Analyse der 105. Flandern-Rundfahrt

Asgreen hatte die Beine und das Selbstvertrauen

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Kasper Asgreen (Deceuninck - Quick-Step) auf dem Weg zum größten Sieg seiner bisherigen Karriere | Foto: Cor Vos

04.04.2021  |  (rsn) - Es war keine Sensation wie bei Mailand-Sanremo, wo sich Jasper Stuyven (Trek - Segafredo) mit einem späten Überraschungsangriff den größten Sieg seiner Karriere sicherte. Aber die Art und Weise, wie sich Kasper Asgreen (Deceuninck - Quick-Step) bei der 105. Flandern-Rundfahrt nach 254 schweren Kilometern gegen Top-Favorit und Titelverteidiger Mathieu van der Poel (Alpecin - Fenix) durchsetzte, kam zumindest überraschend: Der Dänische Meister, 2019 bereits Zweiter der Flandern-Rundfahrt, ließ sich von seinem niederländischen Pendant im Sprint zunächst nicht abschütteln und zog schließlich an van der Poel vorbei, der einige Meter vor der Ziellinie resignierend die Beine hochnahm und mit Kopfschütteln seine Niederlage registrieren musste.

Asgreen krönte eine mal wieder clevere Vorstellung seines Teams, das zur “Ronde“ unter dem Namen Elegant - Quick-Step antrat und bereits am Molenberg rund 100 Kilometer vor dem Ziel das Tempo anzog und mit mehreren Fahrern das Feld schon hier ausdünnte. Doch im Finale war es nicht Weltmeister Julian Alaphilippe, der um den Sieg kämpfte, sondern der als Joker gestartete Asgreen, der nicht nur alle Attacken van der Poels mitging, sondern selber mehrfach angriff und sich auch nicht durch einen Sturz aus dem Konzept bringen ließ.

Als van der Poel schließlich am Oude Kwaremont 17 Kilometer vor dem Ziel alles in die Waagschale warf, musste zwar der Vorjahreszweite Wout Van Aert (Jumbo - Visma) passen, Asgreen aber wurde der Niederländer nicht los. Auf den letzten Kilometern arbeitete das Duo schließlich harmonisch miteinander - der Däne hatte sich entschlossen, es auf einen Sprint ankommen zu lassen.

Asgreen scheute nicht den Sprint gegen van der Poel

Den startete er schließlich von van der Poels Hinterrad schon rund 250 Meter vor dem Ziel. “Ich weiß nicht ob ich der Beste war, aber ich hatte gute Beine. In den letzten Wochen war ich gut, darum hatte ich Selbstvertrauen. Ein Zweiersprint war mir lieber als ein Dreiersprint, darum wollte ich nach dem Paterberg zu zweit zum Ziel fahren. Wir wollten das Rennen früh hart machen – und das hat gut funktioniert“, sagte der 26-Jährige danach im Interview bei Sporza zu seiner und der Taktik seines Teams, das auf mittlerweile zwölf Siege beim flämischen Radsport-Monument kommt, darunter allein drei in den vergangenen fünf Jahren.

Auch wenn es mit der ersten Titelverteidigung bei der Ronde seit 2014, als Fabian Cancellara seinen Vorjahressieg wiederholte, nicht klappte, konnte auch van der Poel mit seinem letzten Frühjahrseinsatz zufrieden sein. Zwar gab der Niederländer offen zu, “tief enttäuscht“ zu sein, erwies sich aber als fairer Sportsmann, indem er Asgreen schon im Ziel gratulierte.

“Ein Sprint nach 260 Kilometern ist nicht so wie einer nach 200. Ich merkte, dass ich am Limit war und er war wirklich stark. Er ist ein verdienter Sieger“, lobte van der Poel seinen Konkurrenten, dem er zudem attestierte, hart für den Erfolg gearbeitet zu haben. “Wir haben schnell gemerkt, dass wir einander brauchen, um zum Ziel zu fahren. Er hat auch die ganze Zeit mitgeführt. Das sagte natürlich genug aus. Er hatte Selbstvertrauen. Ich dachte darum auch nicht, dass ich schon gewonnen hatte“, betonte der Strade-Bianche-Gewinner, dem am Ende die entscheidenden Körner fehlten, vielleicht auch deshalb, weil seine Helferriege durch die frühe Disqualifikation von Otto Vergaerde und spätere Sturz-Ausfälle dezimiert war.

