Interview mit dem Zeitfahrweltmeister

Tony Martin: "Wir können ein großes Team aufbauen"

Foto zu dem Text "Tony Martin:
Tony Martin hatte in der abgelaufenen Saison allen Grund zum Strahlen. | Foto: ROTH

21.10.2011  |  (rsn) – Tony Martin blickt auf die erfolgreichste Saison seiner Karriere zurück. Der 26 Jahre alte Eschborner mit Wohnsitz im schweizerischen Kreuzlingen gewann in diesem Jahr drei Rundfahrten und feierte zehn Erfolge in Zeitfahren. Die Krönung war der Weltmeistertitel im September, als Martin sich in Kopenhagen nach einer perfekten Vorstellung das Regenbogentrikot überstreifen durfte.

Im Interview mit Radsport News äußert sich der Zeitfahrweltmeister zu seinen Leistungen in diesem Jahr, beschreibt seine ersten Eindrücke, die er bei einem Mannschaftstreffen von seinem neuen Team Omega Pharma-Quick Step gewonnen hat und erklärt, warum er auch bei der Tour de France 2012 trotz dreier Zeitfahren nicht das Gesamtklassement im Blick hat.


Am Dienstag wurde die Tour 2012 vorgestellt. Was sagen Sie zur Strecke?
Martin: Natürlich freue ich mich über den langen Prolog und die beiden Einzelzeitfahren. Ich habe mir die Strecke noch nicht genauer angeschaut, aber wie ich gehört habe, soll sie diesmal nicht die allerschwerste sein. Ich habe mich mit dem Thema ehrlich gesagt noch nicht so intensiv beschäftigt.

Zwei lange Zeitfahren, nur zwei Bergankünfte im Hochgebirge – werden Sie Ihre Pläne nun ändern und bei der Tour 2012 doch auf Gesamtwertung fahren?
Martin: Ich werde mich jetzt nicht dazu hinreißen lassen, alle meine Pläne für 2012 über den Haufen zu werfen. Mein Fokus liegt im kommenden Jahr auf den beiden Tour-Zeitfahren und dem olympischen Zeitfahren. Sicherlich kommt mir der Streckenverlauf der Tour entgegen und sollte ich wirklich vorne mitfahren können, werde ich ganz bestimmt alles geben. Aber ich will mich nicht zu sehr unter Druck setzen.

Sie kommen gerade von einem zweitägigen Mannschaftstreffen ihres neuen Omega Pharma-Quick Step-Teams. Wie sind Ihre Eindrücke?
Martin: Die sind sehr positiv. Für mich ist das eine interessante Mischung aus Altbekanntem – ein Großteil meines bisherigen Teams ist ja mit mir zu Quick Step gewechselt - und Neuem, mit dem ich mich jetzt erstmal beschäftigen muss. Unser Treffen war eine Art erstes Abtasten und es ist zu früh, mehr dazu zu sagen. Aber ich denke, dass wir hier ein wirklich großes Team aufbauen können.

Quick Step hat nicht nur neuen Sponsor, sondern auch viele neue Fahrer. Wie lange wird es dauern, bis die Mannschaft so eingespielt ist wie z.B. Ihr altes Team HTC-Highroad?
Martin: Da wird schon einige Zeit ins Land gehen, aber ich denke, dass wir vielleicht schon zum Ende des Frühjahrs auf einem ähnlichen Niveau wie früher HTC-Highroad sein werden. Aber man sollte sich nicht wundern, wenn es nicht gleich vom ersten Rennen an optimal läuft. Praktisch kommen da Fahrer aus zwei Teams zusammen, die im vergangenen Jahr noch gegeneinander gefahren sind, zudem haben wir viele junge Fahrer dabei. Ich hoffe, dass wir bei den nächsten Treffen – Teambuilding und Trainingslager in Calpe – schnell zueinander finden und dann auch entsprechenden Teamgeist aufbauen können.

Ihr neues Team hat einen guten Ruf als Sprinter- und Klassikermannschaft. Was waren de ausschlaggebenden Gründe für Zeitfahrspezialisten wie Bert Grabsch und Sie, ausgerechnet nach Belgien zu wechseln?
Martin: Wir haben das Potenzial des Teams gesehen und Quick Step hat gemerkt, dass es Zeit für einen Umbruch ist und man neue Strukturen braucht. Leistungsmäßig haperte es in der vergangenen Saison, was ja manchmal an Kleinigkeiten liegt. Teamchef Patrick Lefevere wollte nicht nur unbedingt uns Fahrer, sondern auch den Stab von HTC-Highroad mit Sportlicher Leitung, Physiotherapeuten, Trainer etc. Und dann hat das Team eigens für uns die Radmarke ausgetauscht, hat sich von Eddy Merckx-Rädern getrennt und ist zu Specialized gewechselt. Das alles waren gute Signale, die wir vom Team erhielten. Und in den Gesprächen mit Patrick Lefevere hatte ich ein richtig gutes Gefühl, da hat alles gepasst und ich hatte sofort großes Vertrauen in ihn.

