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13.05.2021 | (rsn) – Vor einem Jahr hätte Attila Valter in seiner Heimat sein Grand-Tour-Debüt geben sollen. Der geplante Grande Partenza des Giro d'Italia in Ungarn, es wäre ein ganz besonderes Event für den Neu-Profi geworden, der damals noch bei CCC unter Vertrag stand. Doch die Corona-Krise verhinderte es.
Der Giro, den Valter trotzdem fuhr und an dessen Ende er 27. wurde – inklusive eines neunten Platzes auf der letzten Bergetappe nach Sestriere – wurde in den Herbst verschoben und der Start in Ungarn gestrichen.
Neun Monate später aber konnte Valter, mittlerweile bei Groupama - FDJ unter Vertrag, bei der Italien-Rundfahrt trotzdem ungarische Sportgeschichte schreiben. Der 22-Jährige wurde in Ascoli Piceno in den Marken am Donnerstag zum ersten ungarischen Träger des Maglia Rosa.
"Das ist der beste Tag meines Lebens", jubelte er nach der 6. Etappe der 104. Italien-Rundfahrt. "In Ungarn war es schon unglaublich mit dem Weißen Trikot. Das jetzt wird verrückt. Mein Vater ist gerade bei der Ungarn-Rundfahrt und hat mir erzählt, dass sie dort im Ziel die Ankunft des Giro gezeigt haben und mich alle angefeuert haben. Ich bin glücklich, der erste Ungar in diesem Trikot zu sein und hoffe, dass das dem Radsport in meiner Heimat einen Schub geben wird!"
Valters Vater war früher selbst Radsportler und arbeitet heute als Trainer. Über ihn kam der Filius zum Radsport – auch wenn er zunächst noch gebremst werden musste: Valter wollte schon früh Rennen fahren, durfte das aber erst als Zehnjähriger. Er begann auf dem Mountainbike, wurde mit 16 Ungarischer Juniorenmeister, nahm in den Juniorenjahren an Cross-Country-Weltcups teil und träumte von Olympia.
Werdegang: Über das Mountainbike zum l'Avenir-Etappensieg in Tignes
Weil in Ungarn aber der Straßenradsport populärer ist und vor allem besser gefördert wird, sattelte er um, fuhr mit 18 auch auf der Straße und wurde mit 20 Ungarischer U23-Meister im Straßenrennen sowie dem Zeitfahren. 2019 gewann er die Bergankunft der Tour de l'Avenir in Tignes und belegte Gesamtrang 13 dieser wichtigsten U23-Rundfahrt der Welt, um am Jahresende noch den vierten Platz bei der U23-Variante von Il Lombardia zu belegen.
Der Sprung in die WorldTour zu CCC war geschafft und Valter freute sich auf seine erste Grand Tour, die ausgerechnet in Ungarn beginnen sollte. Dann aber machte Corona einen Strich durch diese Rechnung - doch im Nachhinein half ihm das sogar: Valter konnte sich noch etwas entwickeln, gewann nach der Corona-Pause im Sommer die Ungarn-Rundfahrt und fuhr dann den Giro, wenn auch jetzt ohne Grande Partenza in der Heimat.
Außerdem ersparte ihm die Corona-Krise viel Präsenzzeit in der Uni: Er konnte sein Studium großteils von zuhause und unterwegs erledigen und schaffte es so, seine Abschlussarbeit schließlich Ende April 2021 abzugeben. "Ich weiß, dass im Sport alles passieren kann und habe deshalb lieber einen Abschluss in der Tasche", erklärte Valter zuletzt, warum er trotz Profivertrags das Studium weiter voll durchzog.
An zwei Regentagen an die Spitze geschwommen
Als 95. hatte Valter am Samstag in Turin das Auftaktzeitfahren abgeschlossen, 53 Sekunden hinter Sieger Filippo Ganna (Ineos Grenadiers). Von Rosa war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal zu träumen. Doch Valter begab sich am verregneten Dienstag auf dem Weg nach Sestola in die Ausreißergruppe des Tages, und auch wenn er mit dem Etappensieg nichts zu tun hatte, so rückte er auf den fünften Gesamtrang vor und übernahm die Führung in der Nachwuchswertung.