Van der Poel beeindruckt als fairer Zweiter

Dagegen konnte Elegant - Quick-Step personell aus dem Vollen schöpfen, obwohl das Team auf Zdenek Stybar verzichten musste. In Oudenaarde büßte van der Poel dann für seine vielen Attacken. “Ich war leer. Ich konnte nur noch fünf Sekunden durchziehen. Aber ich gönne es Asgreen. Er ist jemand, der die ganze Zeit mitfährt – und das sehe ich gern“, betonte der Alpecin-Star, der nach einer kurzen Rennpause auf das Mountainbike wechseln wird.

Das Maximum holte dagegen Greg Van Avermaet (AG2R Citroën) heraus, der im Sprint der ersten Verfolger Jasper Stuyven (Trek - Segafredo) niederrang und bereits zum vierten Man in seiner Karriere auf dem “Ronde“-Podium landete. “Der dritte Platz war das bestmögliche Resultat heute“, sagte der 35-Jährige. “Am Ende waren alle müde. Wenn man dann zum Sprint kommt, kann man nie sicher sein, wie es ausgeht. Ich fühlte, dass ich noch Reserven hatte, um Jasper zu schlagen und aufs Podium zu kommen“, so Van Avermaet, der zeigte, dass er nach wie vor zu den besten Klassikerjägern gehört, auch wenn sein letzter Sieg bei einem großen Frühjahrsrennen bereits vier Jahre zurückliegt.

Auch schon drei Jahre sind vergangen, seit Peter Sagan (Bora - hansgrohe) letztmals bei einem bedeutenden Klassiker triumphierte - damals war der Slowake als Gewinner von Paris-Roubaix Nachfolger Van Avermaets. Auf den schweren 254 Kilometern von Antwerpen nach Oudenaarde machte sich bei Sagan der Formrückstand bemerkbar - eine Folge seiner Corona-Erkrankung Anfang des Jahres.

Bei Sagan machen sich die Folgen der Corona-Erkrankung bemerkbar

“Das Rennen war extrem hart und ich glaube, es war eine der schnellsten Flandern-Rundfahrten der Geschichte. Wir hatten ein starkes Team und die Jungs haben auch wirklich sehr gut gearbeitet, aber als die Attacken begannen, konnte ich mit meiner aktuellen Form einfach nicht mithalten. Ich muss weiter arbeiten, um das Niveau, das ich vor meiner Covid-Infektion hatte, zu erreichen“, kommentierte der 31-Jährige seinen 15. Platz, sieben Positionen vor seinem zeitgleichen Teamkollegen Nils Politt, bei dem sich wohl auch das Startverbot bei der E3 Classic und Gent-Wevelgem nachteilig bemerkbar machte.

“Natürlich war die Vorbereitung auf das Rennen alles andere als optimal, dennoch hätten wir in der zweiten Gruppe zumindest einen Fahrer haben müssen“, sagte Boras Sportlicher Leiter Enrico Poitschke und fügte an: “Auf den letzten 50 Kilometern hatten Peter und Nils heute einfach nicht die Beine.“

Gleiches galt für Lukas Pöstlberger, der als Zimmerkollege des positiv getesteten Matthew Walls sieben Tage in Quarantäne verbrachte. Erst am Donnerstag endete seine “Einzelhaft“ und bis dahin stand Rollentraining auf dem Programm. “Die Beine waren gut, aber die Vorbereitung war natürlich alles andere als ideal“, sagte Pöstlberger, der sich zur Rennmitte immer wieder vorne im Feld zeigte und dort Tempoarbeit für seine Kapitäne machte. “Das Rennen war echt brutal“, so der Österreicher, der die Flandern-Rundfahrt vorzeitig beendete: “Aber viel besser hätte ich es auch mit Top-Beinen nicht hinbekommen.“

Bissegger imponiert als Ausreißer

Besser fiel die Bilanz des zweiten deutschen WorldTour-Teams aus, das wieder mit Offensivgeist überzeugte. DSM brachte mit Neuzugang Nico Denz zunächst einen Fahrer in die siebenköpfige Gruppe des Tages, die bei der zweiten Überquerung des Oude Kwaremont auseinanderfiel und bis auf den Schweizer Stefan Bissegger (EF Education -Nippo) gut 50 Kilometer vor dem Ziel gestellt wurde.

