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18.12.2024 | (rsn) - Colnagos neues Aerorad Y1Rs hat nach dem Leak einiger erster Bilder Anfang Dezember die Gemüter in der Radsport-Welt erhitzt und mit seiner auffälligen neuen Rahmenkonstruktion rund um eine versetzte Sattelstütze neben Unglaube sogar für Hohn und Spott gesorgt.
Als die italienische Tradtionsschmiede das Rad am 9. Dezember dann offiziell vorstellte und es tatsächlich sehr nah an den geleakten ersten Bildern lag, änderte sich daran wenig. Radsport-Romantiker warfen der Firma einen Bruch mit Konventionen und Traditionen vor, mehr auf Leistung und Sitzpositionen konzentrierte Vertreter fragten laut, wie der neue Rahmen und das neue Cockpit in der Praxis funktionieren sollen.
radsport-news.com saß tagsdrauf im Rahmen des Medientages beim UAE Team Emirates in Benidorm in Spanien mit Colnagos Designer Torgny Fjeldskaar sowie Ingenieur Filippo Galli zusammen, um über das Rad zu sprechen, das derzeit für Furore sorgt, ohne dass es überhaupt schon in einem Radrennen gefahren worden wäre.
Dabei ließ sich der in der Schweiz lebende Norweger Fjeldskaar nicht beunruhigen. "Wenn man ein radikales Design auf den Markt bringt, mag das nicht jeder. Damit habe ich gerechnet – oder besser: Davon bin ich ausgegangen", antwortete er auf die Frage, ob die ersten Reaktionen nach dem Leak der Studien, die aus dem internen Entstehungsprozess stammen, ihm weh getan hätten.
Und Galli ergänzte: "Es war wirklich schade. Der Leak kam aus einer internen Präsentation, und wenn man ganz genau hinschaut, dann ist es noch nicht mal die finale Form des Rahmens. Aber das traurigste an dem Leak ist eigentlich, dass man eine disruptive Entscheidung trifft und das Bild dann nicht durch Informationen und Hintergründe gestützt werden konnte. Das ließ Raum für Interpretationen und viel Gerede."
Neben dem versetzten Sitzrohr ist auch die Front samt Y-Cockpit – hier mit angebauter Halterung für den Radcomputer - ungewohnt. | Foto: Felix Mattis
Die wichtigsten Zusatzinformationen zu den Bildern seien neben den verbesserten Aerodynamikwerten im Vergleich zum 200 bis 300 Gramm leichteren V4Rs – laut Herstellerangaben sind es 20 Watt bei 50 km/h - die vor allem durch die um 19 Prozent schlankere neue Front mit einem in Y-Form gehaltenen Cockpit und schmalem Steuerrohr sowie bajonettförmiger Gabel zustande kommen, vor allem Aussagen zum versetzten Sitzrohr mit einem Neigungswinkel von 65 Grad. Das nämlich sei weniger für die reine Aerodynamik so gewählt, als für den Komfort.
"Es kommen damit viel weniger Vibrationen beim Fahrer an, er ermüdet deshalb weniger schnell", erklärte Fjeldskaar das Konzept, das durch eine Änderung der UCI-Regularien zu Rahmenformen vor zwei Jahren erst möglich geworden ist. "Wenn kein Radfahrer draufsitzt, bringt auch das versetzte Sitzrohr aerodynamische Vorteile, aber wenn jemand draufsitzt, sind das dort hinten nur noch 'marginal gains' – die Luftverwirbelungen sind etwas anders. Aber das ist mit Sportler im Sattel kaum messbar." Entscheidender sei eben der zusätzliche Komfort, wenn Fahrer wie Tadej Pogacar lange Solofluchten fahren oder seine Helfer stundenlang an der Spitze des Pelotons im Wind schuften. Fjeldskaar wiederholte in seinen Ausführungen dazu immer wieder den Terminus "vertikale Nachgiebigkeit".
Das Y-Cockpit aus der Fahrerperspektive. | Foto: Felix Mattis
Begonnen haben die Entwicklungsarbeiten übrigens schon 2021, also nach dem zweiten Tour de France-Sieg von Pogacar. "Es war am Anfang eine ganz klare Anfrage vom Team, als sich die Änderungen im UCI-Reglement andeuteten", blickte Galli auf die ersten Monate zurück. "Wir wollten ihnen dann ein Rad bauen, das in verschiedenen Rennsituationen einsetzbar ist, dort Vorteile bringt und auch gut handhabbar ist", erklärte er. Im Sommer 2022, also unmittelbar nach Pogacars erster Tour-Niederlage gegen Jonas Vingegaard, war ein erster Prototyp im 3D-Druck fertig.
Danach wurde weiter getestet, modifiziert und auch verworfen. "Das Feedback der Fahrer war sehr wichtig", so Galli. So soll Pogacar einzelne Varianten des Prototypen bereits am Poggio getestet haben. Der Weltmeister selbst, bei dessen eigener Pressekonferenz zur Saison 2025 das neue Rad in Weiß mit Regenbogenstreifen neben dem Podium stand, hielt sich in seinen ersten Aussagen noch bedeckt und verwies darauf, dass er das fertige Rad nun erstmal ausgiebig testen müsse, vor allem auch hinsichtlich des Fahrverhaltens. Bei Mailand-Sanremo beispielsweise sei in den "technischen Abfahrten von Cipressa und Poggio gutes Bikehandling entscheidend", meinte der Slowene.
Das Unterrohr schmiegt sich nah ans Vorderrad an. | Foto: Felix Mattis
"Wir sammeln jetzt Daten und Messwerte mit allen möglichen Kombinationen an Anbauteilen, die dem Team zur Verfügung stehen – verschiedene Laufräder und so weiter. Und natürlich werden wir auch Strecken-Recons der wichtigsten Rennen damit fahren, um dann genau zu analysieren, wo dieses Rad Sinn macht und wo ein anderes Rad Sinn macht", erklärte Galli.
