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27.06.2012 | Kiew/Lüttich (dapd). Johan Bruyneel ist ein schlauer Mensch. In den zurückliegenden Skandaljahren hat er in Frankreich hautnah miterlebt, welch hohe Wellen das Thema Doping bei der Tour de France schlägt. Einen Spießrutenlauf wie im Vorjahr bei seinem früheren Schützling Alberto Contador will sich der Teamchef von RadioShack-Nissan erst gar nicht antun.
Der Belgier, der zusammen mit dem siebenmaligen Toursieger Lance Armstrong in den USA wegen Dopings angeklagt ist, bleibt zu Hause. Verstummen werden die Debatten damit keineswegs. Das Endlos-Thema Doping ist auch zum "Grand Depart" der 99. Auflage am Samstag in Lüttich wieder ihr treuer Begleiter.
Das Dopingverfahren in den USA gegen Armstrong und Co., dazu die Vernehmungen diverser italienischer Radprofis wie Ex-Giro-Sieger Michele Scarponi (Lampre-ISD) vor dem Nationalen Olympischen Komitee Italiens CONI - pünktlich zum Tourauftakt rücken die Sünden der Vergangenheit wieder in den Blickpunkt.
"Immer zur Tour kommen diese Sachen auf. Das überrascht mich nicht", sagt Altmeister Jens Voigt im Gespräch der Nachrichtenagentur dapd. Der gebürtige Mecklenburger ist zum 15. Mal dabei, schocken kann ihn nach all den stürmischen Zeiten nichts mehr - auch nicht, dass im Nachhinein noch die Siegerlisten umgeschrieben werden müssen. Erst im Februar war Andy Schleck (RadioShack-Nissan) der Toursieg aus dem Jahr 2010 zugesprochen worden, nachdem Alberto Contador (Saxo Bank) wegen seines positiven Befunds auf Clenbuterol vom Internationalen Sportgerichtshof CAS verurteilt worden war. Alle Ergebnisse waren dem Spanier rückwirkend mit Beginn der Tour 2010 gestrichen worden.
Und auch an der Ehrenliste aus dem Jahr 2005 wurde noch einmal Hand angelegt. Jan Ullrich war seinen dritten Platz wieder los, nachdem der CAS den einzigen deutschen Toursieger wegen dessen Verwicklung in den Skandal um Dopingarzt Eufemiano Fuentes bestraft hatte. Ullrich nahm es gelassen zur Kenntnis, vielleicht bekommt er ja bald im Gegenzug drei Toursiege aus den Jahren 2000, 2001 und 2003 zugesprochen, sollte sein früherer Dauerrivale Armstrong tatsächlich als Dopingsünder verurteilt werden. Es wäre wohl der Treppenwitz der Tour-Geschichte.
Armstrong und seine mitangeklagte Entourage aus früheren US-Postal-Zeiten ist das Lachen indes vergangen. Die Anschuldigungen durch die amerikanische Anti-Doping-Agentur USADA sind massiv. Armstrong wird beginnend von 1998 an Blutdoping sowie die Einnahme von Testosteron, Corticosteroiden, Wachstumshormonen und demaskierenden Mitteln vorgeworfen. Bei Bruyneel geht es um den Besitz, Handel und Verabreichung von verbotenen Substanzen sowie Komplizenschaft beim Verstoß gegen Anti-Doping-Richtlinien.
Ein Name, der immer wieder fällt, ist der des italienischen Dopingarztes Michele Ferrari. "Dottore EPO", wie sein Spitzname lautet, steht auch im Zentrum der Ermittlungen in Italien. Der Italienische Radsport-Verband FCI hatte bereits 2002 den Sportarzt mit einem Bann belegt, eine Zusammenarbeit mit ihm kann demnach eine Sperre von bis zu sechs Monaten nach sich ziehen.
Filippo Pozzato (Farnese Vini) hat bereits Kontakte zu Ferrari zwischen 2005 und 2009 eingeräumt - angeblich der guten Trainingspläne wegen.
Für Mittwoch, drei Tage vor dem Tour-Auftakt, waren Scarponi, Giovanni Visconti (Movistar) und Leonardo Bertagnolli (Lampre-ISD) geladen. Scarponi, der wegen seiner Verwicklung in den Fuentes-Skandal zwischen 2007 und 2009 bereits eine zweijährige Sperre abgesessen hatte, hat kurzfristig seinen Tour-Start angekündigt.
Bei all den Prozessen und Vernehmungen geht fast unter, dass der Spanier Alejandro Valverde (Movistar) nach Ablauf seiner Dopingsperre auf die Tour-Bühne zurückkehrt. Aufgeflogen war der 32-Jährige einst durch eine listige Aktion der italienischen CONI-Ermittler. Die Fahnder hatten den Tour-Abstecher nach Italien am 21. Juli 2008 genutzt und Valverde zur Blutabnahme gebeten. Der DNA-Test ergab schließlich eine Übereinstimmung mit den bei Fuentes beschlagnahmten Blutproben aus Spanien.
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