Lieferfähigkeit der Hersteller - Mobilitätsverhalten und Verkehrspolitik

Das Fahrrad boomt – und nun?

Foto zu dem Text "Das Fahrrad boomt – und nun?"
| Foto: ben-scruton.com

21.06.2020  |  Radfahren erlebt durch Corona eine unerwartete Nachfrage in Deutschland und Europa. Händler und Hersteller melden vielerorts Umsatz-Rekorde. Doch das wirft andere Fragen auf: Wie steht es um die langfristige Lieferfähigkeit? Wie ändert das neue Mobilitätsverhalten die Verkehrspolitik? Oder generell: Wie nachhaltig ist der momentane Boom? Der pressedienst-fahrrad hat in einer digitalen Pressekonferenz bei Branchen-Experten nachgefragt.

(pd-f/ tg) Fahrrad-Experten sind sich einig: 2020 ist ein außergewöhnliches Fahrradjahr. Während März und April, die eigentlich starken Verkaufsmonate, aufgrund des Lockdowns für den stationären Handel fast komplett ausfielen, boomt das Thema Radfahren seit der Wiedereröffnung der Radläden Ende April.

Hersteller und Händler berichten von neuen Rekorden:
„Bester Monat aller Zeiten“, „50 Prozent und mehr als im Vergleich zum Vorjahr“ oder „Verkauft so gut wie nie“ – das sind Aussagen, die man von Fahrrad-Industrie und -handel dieser Tage oft hört. Doch genaue Wachstumszahlen für den kompletten Fahrradmarkt können von Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) und Verbund Service und Fahrrad (VSF) noch nicht genannt werden.

Deshalb treten die Verbandsvertreter sogar etwas auf die Euphorie-Bremse. „Abgerechnet wird am Ende des Jahres. Wir haben jetzt eine sehr starke Nachfrage. Wie nachhaltig diese sein wird, ist die Frage“, fasst Albert Herresthal, Geschäftsführer des VSF eV zusammen.

„Wir wissen noch nicht, wie lang wir
diesem Braten trauen sollen“, meint auch Alexander Kraft vom Liegerad-Hersteller HP Velotechnik, der in den letzten Wochen ebenfalls sehr gute Verkäufe verzeichnete. Sebastian Göttling vom Licht-Spezialisten Busch & Müller ergänzt: „Es ist noch viel zu früh für eine konkrete Aussage. Die erhöhte Nachfrage setzt auch zeitversetzt ein.“ Erst die nächsten Monate werden über die weitere Entwicklung entscheiden.

„Wir nutzen den momentanen Boom, um auch der Politik zu zeigen, was das Fahrrad alles kann, damit bessere Rahmenbedingungen kommen. Wir haben noch viel Arbeit vor uns“, sagt VSF-Chef Herresthal. Neue Rahmenbedingungen seien besonders wichtig, da durch Corona gerade Wieder- und Neueinsteiger sowie Familien das Fahrrad als Fortbewegungsmittel entdecken.

„Auffällig ist, dass über alle Rad-Gattungen
hinweg günstige Räder und Einstiegspreislagen gekauft werden“, unterstreicht David Eisenberger, Kommunikationsleiter beim Zweirad-Industrie-Verband. Doch der Verkauf allein reicht eben nicht für einen langfristigen Mobilitätswandel. Mehr und gerade ungeübte Radfahrer brauchen genauso eine bessere Infrastruktur. Der Boom solle nicht mit steigenden Unfallzahlen einhergehen – denn dann kann er auch schnell wieder vorbei sein.

Deshalb ist mehr öffentlicher Druck wichtig, damit die Politik auf allen Ebenen mehr in den Radverkehr investiert. In vielen deutschen Städten sind dafür Rad-Initiativen am Werk. „Es gibt ein paar gute Beispiele und in immer mehr Städten passiert etwas. Ich bin an dieser Stelle optimistisch“, sagt Burkhard Stork, Bundesgeschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC).

