Müllers Tour-de-Filipinas-Tagebuch

Wenigstens im Hotel war ich der Erste

Von Robert Müller

Foto zu dem Text "Wenigstens im Hotel war ich der Erste"
Robert Müller (NEX) bestreitet ab Freitag die Tour de Filipinas (2.2) | Foto: Müller

17.06.2019  |  (rsn) - Hallo aus Legazpi, Bicol, Philippinen! Heute Nacht um 2 Uhr soll es ein leichtes Erdbeben gegeben haben, das auch zu spüren gewesen sein soll, aber ich habe “leider“ nichts davon mitbekommen, weil ich tief und fest geschlafen habe. Das Frühstück heute war im Gegensatz zu gestern hervorragend, es gab alles, was das Herz begehrte. Es war seit vier Wochen das erste Frühstück, wie man es als Europäer gewöhnt ist, und das tat wirklich gut.

Zum Start mussten wir nur den Hügel vom Hotel hinunter rollen und es gab dort Musik und Folklore von Schülern der örtlichen Schule. Der sehr freundliche irische UCI-Chefkommissär fragte mich, ob mit meinem Laufradwechsel gestern alles glatt gegangen sei und wie es mir gehe, was er immer tut, wenn er mich sieht. Er war wie ich bei allen drei UCI-Rundfahrten dieses Jahr auf den Philippinen im Einsatz und macht einen sehr guten Job.

Direkt nach dem Ende der Neutralisation ging es in den Anstieg zur ersten Bergwertung nach bereits 2,2 Kilometern, es wurde sofort attackiert, ich hatte die üblichen Startprobleme und fiel langsam durch das Feld und wurde kurz vor der Bergwertung abgehängt, lag aber noch nicht weit zurück. Trotzdem schaffte ich den Anschluss in der kurzen Abfahrt nicht und fuhr mit einer vierköpfigen Gruppe hinterher. Die Kolonne war noch hinter uns, wahrscheinlich weil die Jury eine Barrage errichtet hatte, und zog dann so schnell an uns vorbei, dass wir uns nirgendwo andocken konnten und uns hinter der Kolonne wieder fanden. Wir fuhren nun einsam und verloren in dem hügeligen Gelände mit vielen Kurven dem Feld hinterher und ich dachte bereits, dass das kein gutes Ende nehmen würde.

Da wir keinerlei Informationen hatten, wusste ich nicht, ob das Feld Vollgas fährt oder bummelt, weil die Gruppe bereits stand, und ob wir eine oder fünf Minuten zurück lagen. Wir hatten alle nicht besonders Zug auf der Kette, sonst wären wir ja nicht abgehängt worden, und ich überlegte bereits, wie weit wir auf  der Konstellation in der 175 Kilometer langen Etappe wohl kommen würden, bis man uns aus dem Rennen nehmen würde. Vor uns stand plötzlich ein Fahrer des Teams des Gesamtführenden am Straßenrand, der gerade die Segel gestrichen hatte, und ich hatte spontan Lust, mich zu ihm zu gesellen. Jetzt würde ich den Weg zurück ins Hotel noch finden, später würde ich den Rest der Etappe wohl im Besenwagen verbringen müssen.

Aber ich fuhr natürlich weiter, denn am ersten Tag hatte es sich schließlich auch ausgezahlt, nach meinem Sturz nicht umzudrehen. Und so sollte es auch wenig später kommen, als wir auf einer langen Geraden das Ende der Kolonne sahen und sogar rasch näher kamen. Mir war nun klar, dass sie vorne gemütlich fuhren und ich nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen war. Nach 30 Kilometerm war ich endlich wieder im Feld und konnte mich entspannen. Mario meinte, er hätte mich schon vermisst und ich musste ihm meine peinliche Aktion gestehen. Die Gruppe vorne bestand wieder aus fünf Fahrern und zum dritten Mal in Folge war der Australier Sam Hill, der Sieger von gestern, dabei. Er ist ein sehr freundlicher und entspannter Typ und stapelt am Start immer tief, fährt dann aber wie eine Maschine.

