Nizza - Fahrrad-Medikamenten-Lieferdienst für isolierte Menschen

“Das ist das, was gerade getan werden muss“

Von Jacqueline Hoffmann

Foto zu dem Text "“Das ist das, was gerade getan werden muss“"
| Foto: Café du Cycliste

29.04.2020  |  Auch in diesen schweren Zeiten gibt es schöne Geschichten, die unseren Alltag ein wenig erhellen: Hacker, die Versorgungsengpässe mit "Hackathons" ausbügeln, Musiker, die Live-Shows aus ihren Wohnzimmern streamen, Autofirmen, die Beatmungsgeräte herstellen - jedes bisschen hilft...

Letzte Woche erreichte uns eine WhatsApp-Nachricht von unserem Freund "Kong Fufu" alias Cedrick Dubois.
Er ist tagsüber Kriminal-Inspektor, in der übrigen Zeit Vater und Amateur-Radrennfahrer: Letztes Jahr gewann er die Freizeit-Rennen L’Étape du Tour und Roc d’Azur Gravel. Und vor allem ist er süchtig nach der Natur, nach Radfahren, Abenteuer und den Alpes-Maritimes...

Sein örtlicher Apotheker Thibault fragte ihn kürzlich, ob er Lust hätte, ein Teil des medizinischen Lieferdienstes für ältere, gefährdete und isolierte Menschen in der Region um L’Escarène zu übernehmen, rund 20 km nördlich von Nizza. Natürlich hatte Kong Fufu nur eine Antwort...

Wir treffen Cedrick draußen vor der Apotheke.
Er muss warten, bis ein Kunde, der in der Apotheke bedient wird, wieder herauskommt. Apotheker Thibault ist offensichtlich ein Mann mit Humor: An der Tür hängt ein Schild, das Pensionäre bittet, lieber draußen zu bleiben und wenn möglich jüngere Familienmitglieder zu schicken - vorzugsweise weiblich, hübsch, und im Alter zwischen 21 und 30 Jahren.

Cedrick betritt die Apotheke; überall sind Warnhinweise auf den unsichtbaren Feind. Thibault trägt eine Maske und steht hinter dem Tresen mit einer hohe Plexiglas-Scheibe. Seine Kollegen im Hinterzimmer bereiten verschriebene Medikamente vor - Medikamente, die an Menschen geliefert werden, die sie dringend brauchen, und die Leben retten.

Thibault hat auch Kunden, die in den Tälern
und auf den Bergen der Seealpen rund um Nizza leben, in kleinen Weilern, oft allein, und teilweise völlig abgeschottet. Thibault ist wie Cedrick Radsportler, und beide kennen ihre Region genau: Mancher Schotterweg ist nicht ohne Risiko zu befahren.

Heute gibt es eine Lieferung an eine Patientin in Peille, die an einer Lungenkrankheit leidet und daher zu den Hochrisiko-Patienten gehört. Verglichen mit gestern ist das wenig zu tun, erzählt Cedrick: "In einer dreistündigen Runde habe ich es geschafft, sieben Menschen zu beliefern; das waren 70 km und rund 2000 Höhenmeter, bis hoch an das Kastell am Col de Braus."

Cerdrick fährt eine kleinen Straße
von L’Escarène nach Peille: die Route de Très, die später zur Route du Col Banquettes führt - wenig bekannt, aber eine der Lieblingsstrecken der Einheimischen. Sie verläuft zwischen den Bergspitzen an der Nordseite des berühmten Col de la Madone.

Zunächst geht es über Spitzkehren, von Kiefern überdacht, aus dem Tal heraus, auf einem Plateau weiter durch einen Olivenhain, bevor der Weg sich über Serpentinen erneut nach oben schlängelt - eine Bergfahrt, die dem Madone durchaus ähnelt. Nach 45 Minuten erreicht man mit zwei letzten Haarnadelkurven die Passhöhe Côte de Peille.

Peille ist selbst zu Stoßzeiten eine ruhige Stadt;
heute könnte man hier eine Stecknadel fallen hören. Wir fahren über eine steile Straße hinter der Stadt wieder heraus, zu den Cul-de-Sacs, den Sackgassen, die zu den abgelegenen Häusern am Stadtrand führen. Weiter oben hat der Beton der Straßen horizontal verlaufende Bänder - und das kann nur eines bedeuten: Steigungen von oft über 15 Prozent.

Am Ende des Weges liegt unser Bestimmungsort, er ähnelt dem Gebäude der Apotheke am Anfang der Reise. Cedrick schmeißt sein 7000-Euro-Gravelbike in eine Hecke am Straßenrand, und nimmt den Rucksack ab. Thibault war sehr deutlich in seinen Anweisungen: “Nimm das Paket, und lege es an der Vorderseite des Grundstücks ab. Geh nicht weiter! Und dann geh mindestens fünf Meter zurück, wenn jemand kommt. Ansonsten schaden wir mehr, als dass wir helfen.“

Ein altes Ehepaar erscheint; sie sind freundlich,
aber vorsichtig und tragen selbstverständlich Masken. Der Mann fragt, ob denn das Fahrrad elektrisch sei, weil der Weg hierher so schrecklich steil ist - er kennt Kong Fufu nicht... Die Frau steht hinter ihrem Mann; sie ist sichtlich nervös, hatte vor kurzem eine Lungenentzündung. Die Hauptsorge des Paares gilt jedoch der Bezahlung. Cedrick entgegnet, dass das kein Problem sei: "Thibault hat das schon geregelt!"

Und comme ça, einfach so, ist der Job erledigt - eine Interaktion, die Kürze erfordert, um für die Kunden folgenlos zu bleiben. Cedrick wird nicht erfahren, wie es dem Ehepaar weiter geht. Er fährt zurück nach Hause; morgen kommt er wieder zur Apotheke, um weitere Päckchen zu verteilen.

"Das ist das, was gerade getan werden muss",
sagt Cedrick mit einem Achselzucken. Und sein Rad ist wieder das geworden, was es einst war: Ein Werkzeug - und durchaus eines, das auf seine eigene kleine Weise eine große Hilfe ist...

Jacqueline Hoffmann ist Pressesprecherin des Radbekleidungs-Schneiders Café du Cycliste in Nizza.

 

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