Vom Atlantik zum Mittelmeer - Teil zwei

Die Pyrenäen per Gravelbike: Thermen und Schmuggler-Routen

Von Gunnar Fehlau

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17.03.2018  |  Abenteuer abseits der Straße erleben, aber dennoch die Tour-de-France-Klassiker erklimmen: "pressedienst-fahrrad"-Chef Gunnar Fehlau auf Radreise quer durch die Pyrenäen. Begleiter waren sein Buddy Walter, und zwei Gravelbikes.
Hier Teil zwei der Reportage über einzigartige Natur, Abgeschiedenheit, legendäre Berge, Thermen und Schmuggler-Routen.

Nach einer weiteren Windung stehen wir plötzlich vor einer Art Waldschwimmbad. Völlig klar, eine Dusche haben wir nach diesem Tag nötig, und Meter machen wir heute ohnehin nicht mehr. Wir lehnen unsere Räder gegen den Hang, machen die Radhose zur Badehose und tapsen zur Dusche. Als wir anschließend ins Wasser steigen, meinen wir fast zu verbrennen.

Wir sind, ohne es zu merken, auf die Therme

von Arties gestoßen. Die heiße Quelle liegt über einer Granit-Wand. Das Wasser schwappt über die Kante und fließt die leicht schräge Wand hinunter ins Badebecken. Zwei hölzerne Umkleidehäuschen und ein Dixi-Klo runden die Ausstattung ab.

Laut Info-Tafel ist die Therme kostenlos und schließt um 20 Uhr. Ein kurzer Blick - Walter und ich verstehen uns einmal mehr perfekt: Dieser Spot hat alles, was wir für einen erholsamen Aufenthalt bis morgen brauchen. Im Hintergrund verschwindet die Sonne hinter den mächtigen Bergen. Mit ihr gehen auch die anderen Badegäste, Ruhe kehrt ein. Wir erheben unseren Rotwein auf einen fantastischen Radtag...

Der nächste Tag ist mittags bereits über 1500 Höhenmeter alt:
Wir haben mit dem Port de la Bonaigua auf 2050 Meter den höchsten Pass Kataloniens am Morgen gemeistert, die Abfahrt führt uns nach Llavorsí. Hier pulsiert das Geschäft mit Rafting-Touren auf dem Fluß Noguera Pallaresa. Es ist laut, es ist heiß und es ist teuer.

Nach einem kleinen Snack ergreifen wir die Flucht Richtung Port de Cabús, mit 2300 Metern das Dach unserer Pyrenäen-Tour. Die Fahrt sollte in jeder Hinsicht unsere Königs-Etappe werden, denn wir wählen die Anfahrt von Spanien aus; die eigentliche Passhöhe liegt in Andorra. Wir folgen bei sengender Mittagshitze der Landstraße entlang des Riu Noguera de Cardós Richtung Nordosten. An jeder Gabelung weist uns das GPS-Gerät beharrlich auf die kleinere Straße.

Binnen weniger Kilometer ist es richtig einsam geworden.
In Alins füllen wir in einem kleinen Laden unsere Wasservorräte auf und verlassen das Tal auf einer steil ansteigenden schmalen Straße. Auf der Höhe des Dorfes Norís, das wir links liegen lassen, gesellt sich der Gebirgsfluß La Noguera de Tor zu uns.

Das Tal wird immer enger, die Hänge rechts und links steigen steil an. Wir fahren trotz hochstehender Mittagssonne im Schatten und der steile, zerklüftete Flusslauf mit reichlich umschäumten Steinen sorgt für angenehme Feuchte in der Luft. Es ist klimatisch angenehm, aber dennoch irgendwie beklemmend.

Das Tal wird immer enger, die Kurven barscher,
gleichzeitig wird die Straße immer schmaler und schlechter. Gerade passierten wir einen Tierkadaver, der mitten auf der Piste lag. „Wie soll hier ein Auto vorbeifahren?“ frage ich mich und checke auf Karte und Navi, ob wir richtig sind. Es ist verdammt einsam.

Kein Wunder, dass der Port de Cabús bis in die jüngste Vergangenheit eine beliebte Route für Zigarettenschmuggler war. Wenige Meter weiter bleibt von der Passstraße nur noch eine Naturpiste, die sich himmelwärts arbeitet. Unsere Gravelbikes sind in ihrem Element: Auf Pisten, die mit dem MTB schlicht langweilig wären und fürs normale Rennrad unfahrbar sein dürften, fahren wir komfortabel dahin.

Stets versprüht das Gravelbike ein wenig Rennrad-Romantik
und wartet im entscheidenden Moment mit der Robustheit und den Nehmereigenschaften des MTB auf. Wir sind eins mit der Piste und kurbeln einsam durch eine schroffe Natur. Fahrfreude und Beklemmung mischen sich zu einem eigenartigen Gefühls-Cocktail.

Unerwartet in dieser Einsamkeit tauchen plötzlich ein paar alte Steinhäuser auf. Wir erreichen das Dorf Tor. Es gibt zwei Wirtshäuser. Vor einem sind Tische aufgebaut und wir kehren ein. So lecker das Bier und so romantisch der große Kamin im Restaurant sind - Tor ist ein Ort zum Fürchten. Drei Menschen wurden hier umgebracht, wie Carles Porta i Gaset in seinem Buch „Tor. Das verfluchte Dorf“ schreibt.

Wir brechen aus dem verfluchten Dorf auf
und arbeiten uns auf der schlechten Piste inklusive kleiner Flussdurchquerungen auf kaum acht Kilometern weitere 750 Höhenmeter hinauf. Unmittelbar nach Tor wird es wieder einsam. Ruinen mitten in der kargen Landschaft zeugen von ehemaliger Besiedlung.

Erst an der Passhöhe treffen wir wieder auf Asphalt. Die Ostseite des Port de Cabús ist, wie fast alle Straßen in Andorra, bestens asphaltiert. Wir rauschen talwärts nach Andorra La Vella, steile Geraden, enge Haarnadelkurven und glühende Scheibenbremsen vertreiben die Geister von Tor. Gegenüber dem Deutschen Honorarkonsulat gibt es eine Pizza - auf eine der schönsten Passfahrten meines Lebens.

Was sollte nach einem so fantastischen Gravel-Abenteuer
noch kommen? Ein fantastischer Biwak. Mit Ausnahme der ersten Nacht konnten wir kein Lagerfeuer mehr machen. Nun brutzelt ein Bio-Steak auf dem kleinen Titan-Grillrost, während wir einen Rotwein schlürfen und in den La Têt schauen, an dessen Ufer wir nach einiger Zeit des Suchens östlich von Eus einen romantischen Flecken gefunden haben.

Wir rollen Richtung Mittelmeer aus. Mit dem Col de Ternère (233 m) passieren wir die letzten Hügel. Das noch ausstehende Bad im Mittelmeer gibt's in Le Barcarès. Die gemütliche Nacht am Strand wird aber von einem Unwetter jäh unterbrochen. Mangels Kartons bauen wir uns am nächsten Tag aus Luftpolsterfolie, Rohrisolierungen, Kabelbinder, Müllbeutel und Klebeband zwei handliche, aber unförmige blaue Tütenmonster, die einst unsere Bikes waren.

Am winzigen Flughafen in Perpignan beginnt
unser Rückflug. Am Abend nehmen wir unsere verpackten Räder wohlbehalten in Frankfurt entgegen - und stellen fest: Gravelbikes können alles, sogar fliegen!

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