Danach ging Sören Kragh Andersen in die Offensive, ehe schließlich Tiesj Benoot bei der letzten Überfahrt über den Kwaremont den Sprung in die erste Verfolgergruppe schaffte. Letztlich reichte es für den Belgier zu einem guten zwölften Platz. “Am Ende war ich total leer und konnte einfach nichts mehr zusetzen“, sagte Benoot, der in den vergangenen Wochen erkrankt war und noch zwei Tage vor dem Rennen gezweifelt hatte, ob es zu einem Ergebnis reichen würde.

Auch wenn der 22-jährige Bissegger mit neun Minuten Rückstand auf Rang 89 Oudenaarde erreichte, gehörte der Schweizer zu den dominierenden Fahrern dieser 105. Flandern-Rundfahrt und bestätigte eindrucksvoll seine bisherigen Leistungen in dieser Saison. Bissegger initiierte nicht nur die Gruppe des Tages, sondern hielt sich als letzter der Ausreißer bis zum Taaienberg 38 Kilometer vor dem Ziel mit an der Spitze.

Küng muss nach Sturz am Oude Kwaremont alle Hoffnungen aufgeben

Zu diesem Zeitpunkt war das Rennen für seinen Landsmann Stefan Küng (Groupama - FDJ) schon gelaufen. Der Schweizer Zeitfahrmeister stürzte in der der zweitletzten Passage des Oude Kwaremont und musste seine Hoffnungen auf ein Spitzenergebnis begraben. Mit mehr als drei Minuten Rückstand kam Küng ins Ziel und war auf dem 44. Rang bester Eidgenosse. Das war Küng aber kein Trost: "Die Enttäuschung ist sehr groß", kommentierte er auf Twitter sein Malheur.

Unfreiwillig vom Rad steigen musste ein weiterer Schweizer: Nachdem er wegen zwei Defekten bereits abgehängt war und eine Trinkflasche weggeworfen hatte, wurde Michael Schär (AG2R Citroën) wegen sogenannten “Litterings“ von der Jury aus dem Rennen genommen. Der 34-jährige Luzerner war sich seines seit dem 1. April verbotenen Tuns offenbar schnell bewusst und gestikulierte ebens verärgert wie schuldbewusst.

Zufrieden sein konnte dagegen Max Walscheid (Qhubeka Assos), der in der ersten größeren Verfolgergruppe um Sagan 2:15 Minuten hinter Asgreen ins Ziel kam und Rang 27 belegte. Der Heidelberger hielt sich gemeinsam mit seinen Teamkollegen Dimitri Claeys, Victor Campenaerts und Michael Gogl bis zur zweiten der drei Kwaremont-Überquerungen in der Gruppe der Favoriten, ehe auch Qhubeka - Assos den Tempoverschärfungen an der Spitze seinen Tribut zollen musste.

Gogl zieht es am Oude Kwaremont den Schuh aus

Möglicherweise hätte Gogl mithalten können. Doch eingangs des Oude Kwaremont bekam der 27-Jährige einen Rempler von einem Konkurrenten ab. “In der Rechtskurve vor dem Anstieg ist er voll in mich reinradiert und hat mich in die Fahrer links gedrückt“, erklärte der Österreicher, der gerade noch einen Sturz vermeiden konnte. Allerdings geriet der Sechste der diesjährige Strade Bianche mit seinem Schuhwerk in die Speichen eines anderen Fahrers.

Dabei riss Gogl die oberste Schnalle: “Ich habe etliche Positionen eingebüßt und auf dem aktuellen Rennniveau zieht es dir in den Anstiegen schon so fast die Schuhe aus.“ Mittels Tape konnte die ausgerissene Schnalle und damit der Halt Gogls am Pedal 30 Kilometer später fixiert werden, an ein mögliches besseres Ergebnis war aber nicht mehr zu denken. Hinter der ersten großen Verfolgergruppe erreichte er Oudenaarde auf Rang 43 mit einem Rückstand von 2:52 Minuten.

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