Das Beispiel Berlin zeige, wie schnell Radwege
auch in Corona-Zeiten verwirklicht werden und komplette Radverkehrsnetze entstehen können. „Jede Stadt kann das sofort anordnen. Flächendeckende Radinfrastruktur soll nicht auf Berlin beschränkt bleiben“, nimmt Stork auch andere Kommunen in die Pflicht.

Dabei treibt eine aktuelle Entwicklung den Verbandsvertretern jedoch Sorgenfalten auf die Stirn: Ein Teil des Fahrrad-Booms scheint auf Kosten des ÖPNV zu gehen. „Wir haben eigentlich kein Interesse an einer Kannibalisierung des öffentlichen Nahverkehrs“, meint Stork. Es gelte jetzt, gemeinsam sinnvolle Lösungen mit den Anbietern öffentlicher Verkehrsmittel zu finden, um ein vernünftiges Verkehrsnetz mit Rad, Bahn und Bus zu bekommen – und so den Umstieg vom Auto auf klimafreundlichere Verkehrsmittel zu fördern, so der ADFC-Chef.

Wie langfristig der Boom ausfallen wird,
hängt allerdings auch vom Faktor Lieferfähigkeit der Hersteller ab. Viele Fahrräder und Fahrradteile werden in Südostasien produziert. Dort standen die Fabriken aufgrund von Corona ebenfalls teilweise über Monate still. Während sich jetzt bei manchem Händler die Lager leeren, fehlt es an Nachschub.

Die Produktion läuft zwar wieder, aber Rohstoffknappheit und Probleme bei Transport und Logistik treten auf. Dazu kommen Lieferverzögerungen bei Anbietern von wichtigen Komponenten wie Schaltungen oder elektronischen Teilen für E-Bikes. „Die Hersteller arbeiten mit Hochdruck daran, lieferfähig zu bleiben“, weiß ZIV-Mann Eisenberger, gibt jedoch auch zu bedenken, dass eine nachhaltige Entwicklung nur möglich ist, wenn die Produktionsplanungen für das nächste Jahr auch entsprechend angepasst werden: „Es ist nicht so einfach nachzuholen, was zwei Monate lang nicht möglich war.“

Jörg Müsse, Geschäftsführer der Bico GmbH, ein Handelsverband mit rund 800 Fachhändlern, prognostiziert: „Ich sehe Lieferverzögerungen gegen Spätsommer, Frühherbst kommen.“ Das beeinflusse auch die Planungen für 2021, die sich aktuell als äußerst schwierig erwiesen. Hersteller und Händler wüssten nicht, ob der Boom weitergeht und wie viel Ware sie auf Lager halten sollen. „Deshalb: Daumen hoch, aber doch gewisse Sorge“, fasst Müsse die aktuelle Lage zusammen.

Auch in der Industrie stoßen die Mitarbeiter
mittlerweile an so manche Belastungsgrenze: „Wir fahren seit sechs Wochen Überstunden und Samstagsschichten, um alle Anfragen zu bedienen“, so Peter Wöstmann vom Taschen-Spezialisten Ortlieb. Deshalb macht man sich auch hier Gedanken, wie es weitergeht. „Die gesteigerte Nachfrage ist da, aber auch die Frage: Wie können wir uns für nächstes Jahr rüsten?“, fasst Sarah Bauckmann vom Luftpumpen- und Schutzblech-Hersteller SKS Germany zusammen.

Als weiteren möglichen Flaschenhals erkennt Herresthal den Fahrradfachhandel. Eine aktuell hohe Werkstattauslastung und gute Verkaufszahlen kombiniert mit den Corona-Regeln bringen viele Händler an ihre Grenzen, auch weil es sich um kleine Geschäfte mit wenigen Mitarbeitern handelt.