Durch das Aus von Joe Dombrowski (UAE - Team Emirates) am Mittwoch startete er dann als Gesamtvierter in die 6. Etappe, und als Alessandro De Marchi (Israel Start-Up Nation) aufgrund einer Tempoverschärfung der Ineos Grenadiers etwa zu Rennmitte den Anschluss verlor, kam ein Stein ins Rollen:
Im 15 Kilometer langen Schlussanstieg zum San Giacomo blickte Valter sich um und sah nur noch einen der drei in der Gesamtwertung vor ihm platzierten Fahrer: Louis Vervaeke (Alpecin – Fenix). Sowohl De Marchi als auch Nelson Oliveira (Movistar) waren der Ineos-Aktion am Forca di Presta zum Opfer gefallen und abgehängt worden. Der Belgier Vervaeke aber war mit 18 Sekunden Vorsprung auf Valter in die Etappe gestartet und nun der große Kontrahent im Kampf um Rosa – neben all den Favoriten auf den Giro-Sieg. An ihnen wollte sich Valter nun möglichst lange festbeißen, und das gelang.
"Genau das hatte ich heute im Sinn"
"Es ist lustig, über so etwas morgens zu scherzen, aber wirklich daran zu glauben, das ist etwas anderes. Ich könnte nicht überraschter und glücklicher sein, aber trotzdem: Ja, genau das hatte ich heute im Sinn", verriet Valter, nachdem es gelungen war. Während Vervake nach Bernals Angriff im Finale in Probleme geriet, biss sich Valter bei Simon Yates (BikeExchange) fest und folgte dem Giro-Top-Favoriten bis ins Ziel. 17 Sekunden nach Bernal und Remco Evenepoel (Deceuninck – Quick-Step) rollte er über den Strich – und 43 vor Vervaeke.
"Ich habe mich im Ziel umgeschaut, wer bei mir war und dachte mir: 'Ich habe es geschafft!' Aber niemand hatte offizielle Infos. Nach zwei Minuten kam dann eine Person von der Organisation zu mir und sagte: 'Du hast das Rosa Trikot'. Das war ein unglaubliches Gefühl", so Valter. "Ich kann noch immer nicht glauben, dass es wahr ist."
"Das ist uns seit Bradley McGee nicht mehr passiert"
Ähnlich ging es auch Teamchef Marc Madiot, der völlig überwältigt war. "Das habe ich absolut nicht erwartet", freute sich der Franzose. "Das ist uns seit Bradley McGee nicht mehr passiert!" Der Australier McGee hatte vor 17 Jahren den Prolog des Giro gewonnen und zwei Tage lang das Maglia Rosa für Francaise des Jeux getragen, ehe es ihm Gilberto Simoni (Saeco) bei der ersten Bergankunft abnahm.
Mit der Möglichkeit, um Rosa zu kämpfen im Hinterkopf, ging aber nicht nur Valter selbst die 6. Etappe an. Auch der Sportliche Leiter Philippe Mauduit hielt dieses Szenario vor dem regnerischen Tag in den Marken für möglich. "Ich habe heute Morgen keinen Druck auf ihn ausgeübt, aber seine Teamkollegen darum gebeten, möglichst lange bei ihm zu bleiben, um ihm zu helfen", so der Franzose und freute sich: "Für Attila war das Weiße Trikot schon ein Traum. Jetzt ist er in Rosa. Davon wird er die ganze Nacht träumen."
Fernziel: Giro-Sieg
Die Frage ist nun: Wie viele Nächte darf Valter - neben dem mit Marton Dina (Eolo – Kometa) übrigens noch ein zweiter Ungar beim Giro am Start steht, auch das ist ein Rekord - im Rosa Trikot verbringen?
"Wer weiß? Vielleicht mache ich einen Almeida (Joao Almeida fuhr 2020 überraschend von der 3. bis zur 18. Etappe in Rosa durch Italien, Anm. d. Red.). Aber es wird sicher viel Druck mit sich bringen. Wir werden sehen, wie die nächsten Tage werden", gab sich Valter gegenüber wielerflits.nl am Donnerstag bereits selbstbewusst. Langfristig wolle er bei einer Grand Tour auch um den Gesamtsieg kämpfen. "Insofern war das heute ein Schritt in die richtige Richtung. Eines Tages will ich hier darum kämpfen, das Rosa Trikot bis zum Schluss zu tragen."
Eventuell soll der 2020 abgesagte Grande Partenza in Budapest im kommenden Jahr nachgeholt werden. Jeder Tag, an dem Valter nun das Rosa Trikot trägt, dürfte das wahrscheinlicher machen.
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