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23.03.2014 | (rsn) - Auf radsport-news.com beleuchtet Herbert Watterott in dieser Saison die lange Geschichte der fünf Radsportmonumente Mailand-San Remo, Flandern-Rundfahrt, Paris-Roubaix, Lüttich - Bastogne-Lüttich und Lombardei-Rundfahrt (Il Lombardia) und schildert die spannendesten und außergewöhnlichsten Episoden dieser größten Klassiker des internationalen Radsport-Kalenders.
Mailand-San Remo / Teil 3 und Schluss
1976 – Der Kleinste ist der Größte
In diesem Jahr triumphiert nicht nur Eddy Merckx aus Belgien zum siebenten Mal. Der kleine italienische Kletterkünstler Wladimiro Panizza nimmt zum 18. Mal bei Mailand-San Remo teil und erreicht mit dem zweiten Rang seine beste Platzierung überhaupt. Der Lombarde aus der Provinz Varese stellt mit 16 Teilnahmen am Giro d’Italia einen weiteren Rekord auf. Panizza starb am 21. Juni 2002.
1982 – Die längste Flucht und die Cipressa als Novum
Bereits nach acht Kilometern machen sich nach dem Start in Mailand 13 Fahrer aus dem Staub: neun Italiener, drei Franzosen und ein Belgier. Am Turchino-Pass nach der Hälfte der Strecke beträgt der Vorsprung 15 Minuten. Dann aber beginnt ein erbarmungloses Ausscheidungsfahren. Einer nach dem anderen fällt zurück, kann dem Tempo des Brillenträgers Marc Gomez aus der bretonischen Hauptstadt Rennes nicht mehr folgen.
In diesem Jahr hat der Rennleiter Vincenzo Torriani rund 22 Kilometer vor dem Ziel zum ersten Mal die Cipressa-Steigung (240 Meter ü.M.) eingebaut, um das Rennen schwerer zu machen. An dieser fast sechs Kilometer langen Steigung kann nur der Nordfranzose Alain Bondue aus dem Dorf Hem in der Nähe von Roubaix seinem Landsmann Gomez folgen. Aber wenig später am letzten Hindernis des Tages, dem Poggio di San Remo (162 Meter ü.M.), rutscht Bondue aus und stürzt.
Gomez, der in seiner Profilaufbahn Helfer von Miguel Indurain und Bernard Hinault war und neun Tage das Spitzenreitertrikot bei der Spanien-Rundfahrt trug, holt auf der Abfahrt mit 22 Kurven und Spitzkehren nach San Remo einen kleinen Vorsprung heraus und gewinnt nach 286 Kilometern an der Spitze. Das ist sein größter Tag, und die italienischen Zeitungen titeln am nächsten Tag: „Una sorpresa colossale“ - Eine kolossale Überraschung.
1990 - Rekordfahrt in den Frühling
In einem superschnellen Rennen über 294 Kilometer stellt der Italiener Gianni Bugno aus Monza mit einem Stundenmittel von 45,806 km/h einen neuen Rekord auf, der bis heute Gültigkeit hat. Nur vier Sekunden dahinter belegt der Deutsche Rolf Gölz aus Bad Schussenried den zweiten Platz.
Das zweitschnellste Rennen gewinnt 2006 Filippo Pozzato mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 45, 270 km/h.
1997 – Die Ära Zabel beginnt
Die Saison beginnt für das deutsche Sprinter-Ass traumhaft. Erster Sieg bei seinem Lieblingsrennen Mailand – San Remo vor den beiden Italienern Alberto Elli und Francesco Casagrande. Nach dem Ziel fließen Freudentränen, auch wegen zahlloser Interviews verpasst Zabel sogar den Flieger.
Sein Kommentar damals: „In Italien hätte man mir ein Denkmal errichtet. In Deutschland hat es keiner gemerkt“. (Damals gab es keine Live-Übertragung in ARD und ZDF). Zumindest konnte ich mit Hilfe des italienischen Fernsehens RAI noch ein Interview mit Erik Zabel führen, das zusammen mit dem Zieleinlauf in der ARD-Tagesschau um 20 Uhr gesendet wurde.