Im Feld war das Tempo lange Zeit eher entspannt, die Straße breit und sehr gut, da nagelneu und die Ausblicke auf Vulkane, Reisfelder, das Meer und die tropischen Palmenwälder malerisch. Mir war jedenfalls im Gegensatz zu gestern nicht langweilig, aber das sah Mario anders und fragte mich, ob er mal attackieren solle, um Leben in die Bude zu bringen. Ich wollte ihn davon abbringen, aber kurze Zeit später sah ich ihn auf der linken Seite von hinten kommend immer weiter beschleunigen und schließlich angreifen. Das Tempo im Feld stieg um etwa 15 km/h und es wurde nun, etwa 60 Kilometer vor dem Ziel, wieder richtig Radrennen gefahren. Es setzten sich immer wieder Fahrer leicht ab und die drei Minuten Rückstand zur Spitzengruppe waren relativ schnell zugefahren.

Das Feld war nun wieder geschlossen und es gab wieder viel Springerei, um eine neue Spitzengruppe zu bilden und auch Sam hatte noch nicht genug und mischte, im Gegensatz zu mir, wieder mit. Ich war froh, dass ich vernünftig mit über die Wellen und Hügel kam, hatte jedoch keine Ambitionen für mehr. Irgendwann setzte sich wieder eine Gruppe ab, aber ich hatte den Überblick verloren und wusste nicht, wie groß sie war.

Im Finale ging es eine rumpelige Abfahrt hinunter und die letzten drei Kilometer waren dann die gleichen wie gestern. An der 500 Meter-Marke war ich plötzlich ganz vorne im Feld und hatte das Hinterrad von Mario, konnte aber auf einmal nicht mehr runterschalten. Mein rechter Schalthebel hatte vorher bereits geklappert und jetzt stand irgendein Teil nach innen ab und der kleine Hebel war funktionslos.

Somit konnte ich bei der guten Ausgangslage keinen Sprint mehr fahren und rollte etwas enttäuscht als 14. ins Ziel. Zwei Fahrer kamen mit einer halben Minute Vorsprung an und es gewann Sams Mannschaftskollege Jesse Coyle vom Team Nero Bianchi. Das ist ein australisches Amateurteam, sie fahren hier ihre erste UCI-Rundfahrt und haben nun bereits zwei Etappen gewonnen, obwohl sie vorher damit gerechnet hatten, hier nichts reißen zu können. Mir sind sie jedenfalls sehr sympathisch und ich freue mich für sie, dass es so gut läuft. Mario gewann wie gestern den Sprint des Feldes, wurde somit Dritter und holte sich das Sprinttrikot zurück. Direkt nach dem Zieleinlauf fuhr ich ohne zu stoppen weiter ins Hotel und war wenigstens dort der erste Fahrer.

Nach dem Mittagessen, es gab köstlichen Makkaroni Auflauf und ich aß drei große Teller davon, traf ich Sam mit zerfetzten Radklamotten und auf der ganzen linken Seite verbunden vor dem Aufzug. Er erzählte mir, dass er sich 40 Kilometer vor dem Ziel an einer Kante am Straßenrand aufgehängt hatte, weil er verständlicherweise bereits etwas über Kreuz geschaut hätte. Er meinte, dass er zwar vermutlich irgendwie hätte weiter fahren können, aber einfach keine Lust mehr gehabt hätte und es genug für ihn gewesen sei. Mit trotzdem guter Laune fügte er noch hinzu, er würde sich morgen lieber an den Pool legen als sich verletzt durch die Etappe zu quälen und dass er nicht so hart sei wie ich, natürlich eine maßlose Untertreibung.

Morgen steht schon die letzte Etappe über 138 Kilometer an und es gibt wieder eine Bergwertung nach bereits 2,2 Kilometern, allerdings ein anderer Anstieg als heute. Meine Theorie ist ja, dass diese sehr frühen Bergwertungen, die es bei philippinischen Rennen auffallend oft gibt, quasi ein Service für die kranken, verletzten oder einfach schwachen Fahrer sind. Damit will man sie gleich am Anfang aussortieren und ihnen somit ersparen, sich noch stundenlang weiter herum quälen zu müssen. Mal sehen, ob ihnen das mit mir morgen gelingt.

Oder aber es soll den philippinischen Fahrern ermöglichen, es in die Gruppe des Tages zu schaffen, denn berghoch haben sie da bessere Chancen als in flachem Gelände.

Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle

Gez. Sportfreund Radbert

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