Strecke, Favoriten, Wind und Taktik

Vorschau auf die 115. Auflage von Mailand-Sanremo

Von Peter Maurer

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Wird es diese Szene auch beim Mailand-Sanreemo 2024 geben?: Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) attackiert am Poggio. | Foto: Cor Vos

15.03.2024  |  (rsn) – Mit dem Beginn des Frühlings wartet entlang der Ligurischen Küste der wohl längste Tag des Radsportjahres. Mailand-Sanremo führt in seiner 115. Ausgabe über 288 Rennkilometer von Pavia südlich der lombardischen Hauptstadt nach San Remo. Titelverteidiger Mathieu van der Poel (Alpecin -Deceuninck) gibt seine Saisonpremiere beim ersten Monument des Jahres.

"Viel Taktik gibt es nicht", meinte der Weltmeister, der sich im Vorjahr am Ende des Anstiegs zum berühmten Poggio di Sanremo von seinen Kontrahenten lösen konnte und als Solist auf der Via Roma ins Ziel kam. Schärfster Gegner des 29-Jährigen, der am Samstag um 10:15 Uhr mit der Rückennummer 1 ins Rennen gehen wird, ist wohl Tadej Pogacar (UAE Team Emirates).

Der Slowene hat nur ein Rennen mehr in den Beinen als van der Poel, sein Auftritt bei der Strade Bianche, wo er mit einem 81-Kilometer-Solo überlegen zum Sieg fuhr, hinterließ aber auch beim Titelverteidiger Eindruck. "Er muss und wird das Rennen hart machen", ist sich der Alpecin-Kapitän sicher. Van der Poel verfügt über ein starkes Team für 'La Primavera', mit Sprinter Jasper Philipsen und dem letztjährigen Fünften Sören Kragh Andersen könnte man im Finale sogar noch zwei weitere Karten spielen.

Doch die Zeiten, in denen Mailand-Sanremo den schnellen Männern vorbehalten war, scheinen vorbei. Den letzten Sieg in einem Feldsprint sicherte sich 2016 der Franzose Arnaud Démare (heute Arkéa – B&B Hotels). Er gehört mit van der Poel zu sieben ehemaligen Gewinnern, die auch 2024 wieder am Start stehen.

Titelverteidiger hatten es in den letzten 25 Jahren nicht leicht

Neben dem Duo gehören auch Matej Mohoric (Bahrain Mohoric), der sich 2022 auf der waghalsigen Abfahrt hinunter vom Poggio mit Hilfe einer absenkbaren Sattelstütze von der Konkurrenz löste, sowie Jasper Stuyven (Lidl – Trek), Julian Alaphilippe (Soudal – Quick-Step), Michal Kwiatkowski (Ineos Grenadiers) und Alexander Kristoff (Uno-X) zu den "Glorreichen Sieben", die das Rennen schon einmal für sich entscheiden konnten.

Wie schwer die Titelverteidigung bei Mailand-Sanremo ist, zeigt der Blick in die Siegerlisten. Eddy Merckx (1975/1976), Roger De Vlaeminck (1978/1979), Laurent Fignon (1988/1989) und Erik Zabel (1997/1998 und 2000/2001) gelang dieses Kunststück in den letzten 50 Jahren, seit nunmehr 23 Jahren aber niemandem mehr.

Das Streckenprofil des 115. Mailand-Sanremo. | Grafik: RCS Sport

"Ich erwarte eine ähnliche Ausgangssituation wie im letzten Jahr. Nur bei viel Gegenwind am Poggio könnte eine große Gruppe in San Remo ankommen", blickte van der Poel voraus und warnte damit die Sprinter vor, dass die starken Klassikerfahrer wieder am letzten Hügel die Sache wohl wieder unter sich ausmachen werden. Viel Gegenwind nämlich ist am Samstag am Poggio nicht zu erwarten: nur im unteren Teil des 3,7 Kilometer langen Anstiegs mal kurz von vorne.

