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19.02.2022 | (rsn) – Mit der Volta ao Algarve startete auch für den Schweizer Stefan Küng das neue Radsportjahr. Am vierten Tag der Rundfahrt in Portugal wartet für den Europameister sein erster Auftritt in seiner absoluten Spezialdisziplin, dem Einzelzeitfahren. 32,2 Kilometer von der spanisch-portugiesischen Grenze in Vila Real de Santo Antonio aus nach Taviria geht es im Kampf gegen die Uhr auf der 4. und damit vorletzten Etappe der Rundfahrt und der 28-Jährige zählt zu den großen Favoriten auf den Tagessieg.
15 seiner 22 Profisiege errang Küng bisher im Einzelzeitfahren, stieg in den letzten Jahren dort in die absolute Weltelite auf, verpasste im Vorjahr nur knapp eine Olympiamedaille. Aber nicht nur seine Paradedisziplin steht im Vordergrund der Teilnahme an der Rundfahrt im Süden Portugals, der Schweizer will sich auch den Feinschliff für die anstehende Klassikersaison holen, wie er im ausführlichen Exklusivinterview mit radsport-news.com berichtete.
Wie sind Sie mit ihrem Formaufbau zum Saisonstart zufrieden?
Die Vorbereitung an sich war ideal, weil schlussendlich willst du gut durch den Winter kommen, ohne Verletzungen oder Krankheiten und problemlos gut trainieren. Das hat alles gut gepasst, ich habe kein einziges Training auslassen müssen. Lediglich nach der dritten Impfung war ich ein paar Tage K.O., aber das war auch so eingeplant.
Ist die Vorbereitung im Vergleich zum Vorjahr anders gewesen?
Naja, im letzten Jahr kam ich aus dem Höhentrainingslager raus, aber dann wurde die Algarve-Rundfahrt verschoben und ich habe zu Hause zu viel trainiert. Die Müdigkeit habe ich dann in die gesamte Klassikersaison mitgenommen. Heuer haben wir speziell darauf geachtet, gut zu trainieren, aber nicht zu viel zu machen.
Nach einem guten Winter sitzt Küng (Bildmitte) an der Algarve lächelnd im Sattel. Foto: Peter Maurer
Welche Schwierigkeiten verursachte die Rennverschiebung damals?
Naja, es lief gut im Training und du spürst und weißt, dass du gewaltig Druck am Pedal hast und dann willst du immer weiter und weiter. Aber man muss dem Körper auch die Ruhe lassen und auf die Rennen warten. Auch die sind ein gutes Training, wie beispielsweise auf der ersten Bergetappe hier. Aber Geduld zu haben, ist nicht immer einfach als Rennfahrer.
Das Einzelzeitfahren hat sich als ihre Paradedisziplin herauskristallisiert. Was genau kommt Ihnen beim Kampf gegen die Uhr so entgegen?
Ich bin ein Fahrer mit einem großen Motor. Was mir fehlt ist der Punch und damit tue ich mich in den normalen Rennen schwer einen Unterschied zu den Kontrahenten zu machen. Für das Zeitfahren ist das aber ein riesiger Vorteil, weil da kannst du voll durchtreten.
Wie groß ist die Vorfreude jetzt auf das erste Einzelzeitfahren?
Groß, denn das ist jetzt der erste Test. Ich habe in der Saisonplanung darauf geachtet, viele Rennen mit Zeitfahren in mein Programm aufzunehmen. Im Winter haben wir nochmals etwas an meiner Position gefeilt und ich hoffe es läuft gut.
Mit Ausnahme des Europameistertitels, konnten Sie im letzten Jahr dann weder die angepeilte Touretappe noch eine Medaille bei den Weltmeisterschaften als auch den Olympischen Spielen erringen. Woran lag es?
Ich bin im Zeitfahren seit zwei Jahren in der Weltspitze angekommen und wirklich auf jedem Terrain konstant. Aber ich weiß, dass in meinem Palmarès noch das i-Tüpfelchen fehlt, wie ein Tour-Etappensieg oder eine Medaille bei Großveranstaltung. Dafür hat es leider nicht gereicht, auch wenn ich an diesen Tagen abgeliefert habe, was ich konnte und vielleicht sogar noch mehr. Trotzdem hat es nicht gereicht und wenn es so knapp ist, dann ist es umso ärgerlicher.
Am Ende fehlte nicht einmal eine Sekunde auf die Bronzemedaille in Tokio. Wie haben Sie das schon verarbeiten können?
Gerade sind die Winterspiele und da kommen bei mir wieder die Emotionen hoch. Wenn ein Skifahrer um wenige Hundertstel eine Medaille verpasst, beispielsweise. Die sind eineinhalb Minuten unterwegs und hadern damit. Bei uns war die Rennzeit eine Stunde, da sind ein paar Zehntel nichts.
Küng im Zeitfahren bei den Olympischen Spielen 2021. Foto: Cor Vos
Welche Schlüsse haben Sie aus dem vierten Platz gezogen?
Es veranlasst einen noch härter zu arbeiten, noch genauer auf jedes Detail zu schauen. In Trento bei den Europameisterschaften ist es mir aufgegangen, bei den Weltmeisterschaften dann nicht. Das war ein komplett flacher Parcours, wo nur Power und Aero zählten. Und die Power hat gepasst, also musste ich im Winter an der Aerodynamik arbeiten.
Wie spannend ist das Thema Technik für Sie?