„Viele Händler im VSF können keine Steigerungen mehr hinlegen. Gerade die aufwendige Fachberatung aufrecht zu erhalten ist schwer“, sagt Albert Herresthal. Deshalb seien eine Umstellung auf digitale Möglichkeiten sinnvoll und man arbeite auch von Seiten des Verbands an Lösungen.

 

Weitere Radsport-Markt-Nachrichten

21.08.2025Zweite Zündstufe des MIPS-Systems

Ein Sicherheits-Feature, das sich aus modernen Radhelmen nicht mehr wegdenken lässt, ist MIPS – kurz für Multi-Directional Impact Protection System. Die Funktionsweise ist schnell erklärt: Um z

14.08.2025Profi-Schuh mit festem Sitz

Ende der 1980er war die Schnürung am Radschuh gerade vom Klettriemen ersetzt worden, da kam Sidi mit einer einzigartigen Innovation heraus: dem „Tecno“-Drehverschluss mit einem extrem reißfest

14.08.2025Deltaform für viel Komfort

„Kurz und breit“ lautet das Rezept des italienischen Herstellers für einen Sattel, der für den Offroad-Einsatz optimiert ist – und zwar ebenso mit dem Gravelbike wie dem MTB. Mit 245 mm Län

14.08.2025Mit Highspeed über Schotterstraßen

Der US-Hersteller präsentierte sein erstes Race-Gravelbike vor ziemlich genau einem Jahr und stellte damit dem bekannten Checkpoint eine aerodynamisch optimierte, schnellere Variante zur Seite. Das

08.08.2025Neues Gravel-Racebike aus Italien

Wer die Seele des Gravelns im Rennsport verortet – oder jedenfalls darin, schnell und ausdauernd über unbefestigte Pfade zu flitzen –, wird sich dem Reiz des neuen Wilier Rave SLR nicht entzieh

07.08.2025Geschnürter Radschuh in modernster Ausführung

Ein extremes Leichtgewicht stellt Giro mit dem neuen Empire SLX vor, der in mittlerer Größe nur 195 Gramm pro Stück wiegen soll. Das Geheimrezept für ein solch geringes Gewicht ist die klassisch

07.08.2025Neuer Top-Radschuh mit geringem Gewicht

Sechs Jahre nach dem ersten Imperial stellt Giro sein sommerliches Topmodell in einer neuen Version vor. Der Giro Imperial 2 besteht nach wie vor aus luftigem TPU-Gewebematerial mit großflächigen

31.07.2025Schaltaugen richten mit maximaler Präzision

Abbey Bike Tools in Bend, Oregon ist die Adresse für all jene, die sich in den USA gefertigtes Werkzeug der Spitzenklasse wünschen. Die Tools der Marke sind in Sachen Funktion und Verarbeitungsquali

31.07.2025Tubeless-Zubehör für Pannenschutz und Pannenfall

Optimale Dichtwirkung verspricht sich der Schweizer Hersteller milKit von seiner innovativen Pannenflüssigkeit, zu deren Inhaltsstoffen Microfasern gehören – und die können laut milKit Löcher vo

15.07.2025Leistung und Nachhaltigkeit auch im Spitzensport

Immer leistungsstärkere und nachhaltigere Fahrradreifen: Pirelli ist weltweit der erste Hersteller von Fahrradreifen mit FSC®-zertifiziertem Naturkautschuk, deren Leistungen die bereits erstklassige

10.07.2025Leistungsstarker Radsatz mit Nähe zum Profi-Material

Unterhalb der Baureihe Vision Metron, die Top-Material für höchste Ansprüche und den Berufssport bereithält, hat der Zubehörhersteller seinen SC SL Disc Clincher TLR positioniert. In zwei Variant

10.07.2025Schneller mit goldenem UFO

Mit dem Air Atlas schließt Limar die Lücke zwischen Allround- und Aero-Road-Helm: Der mit insgesamt 17 Öffnungen gut belüftete Kopfschutz kann durch ein cleveres Feature seinen Charakter ändern u

JEDERMANN-RENNEN DIESE WOCHE
  • Keine Termine