Die letzten Hügel sind schweres Terrain für die Sprinter

Der Regieplan für das längste Rennen des Jahres war zuletzt immer ähnlich. Nachdem eine frühe Spitzengruppe mit großem Vorsprung fahren gelassen wurde, absolvierte das Feld den Turchino-Pass geschlossen, um die letzten Ausreißer dann auf der Via Aurelia in Richtung Cipressa einzuholen. Nach gut 230 Kilometern wartet der Capo Mele, gefolgt von Capo Cervo und Capo Berta, an denen das Finale eingeläutet wird. "Am Ende entscheiden die Tagesform und die besseren Beine", weiß van der Poel.

Die Cipressa: Länger und schwerer als der Poggio, aber zu weit vorm Ziel? | Grafik: RCS Sport

Der längste unter den fünf Anstiegen im Finale ist die Cipressa (5,6 km bei 4,1%), doch die Entscheidung sollte wieder am Poggio di Sanremo (3,7 km bei 3,7%) fallen, da es vom Ende des vorletzten Anstiegs noch 22 Kilometer bis ins Ziel sind und zwischen Cipressa-Abfahrt und Poggio-Anstieg noch zehn flache Kilometer liegen, die frühen Angreifern meist den Garaus machen – auch wenn nicht wenige erwarten, dass Pogacar schon an der Cipressa attackiert. Das fürchtete die Konkurrenz schon 2023, allerdings kam es nicht dazu.

Von der Spitze des Poggio schließlich sind es nur noch sechs Kilometer bis ins Ziel. Wer hier einen kleinen Vorsprung mitnehmen kann, dem ist der Sieg fast nicht mehr zu nehmen. Die Hügel erwiesen sich, auch aufgrund des höheren Tempos der letzten Jahre, als zu großes Hindernis für die Sprinter. Pogacars Sportdirektor beim UAE Team Emirates, der Spanier Matxin Fernandez, glaubt sogar, dass die Cipressa in diesem Jahr erstmals unter neun Minuten absolviert wird und schon da nur noch rund 20 Fahrer beisammen sein werden.

Der Poggio ist meist der Scharfrichter bei Mailand-Sanremo. | Grafik: RCS Sport

So müssen Fahrer wie Kristoff, Démare, Philipsen, Biniam Girmay (Intermarché – Wanty), Olav Kooij (Visma – Lease A Bike) oder der größte deutsche Hoffnungsträger Marius Mayrhofer (Tudor) darauf hoffen, dass sich die Topfavoriten früh neutralisieren oder über Cipressa und Poggio zu viel taktieren. Doch auch hügelfestere Sprinter wie Danny van Poppel (Bora – hansgrohe), Christophe Laporte (Visma – Lease A Bike) oder Mads Pedersen (Lidl – Trek) werden sich gehörig strecken müssen um an den kletterstärkeren Spitzenfahrern wie Pogacar und van der Poel oder auch Tom Pidcock (Ineos Grenadiers) dranbleiben zu können.

Kommt aber tatsächlich eine größere Gruppe über den Poggio, werden die Karten nochmal neu gemischt und jede Attacke könnte in der Abfahrt und auf den flachen 2,5 Schlusskilometern die entscheidende sein - wie bei Mohoric 2022 oder Stuyven 2021. Fahrer wie Stefan Küng (Groupama – FDJ) oder Oliver Naesen (Decathlon AG2R La Mondiale) und Maxim Van Gils (Lotto Dstny) könnten Kandidaten für solch eine Aktion sein.

Die Hoffnungen der Italiener auf den ersten Heimsieg seit Vincenzo Nibali 2018 ruhen auf dem Vorjahreszweiten Filippo Ganna (Ineos Grenadiers) und auf Alberto Bettiol (EF Education – EasyPost), der am Mittwoch eine zehnjährige Durststrecke der Azzurri bei Mailand-Turin beendete und derzeit in Bestform zu sein scheint.

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