar (Mitte) bei Mailand-Sanremo 2024. | Foto: Cor Vos
Hirschi erläuterte, dass für ihn der Zeitpunkt des Teamwechsels nun genau der richtige sei. Denn beim derzeit besten Team der Welt, UAE, habe er sich zwar bis zum letzten Tag sehr wohlgefühlt. "Auch nachdem klar war, dass ich weggehen werde, hat sich an der Unterstützung nichts geändert. Mein Programm wurde nicht geändert oder verschlechtert oder so. Das war wirklich vorbildlich", meinte er.
Doch angesichts der großen Menge an Top-Fahrern für schwere Rennen war der Raum, Ansprüche auf Kapitänsrollen zu stellen, eben knapp. Zwar bekomme auch bei UAE jeder seine Chance, was man auch daran sehe, dass das Team 2024 mit 20 unterschiedlichen Fahrern Rennen gewonnen hat. "Das haben sie wirklich sehr gut gemanagt, dass jeder seine Chance bekommen hat", lobte Hirschi. Bei den ganz großen Rennen wird die Luft aber eben dünn.
"Dieses Jahr habe ich mein Programm ein bisschen abseitig von den anderen Leadern gewählt und so hatte ich auch viele Freiheiten. Bei den meisten meiner Rennen hatte ich meine Freiheiten. Deshalb bin ich auch bewusst keine Grand Tour gefahren. Aber klar: Wenn bei den großen Rennen Tadej am Start ist, dann sind die Rollen klar verteilt und alle fahren voll für ihn", sagte er.
"In meinen ersten beiden Jahren dort habe ich wegen meiner Hüftoperation ohnehin etwas Zeit gebraucht und da hat es mir gut getan, mehr in Ruhe arbeiten zu können und mich auf mich selbst zu fokussieren. Ich hatte keinen Druck, abliefern zu müssen. Das wäre anderswo anders gewesen. Aber jetzt inzwischen bin ich sicher wieder an dem Punkt, wo ich sehe: Okay, ich bin wieder da, ich kann die großen Rennen gewinnen. Von daher war jetzt der richtige Moment in meiner Karriere für den Wechsel."
Marc Hirschi fuhr vier Jahre für das UAE Team Emirates. | Foto: Cor Vos
Neu ist für Hirschi 2025 neben dem Teamnamen auch die Aussicht, dass man mit Tudor als ProTeam auf Wildcard-Einaldungen für die großen Rennen angewiesen ist. Deshalb weiß der Schweizer auch noch nicht ganz sicher, ob er im Sommer die Tour de France fahren wird oder eher eine der anderen beiden Grand Tours. Egal welche dreiwöchige Rundfahrt er fährt, Hirschi will dort auf Etappenjagd gehen.
"Sicher habe ich auch im Hinterkopf, irgendwann mal eine Grand Tour auf Gesamtwertung zu probieren. Aber man muss halt abwägen: Eine Top 10 bei der Tour ist schon etwas wert, aber dann fehlt das Feeling vom Gewinnen und man wird eher jeden Tag abgehängt. Das ist ein anderes Gefühl beim Rennfahren, als an einzelnen Tagen wirklich um einen Sieg zu kämpfen. Und beim Giro oder der Vuelta eine Top 10 im GC zu fahren? Ich weiß nicht, dann vielleicht lieber Etappenjagd", erklärte er mit dem Blick in die fernere Zukunft.
Für 2025 scheint Hirschi aber von der Tour-Einladung auszugehen – und auch von Wildcards für die meisten anderen WorldTour-Events. Seinen ersten Saisonhöhepunkt jedenfalls plant Hirschi nach einem Aufbau über Tirreno-Adriatico und die Baskenland-Rundfahrt erneut bei den Ardennen-Klassikern. "Da gehen wir stark davon aus, dass wir dort fahren können", sagte er RSN.
"Davor ist Strade Bianche auch ein Rennen für mich. Ich hatte dort zwar noch nie ein gutes Ergebnis, aber eigentlich sollte es mir liegen und ich will es auf jeden Fall nochmal probieren", so Hirschi zu seiner weiteren Planung, die neben der Tour auch die WM in Ruanda Ende September und die sofort daran anschließende EM in Frankreich an der Ardèche beinhaltet. Außerdem will er nach den Ardennen-Klassikern wieder bei Eschborn-Frankfurt starten und im Herbst die italienischen Klassiker rund um Il Lombardia bestreiten.
Ein volles Rennprogramm über die gesamte Saison hinweg wird Hirschi wohl also auch 2025 wieder haben. Nur wo genau die Saison für ihn losgeht, das wusste er beim Treffen mit RSN in Moraira noch nicht.
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