Schlechte Erinnerungen als Hoffnungsschimmer

Yates baut auf die Unberechenbarkeit des Giro

Von Daniel Brickwedde

Foto zu dem Text "Yates baut auf die Unberechenbarkeit des Giro"
Simon Yates (Mitchelton - Scott) im zweiten Zeitfahren des Giro d´Italia | Foto: Cor Vos

20.05.2019  |  (rsn) - Es war der Tag vor dem Start des Giro d’Italia in Bologna, als Simon Yates auf der Pressekonferenz ungewohnt forsch über seine Ambitionen bei dieser Italien-Rundfahrt sprach. Die Frage, wen er als großen Favoriten sehen würde, beantwortete er damals schlicht mit einem Fingerzeig auf sich und der verbalen Ergänzung: “Mich“. Und wäre er sein eigener Konkurrent, “ich würde Angst bekommen und mir in die Hose machen“, legte der Brite schlagzeilentauglich nach. Erfrischendes Selbstbewusstsein? Ja. Eine gewisse Portion Selbstüberschätzung? Vielleicht.

Auch Yates durfte just in dem Moment bewusst gewesen sein: Läuft der Giro nicht wie erwartet, werden ihm diese Worte irgendwann um die Ohren fliegen. Gut zehn Tage später in dieser Zustand gewissermaßen eingetreten. Denn Angst verbreitet Yates aktuell wohl nur unter seinen Anhängern und eigenen Teammitgliedern. Vor allem sein Auftritt im Einzelzeitfahren der 9. Etappe nach San Marino trug dazu bei.

Dabei hatte Yates im Auftaktzeitfahren des Giro in Bologna mit Platz zwei noch überzeugt, dieses Mal erreichte er aber nicht ansatzweise an sein damaliges Niveau. Den Großteil seines Rückstands musste er überraschenderweise in der zwölf Kilometer langen Schlusssteigung hinnehmen, am Ende fehlten ihm satte 3:11 Minuten auf Tagessieger Primoz Roglic (Jumbo - Visma). “Ich habe aktuell keine Erklärung dafür. Er ging Vollgas in den Anstieg hinein und muss später dafür gezahlt haben. Er sah nie wirklich gut aus auf dem Rad. Wir haken es als schlechten Tag ab“, sagte Matt White unmittelbar nach der Etappe.

Yates: "Wir werden definitiv noch etwas versuchen“

Der Sportliche Leiter offenbarte auch, dass man eigentlich mit einem Zeitverlust von rund einer Minute kalkuliert hatte. In der Gesamtwertung liegt Yates nun 3:46 Minuten hinter Roglic zurück, 5:36 Minuten beträgt sein Rückstand auf den Gesamtführenden Valerio Conti (Team UAE Emirates).

Das Thema Rosa Trikot dürfte seit San Marino für Yates erst mal erledigt sein. Am ersten Ruhetag zeigte er sich gegenüber den Reportern noch immer enttäuscht über sein Abschneiden im Zeitfahren, richtete seinen Blick aber auch nach vorne. “Die Rundfahrt ist noch lang, wir werden definitiv noch etwas versuchen“, sagte der 26-Jährige. “Wir haben noch keinen einzigen richtigen Berg in diesem Giro gehabt“, bemühte sich auch White um Optimismus. Die erste richtige Bergetappe erwartet das Fahrerfeld auf dem 13. Teilstück mit Ziel auf 2.247 Metern Höhe in Ceresole Reale. Es folgen fünf weitere Bergetappen, am letzten Tag in Verona steht allerdings auch noch ein Zeitfahren an.

Neue Strategie: Offensive bei jeder Gelegenheit?

“Wir müssen nun die Dinge neu betrachten und unsere Strategie anpassen“, sagte White. Für Yates kann das bis zum Ende des Giro nur bedeuten: Bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Offensive zu suchen – zum einen, um Zeit zu gewinnen, zum anderen, um Roglic zuzusetzen. Hoffnung kann er aus seiner eigenen Geschichte bei dieser Rundfahrt ziehen.