Die größten Vorteile des Y1Rs sehen die Colnago-Leute in erster Linie bei den Sprintern und Tempobolzern des Teams. In dem Bereich ist UAE mit nur einem Saisonsieg 2024 durch den Kolumbianer Sebastian Molano nicht sonderlich stark aufgestellt gewesen. "Auch den Fahrern, die viele Kilometer lang Tempoarbeit vor dem Feld verrichten, kommt das neue Rad entgegen", meinte Fjeldskaar. Und wenn Pogacar bei seinen Alleinfahrten vor dem Feld ebenfalls einige Watt weniger treten muss als zuvor, werde das sicher auch helfen.
"Wir glauben, dass das Rad auch auf welligem Terrain von großem Vorteil sein kann. Wenn Fahrer wie Tadej mehr als 50 Kilometer vor dem Ziel angreifen, sind sie mehr als eine Stunde allein bei über 40 km/h im Wind unterwegs – auch auf welligem Terrain. Da macht das definitiv einen Unterschied", so Galli.
Die Flaschenhalter sind in das Unterrohr und den vertikalen unteren Teil des Sitzrohrs integriert. | Foto: Felix Mattis
Neben der Front seien auch das sehr nah ans Vorderrad angeschmiegte Unterrohr und die integrierten Flaschenhalter für die verbesserte Aerodynamik wichtig, führte Fjeldskaar weiter aus. "Im Bereich des Profils der Rohre gibt es nicht viel, was man machen kann. Da kann man keine neuen Tragflächenprofile erfinden, die besser sind, als die, die es schon gibt. Es ging also mehr darum, die Punkte zu verbinden und wie man die Verbindungsstellen formt", so der Norweger.
"Das Rad ist so sehr von Aerodynamik getrieben, das uns dieses Thema den gesamten Prozess über geleitet hat. Als Designer kann man da Meinungen haben, aber das Ziel des Projekts war so klar, dass es wenig zu diskutieren gab. Dann kommt etwas radikaleres heraus und immer wenn das so ist, gefällt es nicht jedem. Aber das ist okay. Es muss nicht jedem gefallen. Es gibt auch noch andere Colnago-Modelle, die traditioneller aussehen. Aber wenn man versucht, etwas zu bauen, was jedem gefallen wird, dann kommt eine deutlich schlechtere Performance heraus. Wir können uns bei Performance-Projekten für das Profi-Team nicht von Konventionen aufhalten lassen."
Die Aussagen machen klar, dass es beim Y1Rs nicht darum ging, ein Rad für die Massen zu bauen, sondern eines, das für den High-End-Performance-Bereich gemacht ist. Das wird umso deutlicher, wenn man überlegt, dass das Rad beim Kauf sofort inidividuell angepasst werden muss, mit einem guten Bikefitting. Denn die versetzte Sattelstütze, die kaum in den Rahmen eintauchen kann, bietet nur wenig Spielraum in Sachen Höhenverstellung, wenn man nicht gleich das Sattelrohr durch ein längeres oder kürzeres austauscht.
Das Sattelrohr verschwindet im Rahmen. Festgeschraubt wird es durch das Oberrohr. | Foto: Felix Mattis
Entsprechend wird Colnago das Y1Rs auch nur mit Bestausstattungen verkaufen und den Einsteigerbereich sowie die mittleren Gruppensets aussparen. Das Rahmenkit soll in Europa 6.710 Euro kosten, mit SRAM Red 12.300 Euro, mit Shimano Dura Ace und Enve 4.5-Laufrädern – also der exakten Team-Replica - kostet es 16.200 Euro und mit der Dura Ace und 45er Vision-Laufrädern 13.200 Euro.
Was die Optik betrifft, sind sich die Macher außerdem einig, dass das erstens auch eine Gewöhnungssache ist und zweitens Akzeptanz möglicherweise auch durch Erfolge im Profi-Zirkus mit dem Y1Rs wachsen dürfte. "Ein paar erste Ideen waren noch wilder. Aber dabei muss man auch bedenken, dass das Design von Straßenrädern in den letzten Jahren sehr konservativ war, es aber schon in den 1990er Jahren, als ich jung war, ziemlich spannend war. Es gab damals das Lotus-Rad und auch viele verrückte Colnagos. Da muss man nur ins Colnago-Museum gehen, um das zu sehen. Im Gesamtkontext der Rad-Entwicklung ist es also gar kein so radikales Design", meinte Fjeldskaar und Galli ergänzte:
"Wenn man sich die Colnagos aus den 1980er oder 1990er Jahren anschaut, da gab es Modelle von Ernesto selbst, die ganz klar noch deutlich aggressiver waren. Googlen Sie mal das Colnago Carbon Volo von 1988 zum Beispiel. Colnago war damals berühmt für experimentelle, verstörende Formen. So gesehen ist das neue Rad vielleicht sogar mehr Colnago, als das, was wir in den letzten Jahren gesehen haben."
Das Colnago Y1Rs in der Heckansicht. | Foto: Felix Mattis
Sicher scheint auch, dass das Y1Rs herstellerübergreifend nicht das Ende der Fahnenstange sein wird. "Das versetzte Sitzrohr ist neu, weil es nach UCI-Regularien erst jetzt legal ist. Ich denke, in den kommenden Jahren werden wir mehr und mehr Vielfalt bei den Silhouetten sehen", meinte Fjeldskaar. All diejenigen, denen der Rahmen des Y1Rs also nicht gefällt, sollten wohl schon einmal mit der Umgewöhnung anfangen.
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