Du musst immer dranbleiben, weil auch die jungen Fahrer, die nachkommen, immer mehr pushen. Aber auch das eigene Niveau geht jedes Jahr hoch. Im Radsport hat sich so viel getan in den letzten Jahren, auch mit der Ernährung, wo man die bestehenden Grundsätze über den Haufen geworfen hat. Und auch auf der technischen Seite kam viel neues wie Scheibenbremsen, die Tubeless-Reifen, was für einen enormen Entwicklungsschritt sorgte. Darum ist es wichtig nie den Anschluss zu verlieren.
Sind Sie ein Tüftler?
Was mich immer sehr reizt ist die Optimierung am Körper, da das Maximale rauszuholen. Ich habe ein gewisses Talent, aber du musst richtig hart dafür arbeiten, an den richtigen Schrauben drehen, damit es aufgeht. Und du musst lernen, wie du auf ein Höhentrainingslager agierst oder dich mit spezifischen Einheiten am Rad verbessern kannst. Die Technik ist für mich nicht so interessant, weil du vom Material her sowieso auf deine Partner und Sponsoren angewiesen bist und du das Produkt bekommst, dass du fahren musst.
Hätten Sie in der Zukunft Interesse, den Stundenweltrekord anzugreifen?
Da reizen mich WM-Titel oder Etappensiege bei der Tour mehr. Aber für Jürgen, meinen Mechaniker, der mich seit den BMC-Zeiten begleitet, wäre das wohl der größte Traum. Vielleicht gehe ich so ein Projekt mal an, aber sicherlich nicht in den nächsten beiden Jahren.
Aber Sie hätten grundsätzlich auch einen Bahnhintergrund. Wäre dieser nicht hilfreich für so ein Projekt?
Die Bahn war Mittel zum Zweck für mich. Ich liebe den Radsport, wenn ich sieben Stunden durch die Berge fahren kann, und Ausblick habe auf das Alpenpanorama. Meine Jahre auf der Bahn waren schön, aber es waren auch schwere Zeiten im Velodrom mit viel Arbeit. Außerdem habe ich keine Ahnung, ob ich überhaupt in der Lage wäre, sowas eine Stunde lang durchzuziehen.
Nach Portugal wartet auf Sie das “Openingsweekend“. Wie sehr haben Sie die Klassikerrennen schon in ihr Herz eingeschlossen?
Es sind immer spannende Rennen und ich habe mich dort immer gut geschlagen. Es fehlt halt noch der durchschlagende Erfolg. Die Vorbereitung war heuer perfekt und ich bin sehr zuversichtlich.
An der Algarve bereitet sich Küng auf die Klassiker vor. Foto: Peter Maurer
Strade Bianche, E3 Preis, Dwars Door Vlaanderen, die Ronde und Roubaix stehen dann am weiteren Menüplan. Welches Rennen kommt ihnen dabei am besten entgegen?
Roubaix ist sicher mein Rennen. Ich fahre das gerne und will dort auch voll angreifen. Im letzten Jahr hatte ich Pech. Wir hatten die Materialabstimmung nicht so gut hinbekommen und dadurch bin ich dreimal gestürzt.
Wie sehen Sie ihre Mannschaft für die Klassiker aufgestellt?
Mit Jake Stewart und Kevin Geniets haben wir gute Fahrer, die die Rennen schon kennen. Außerdem kommen einige Junge nach. Insgesamt haben wir eine gute Truppe beisammen.
Und was kann man in Belgien von ihnen erwarten?
Ich weiß, was es braucht und worauf es ankommt. Aber ein belgischer Klassiker hat 150 Sprints am Tag und ich bin ein athletischer, aber doch eher schwerer Fahrer. An den Anstiegen komme ich daher an meine Limits. Und wenn Leute wie Alaphilippe, Van der Poel oder van Aert loslegen, dann sind die sowieso in einer eigenen Liga. Deshalb muss man es taktisch gut lösen und dann kann man sicher was bewegen. Ich bin nicht der größte Favorit, kann mir aber vielleicht andere Wege suchen, um den Erfolg zu finden.
Das würde dann sicher auch ihren belgischen Fanclub freuen?
Ja, die würden richtig feiern, wenn ich was Großes raushaue. Mittlerweile sind die “King Küng Freunde“ auf 150 Mitglieder angewachsen und sind bei jedem Klassiker am Straßenrand zu finden und geben dort alles.
Im Juli startet die Tour de France wieder mit einem Auftaktzeitfahren. Wie groß ist der Traum vom Gelben Trikot?
In Düsseldorf vor einigen Jahren war ich Zweiter. Nun will ich es besser machen. Ich habe mir den Tag dick angestrichen im Kalender, es ist ein riesiges Ziel von mir. Aber die gesamte Crème de la Crème steht am Start und deshalb heißt es zum einen all-in gehen und zum anderen auch abliefern.
Auch in Düsseldorf fehlte nicht viel, nur fünf Hundertstel damals. Wieviel Kraft kann man aus solchen Niederlagen sammeln?
Wenn man geschlagen wird, weißt du, dass du härter arbeiten musst. Es war aber auch immer wichtig zu sehen, dass man die anderen schlagen kann, das ist mir gelungen. Es gibt keinen übermächtigen Gegner, vor dem ich mich fürchten muss und wo man am Start steht und denkt, ich habe sowieso keine Chance. Deshalb darfst du dich als Rennfahrer nicht auf Niederlagen fixieren.
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