Im Vorjahr dominierte Yates auf ähnliche Weise wie derzeit Roglic den Giro, gewann drei Teilstücke und lag selbst fünf Etappen vor dem Ende noch komfortabel in Führung – um dann auf der vorletzten Bergetappe spektakulär einzubrechen. Der späterer Sieger Chris Froome lag nach der 16. Etappe noch fast vier Minuten zurück. Und nicht wenige vermuten, dass auch Roglic gegen Ende der Rundfahrt die Kräfte schwinden könnten. Yates äußerte sich in der Hinsicht aber zurückhaltend: “Jeder Fahrer ist anders. Aktuell sieht er sehr beeindruckend aus. Ich weiß aber sehr gut, wie es ist, am Ende aufzuplatzen. Es ist noch nichts entschieden.“

Auch White unterstrich die Unberechenbarkeit der ersten GrandTour des Jahres: “Wenn es eine große Rundfahrt gibt, die auf einen Schlag auf den Kopf gestellt werden kann, dann diese. Der Unterschied zwischen einem guten und einen schlechten Tag beim Giro sind nicht Sekunden, sondern Minuten. Dazu muss man nur auf unser Beispiel aus dem Vorjahr gucken.“ Dieses Mal nimmt Yates allerdings die Rolle des Jägers ein – und wird dabei hoffen, den Giro dieses Mal so zu gewinnen, wie er ihn im Vorjahr verloren hat.

Mehr Informationen zu diesem Thema

28.10.2019Martens wurmt Roglics verpasster Giro-Sieg

(rsn) - Nach 60 Renntagen beendete Paul Martens vor drei Wochen beim belgischen Eintagesrennen Binche - Chimay - Binche ein Radsportjahr, in dem er sich wieder in den Dienst der Mannschaft gestellt ha

01.08.2019Sieg in der Wallonie: Cimolai kämpft sich aus Lebenskrise

(rsn) - Davide Cimolai (Israel Cycling Academy) hat sich aus einer Lebenskrise gekämpft und ist bei der Tour de Wallonie (2.HC) auch sportlich wieder in die Erfolgsspur zurückgekehrt. Der Italiener

10.07.2019Dumoulins Knieverletzung schlimmer als gedacht

(rsn) - Tom Dumoulins Knieverletzung, die ihn beim Giro d`Italia zum Ausstieg und auch zur Absage der Tour de France zwang, ist schlimmer als befürchtet. Wie die niederländische Zeitung De Telegraa

05.06.2019Wird Lopez für Schlag gegen Zuschauer doch noch bestraft?

(rsn) - Im laufenden Giro d´Italia entging Miguel Angel Lopez (Astana) einer Strafe, als er im letzten Anstieg der Italien-Rundfahrt von einem Zuschauer zu Boden gerissen worden war und diesen deshal

04.06.2019Giro d´Italia 2019: Analyse, Tops & Flops

(rsn) - Im gemeinsamen Podcast von radsport-news.com und meinsportpodcast.de werfen Malte Asmus, Eric Gutglück und Marc Winninghoff einen Blick zurück auf den 102. Giro d’Italia, der mit dem über

04.06.2019Martens: “Movistar hatte immer alles unter Kontrolle“

(rsn) - Zum erhofften Gesamtsieg hat es nicht gereicht, aber Jumbo - Visma scheint auch mit dem dritten Platz von Primoz Roglic beim Giro d’Italia zufrieden zu sein. Routinier Paul Martens etwa, der

04.06.2019Bora - hansgrohe kehrt mit vielen Lorbeeren vom Giro zurück

(rsn) - Mit drei Etappensiegen, dem Maglia Ciclamino sowie einem sechsten Gesamtrang kehrte das deutsche Team Bora - hansgrohe vom 102. Giro d’Italia zurück. Zudem erreichten alle acht Fahrer am

03.06.2019Startet der Giro 2020 im Zwift-Stil?

(rsn) - Seit einiger Zeit kursieren Gerüchte, wonach der Giro d’Italia 2020 mit einem “virtuellen Zeitfahren“, vergleichbar den Zwift-Wettbewerben, beginnen könnte. Möglicherweise handelt es

03.06.2019Gazzetta: Team Ineos will Carapaz´ Gehalt verzehnfachen

(rsn) – Mit Chris Froome und Geraint Thomas hat das Team Ineos die Tour-Sieger der vergangenen vier Jahre in seinen Reihen. Dazu kommen mit den aufstrebenden Egan Bernal und Pavel Sivakov zwei Talen

03.06.2019Cipollini: “Ackermann ist der perfekte Athlet“

(rsn) - Mario Cipollini hält Pascal Ackermann (Bora - hansgrohe) nach dessen Auftritt beim 102. Giro d’Italia für einen potenziellen Mailand-Sanremo-Gewinner. "Ackermann ist der perfekte Athlet un

