Müllers Tour-de-Filipinas-Tagebuch

Ich habe jetzt keine Erwartungen mehr

Von Robert Müller

Foto zu dem Text " Ich habe jetzt keine Erwartungen mehr"
Robert Müller (NEX) bestreitet ab Freitag die Tour de Filipinas (2.2) | Foto: Müller

16.06.2019  |  (rsn) - Hallo aus Legazpi, Bicol, Philippinen! Der Tag begann heute bereits um fünf Uhr früh, als es an meiner Zimmertür klopfte und klingelte. Ich wollte es eigentlich ignorieren, aber es war zu penetrant und ich fragte mich, was um diese Zeit wohl so wichtig sein würde, eine Dopingkontrolle vielleicht? Konnte eigentlich nicht sein, denn es gibt hier gar keine. Als ich verschlafen die Tür öffnete, hielt mir jemand den Wäschebeutel eines anderen Teams hin. Natürlich konnte ich zurück im Bett nicht mehr einschlafen, na, schönen Dank auch. Das Frühstück in unserem gammeligen Hotel bestand aus einem Teller mit blankem, geschmacklosen Reis sowie einer ekligen Wurst und einem halben Ei. Ich stopfte mir den Reis hinein und fuhr dann mit dem Rad draußen herum, um eine Bäckerei zu finden und mir Pandesal, kleine philippinische Brötchen, zu kaufen.

Zum Start, direkt an einem schönen breiten Sandstrand gelegen, konnten wir die paar Kilometer von Hotel mit dem Rad hinfahren, und ich fuhr dort noch etwas die längste Promenade der Philippinen auf und ab. Es war bereits sehr heiß und die Sonne brannte erbarmungslos. Die Etappe sollte über 185 Kilometer ohne Bergwertung führen und nach der Neutralisation verschlief ich die Startattacke, versuchte dann zwar noch zur Gruppe hinzuspringen, aber der Zug war bereits abgefahren. Vielleicht war es besser so, denn der Weg war ja noch sehr weit und ich immer noch nicht wieder voll auf der Höhe. Also machte ich es mir im Feld so gut wie möglich gemütlich. Vorne waren fünf Mann und dahinter kontrollierte wieder das Team des Führenden das Tempo, wie es das Protokoll vorsieht.

Erst ging es wellig durch Wald dahin, dann immer flacher durch offene Landschaft und manchmal gab es auch etwas Seitenwind, zum Glück kam es jedoch zu keiner ernsthaften Windkante. In einer Abfahrt mit sehr schlechter Straße flogen überall Trinkflaschen herum und ein Fahrer vor mir stürzte, als er ein großes Loch erwischte. Die philippinischen Fahrer vor mir gossen sich ständig kaltes Wasser, das sie etwa alle fünf Kilometer vom Auto holten, über den Körper, und so kam ich in den Genuss zahlreicher Duschen als Zweitverwerter. Sie schienen sogar fast mehr unter der Hitze zu leiden als ich. Ein Fahrer, der gestern auf der Zielgeraden gestürzt war, trug wieder sein zerfetztes Trikot vom Vortag, und ich fragte mich, ob er es tat, um seine Wunden zu belüften oder weil er kein zweites hatte. Außerdem trug er unterschiedliche Schuhe und sein linker zerschrammter Ellenbogen stand komisch nach außen ab.

Das Tempo war die meiste Zeit über eher langsam und ungefähr bei Halbzeit gab es eine kollektive Pinkelpause. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, wie viel man trinken muss, um bei dieser Hitze pinkeln zu können, ich kann es stets auch Stunden nach dem Rennen noch nicht. Trotz der gemächlichen Fahrweise fühlte ich mich auf meinem Rad nicht so richtig wohl und musste ständig aufstehen, um mich zu strecken und zu dehnen und meine Arme und Beine auszuschütteln. Die Kilometer vergingen nur langsam und es war zäh. Der Vorsprung der Gruppe betrug maximal fünf Minuten, aber mir war es egal, ob wir sie wieder einholen würden oder nicht. Ich war nun doch froh, nicht dort vorne zu sein.

Lustigerweise erzählte mir nach der Etappe der spätere Sieger Sam Hill, der bereits gestern in der Gruppe gewesen war, aber wegen mechanischer Probleme am Ende wieder ins Feld zurückfiel, dass es ihm genauso gegangen war. Er meinte, die Etappe hätte sich endlos hingezogen, es sei ihm zu heiß gewesen und für mindestens zwei Stunden hätte er es gehasst, dort vorne in der Gruppe zu fahren. Erst als absehbar war, dass sie durchkommen würden, hätte er wieder Motivation gehabt. Meine Motivation erlitt einen Dämpfer, als ich 40 Kilometer vor dem Ziel hinten einen Platten hatte, denn wir waren im Konvoi das zweitletzte Auto, und ich hatte wirklich keine Lust auf eine Aufholjagd. Aber es half alles nichts, nach dem Laufradwechsel musste ich wieder ans Ende der Kolonne fahren und mich dann von Auto zu Auto nach vorne arbeiten.

Zwischen manchen Autos gab es größere Lücken und ich fiel auch mal wieder ein paar Positionen zurück, denn bei uns war das Tempo mittlerweile ordentlich angezogen worden. Als ich endlich wieder im Feld war, musste ich mich erstmal erholen und stellte fest, das meine hintere Bremse überhaupt nicht mehr funktionierte, weil die neue Felge viel schmaler als die vorherige war. Im Finale wurde ich dann am letzten Hügel etwa zehn Kilometer vor dem Ziel abgehängt und konnte überhaupt nichts dagegen tun, es war absolut beschämend.

Mit einer kleinen Gruppe rollte ich ins Ziel und war einfach nur enttäuscht und ratlos. Ich muss mir wohl eingestehen, dass ich hier nicht mehr zu vollen Kräften komme und es nur noch darum geht, die letzten zwei Etappen zu überstehen. Aus der Spitzengruppe sind drei Mann durchgekommen mit dem zuvor erwähnten Sieger, der sich nochmal alleine absetzen konnte. Mario gewann den Sprint des Feldes und wurde Fünfter, musste sein Sprinttrikot aber leider abgeben.

Unser gutes Hotel für die nächsten Tage liegt auf einer Anhöhe mit sehr schönem Blick auf die Landschaft und am Fuß des alles überragenden Mayon Vulkan. Der ist fast 2500 Meter hoch und aus seinem Krater steigt Rauch auf, denn er ist der mit Abstand aktivste Vulkan der Philippinen. Der letzte größere Ausbruch erfolgte letztes Jahr im Januar, weshalb damals die Rundfahrt, die genau zu dem Zeitpunkt hätte stattfinden sollen, verschoben werden musste. Außerdem gilt er wegen seiner nahezu perfekten Kegelform als der schönste Vulkan der Welt und ich finde ihn wirklich beeindruckend. Morgen stehen 175 Kilometer auf dem Programm mit einer Bergwertung nach bereits 2,2 Kilometern und ich habe jetzt keine Erwartungen mehr. Ich habe jetzt keine Erwartungen mehr.

Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle
Gez. Sportfreund Radbert

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