Wenn Sie Ihre Saison 2011 in einigen Sätzen zusammenfassen solltest - wie würden die lauten?
Martin: Das soll jetzt nicht überheblich klingen, aber für mich war es am beeindruckendsten, dass ich meine Form von Februar bis Oktober halten konnte und in den Zeitfahren praktisch unschlagbar war. Vergleichbares kannte ich bisher nur von Fahrern wie Gilbert, der bei schweren Klassikern und auf ansteigenden Zielgeraden praktisch mit Ansage siegt, oder Cavendish in den Massensprints. Die Zeitfahren waren für mich in diesem Jahr ein tolles Erlebnis, fast wie ein Selbstläufer. Und mit meinem Sieg im WM-Zeitfahren ging für mich ein Traum in Erfüllung.

Sie haben bei der WM ein perfektes Zeitfahren hingelegt. Gibt es denn da überhaupt noch Steigerungsmöglichkeiten?
Martin: Die Bedingungen von Kopenhagen genommen gibt es für mich tatsächlich keine Verbesserungsmöglichkeiten mehr. Da stimmte einfach alles: die Vorbereitung, dass ich gesund durch die Saison gekommen bin, das Material, die Sitzposition, einfach alles. Aber die Strecke von Kopenhagen war nicht perfekt für mich, zu flach, zu viele Kurven. Ich mag eher profiliertere Strecken wie die beim Chrono des Nations etwa.

Sie haben in der abgelaufenen Saison Fabian Cancellara mehrfach besiegt, teilweise mit deutlichem Abstand. Wie wichtig war das für Sie, Duelle gegen den überragenden Zeitfahrer der vergangenen Jahre zu gewinnen?
Martin: Ich habe mich nie an Cancellara gemessen. So was wäre auch unfair anderen gegenüber wie Wiggins oder Evans, der ja im Tour-Zeitfahren ziemlich nah an mir dran war. Fahrer wie die beiden werden vor allem von der Presse häufig unterschätzt und es wird alles auf ein Duell zwischen Cancellara und mir zugespitzt. Es tut mir übrigens auch leid, wie Fabian wegen der Bronzemedaille regelrecht degradiert wurde. Im nächsten Jahr kann das aber alles schon wieder ganz anders aussehen.

Können Sie schon etwas zu Ihrer Saisonplanung 2012 sagen?
Martin: Ich habe meine Wünsche beim Team eingereicht und hoffe, dass ich wieder einen ähnlichen Saisonplan haben werde wie im vergangenen Jahr, also beginnend mit der Mallorca Challenge und der Algarve-Rundfahrt.

Ihr bisheriger Teamchef Rolf Aldag verabschiedet sich aus dem Radsport. Hätten Sie ihn gerne als Teamchef bei Quick Step gesehen?
Martin: Ich hoffe ja, dass da das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und dass Rolf Aldag früher oder später noch dazu kommt oder zumindest in den Radsport zurückkehrt. Rolf und ich bleiben auf jeden Fall in Kontakt und er wird mir auch künftig mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Sie haben 2011 drei Rundfahrten gewonnen, mit Paris-Nizza war auch eine sehr renommierte dabei. Wie groß ist Ihr Ehrgeiz, bei einer dreiwöchigen Rundfahrt unter den Besten zu landen?
Martin: Ich habe ja schon angekündigt, dass ich mir da in den kommenden zwei, drei Jahren eine Art Auszeit gönnen möchte. Dann werde ich Ende 20 und körperlich, mental und in Sachen Erfahrung stärker sein. Ich schreibe aber die Gesamtwertung bei großen Rundfahrten nicht ab. In Frage käme dann allerdings nur die Tour de France, denn im Hinblick auf die WM wäre die Gesamtwertung bei der Vuelta keine Option für mich. In den kommenden Jahren möchte ich mir aber den Druck nehmen, bei der Tour ganz vorne landen zu wollen.


Mit Tony Martin sprach Matthias Seng.

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