03.06.2019Roglic empfindet seinen dritten Platz wie einen Sieg

(rsn) - Nach einer grandiosen ersten Giro-Hälfte mit den Siegen in den beiden Zeitfahren und vier Tagen im Rosa Trikot lief bei Primoz Roglic (Jumbo - Visma) seit der 15. Etappe mit dem schlecht orga

03.06.2019Nibali: “Ich habe nichts zu bereuen“

(rsn) - Zwar machte Vincenzo Nibali (Bahrain - Merida) im abschließenden Zeitfahren des 102. Giro d’Italia nochmals deutlich Boden gegenüber Richard Carapaz (Movistar) gut. Die 49 Sekunden, die de

Weitere Radsportnachrichten

12.11.2025Arensman: “Letztendlich ist Radsport nur eine Nebensache“

(rsn) – Bei der vergangenen Tour de France feierte Thymen Arensman (Ineos Grenadiers) die bisher größten Erfolge seiner Karriere. Aber nicht die auf der 14. Und 19. Etappe eindrucksvoll herausgef

12.11.2025“Pure Magie“: Red Bull absolviert Windkanaltests im Laserlicht

(rsn) – Red Bull – Bora – hansgrohe nutzt im Kampf um jede Sekunde modernste Technik. Wie der Rennstall berichtete, wurden in der Catesby Aero Research Facility, einem stillgelegten Eisenbahntu

12.11.2025Steigt van Aert in Kortrijk in die Cross-Saison 2025/26 ein?

(rsn) – Noch immer haben weder der siebenmalige Weltmeister Mathieu van der Poel noch der dreimalige Titelträger Wout van Aert ihre Pläne für die Cross-Saison 2025/26 offengelegt. Doch zumindest

12.11.2025Gravel-WM-Zweiter Biesterbos und de Jong zu Picnic

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

12.11.2025Tour du Rwanda ab 2027 mit WorldTour-Status?

(rsn) – Der Radsportweltverband UCI hat trotz der Kritik an der WM-Vergabe an ein autokratisch regiertes Land die vergangene Straßen-Weltmeisterschaften sowohl aus sportlicher als auch aus organisa

12.11.2025Wiebes will mehr sein als die beste Sprinterin der Welt

(rsn) – Lorena Wiebes (SD Worx – Protime) blickt auf eine erneut überragende Saison zurück, in der ihr nicht weniger als 25 Siege gelangen, so viele wie noch nie in ihrer Karriere, die 2018 bei

12.11.2025Club-Fahrer, deutsche Talente und ein österreichischer Routinier

(rsn) – 139 Fahrer haben sich mit unserem neuen Punktesystem für die Radsport-News-Jahresrangliste 2025 qualifiziert. Nicht alle können wir in den letzten zwei Monaten des Jahres auch mit komp

12.11.2025Die Radsport-News-Jahresrangliste der Männer 2025

(rsn) – Es ist inzwischen RSN-Tradition. Und auch wenn sich mit Christoph Adamietz der Urvater der Idee vor einem Jahr aus unserem Autoren-Team verabschiedet hat, so soll diese Tradition fortgesetzt

11.11.2025Sweeck im Sprintduell gegen Vandeputte zum ersten Saisonsieg

(rsn) – Nach einem packenden Finale hat Laurens Sweeck (Crelan – Corendon) den dritten von acht Läufen der Superprestige-Serie beim Jaarmarktcross in Niel für sich entscheiden können. In einer

11.11.2025Brand dreht in Niel den Spieß gegen van der Heijden um

(rsn) – Nur drei Tage nach dem verpassten Europameistertitel hat Lucinda Brand (Baloise - Glowi Lions) bei der Superprestige in Niel Revanche genommen. Ähnlich wie die Europameisterin Inge van der

11.11.2025Wettskandale in anderen Sportarten: UCI will Kontrollen verschärfen

(rsn) – Angesichts zahlreicher Wettskandale in anderen Sportarten will der Radsportweltverband UCI seine Kontrollen verschärfen, um zu verhindern, dass es auch im Radsport zu Manipulationen kommt.

11.11.2025Rembe - rad-net ab 2026 auch mit Frauenteam

(rsn) – Rembe - rad-net wird in der kommenden Saison auch ein Frauenteam an den Start schicken. Wie der Rennstall aus dem Sauerland mitteilte, habe man beim Radsportweltverband UCI ein weibliches Ko

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Tour de Gyeongnam (2.2, KOR)