Erik Zabel siegt insgesamt viermal in San Remo, genauso oft wie Gino Bartali zwischen 1939 und 1950. Nur Merckx (7 Siege) und Girardengo(6) sind erfolgreicher.
2002 – Der große Wurf und endlich am Ziel aller Träume
Mario Cipollini aus Capannori bei Lucca in der Toskana steht fünfzehn Jahre am Start der Classicissima, wobei ihm kein einziger Sieg gelingt: zweimal Zweiter (1994 hinter seinem Landsmann Giorgio Furlan und 2001 hinter Erik Zabel aus Deutschland) sprangen als beste Ergebnisse heraus. Doch ein Jahr später ist es endlich soweit. Auf der berühmten Via Roma gewinnt der Frauenschwarm, inzwischen schon 37 Jahre alt, bei seiner 16.Teilnahme den Spurt vor dem US-Amerikaner Fred Rodriguez und Markus Zberg aus der Schweiz. Cipollini gehört jetzt in die Kategorie der Campionissimi, der Meister der Meister.
2004 - 45 Jahre nach Poblet endlich wieder ein Spanier
Nach 294 Kilometern sieht Erik Zabel aus Deutschland auf der Via Roma wieder der sichere Sieger aus. Nimmt aber zum Zeichen des Triumphes die Arme bei horrender Geschwindigkeit vom Lenker und streckt sich zum Zeichen des Sieges in den azurblauen Himmel Liguriens. Zu früh oder besser gesagt zu spät. Denn der drahtige Oscar Freire aus der nordspanischen Region Kantabrien nutzt diese Situation aus und huscht noch im letzten Moment um Millimeter an Erik Zabel vorbei. Auf spanischer Seite grenzenloser Jubel, bei Zabel maßlose Enttäuschung nach seinem kapitalen Fehler.
Oscar Freire gewinnt Mailand-San Remo insgesamt dreimal und wird auch dreimal Weltmeister auf der Straße. Er steigt auf in den Olymp des Radsports.
2013 – Nach 103 Jahren - Erinnerungen an 1910 werden wach
Gerald Ciolek aus Pulheim bei Köln schlägt in einer Regenschlacht den haushohen Favoriten Peter Sagan aus der Slowakei und gewinnt als dritter Deutscher nach Rudi Altig (1968) und Erik Zabel (1997/98 und 2000/01) die Fahrt in den Frühling.
200 Fahrer nehmen bei klirrender Kälte das Abenteuer in Angriff. Wegen eines plötzlichen Wintereinbruchs wie 1910 wird die Strecke um rund 50 Kilometer verkürzt und in zwei Hälften geteilt. Vor dem verschneiten Turchino-Pass, dem höchsten Punkt der Strecke, muss das Rennen neutralisiert werden. Die Fahrer steigen mit vereisten Helmen und bis auf die Knochen durchgefroren in ihre Teambusse und werden rund 50 Kilometer in Richtung San Remo gebracht.
Nach dem Neustart dürfen die sechs Ausreißer Bak, Belkow, Fortin, Lastras, Montaguti und Rosa mit sieben Minuten Vorsprung weiterfahren, den sie vor der Unterbrechung durch Schnee herausgefahren hatten. Gerald Ciolek vom zweitklassigen MTN-Qhubeka-Team aus Südafrika spurtet auf den Zielgeraden in letzter Sekunde aus dem Windschatten von Peter Sagan zum Sieg. Dritter wird Fabian Cancellara aus der Schweiz. 135 Fahrer werden klassiert, 65 Profis geben auf.
Herbert Watterott ist einer der bekanntesten deutschen Radsportjournalisten. Der Rheinländer berichtete unter anderem von 1965 an 41 Mal für die ARD von der Frankreich-Rundfahrt und war für viele in Deutschland die „Stimme der Tour“. Seine Beschreibungen der einzelnen Etappen im TV hatten Kultstatus. Seit 2006 ist der mittlerweile 72-Jährige im Ruhestand, dem Radsport bleibt Watterott aber bis heute eng verbunden.
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