Wagners Tour-Tagebuch

Bergfahren ist eine andere Sportart

Von Robert Wagner und Sebastian Paddags

Foto zu dem Text "Bergfahren ist eine andere Sportart"
Rugby-Spieler Conrad Smith und Robert Wagner (LottoNL-Jumbo) | Foto: Wagner

14.07.2017  |  (rsn) - Ein Blick in's Tourbuch weckt Erinnerungen in meinem Radfahrergedächtnis. Dieses Finale kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Waren wir da letztes Jahr bei der Tour nicht auch? Immerhin hatten wir in Pau dasselbe Hotel… Nein, das war es nicht. Es muss schon länger her sein.

Hmm…jetzt fällt's mir wieder ein: Fast vier Jahre isses her! 2013 bei der Vuelta sind wir genau dieses Finale schon einmal gefahren und zwar sogar am Ende der damaligen Königsetappe über 230 Kilometer mit Start in Andorra. Das war vielleicht 'ne schwere Etappe damals. So schwer, dass ich jetzt eigentlich gar nicht zwingend noch mal diese Anstiege fahren muss - einmal reicht doch wohl, oder? Ideale Voraussetzungen also für jede Menge Spaß "im Büro“ - und damit Willkommen zu Etappe 12.

Glücklicherweise waren die ersten Kilometer heute vergleichsweise human und eher flach bis wellig. Dennoch muss es irgendwo trotz Regen gebrannt haben, denn die Kollegen sind schon wieder losgeballert wie die Feuerwehr. Als die erste Gruppe stand, wäre es aus meiner Sicht völlig ok gewesen, wenn das Rennen einen entspannteren Charakter bekommen und wir uns gleichmäßig auf die Verfolgung begeben hätten. Aber nein, Sky hatte natürlich mal wieder etwas dagegen und so durfte Kneesi (Christian Knees) heute schön von vorne fahren und sich auch mal wieder ordentlich in Szene setzen. Es vergeht also kein Tag  hier, an dem sich kein deutscher Rennfahrer nicht von seiner besten Seite zeigt.

Trotz des schnellen Grundtempos und der etlichen Anstiege konnte ich heute gemeinsam mit meinen "dicken“ Kollegen die sogenannte Jojo-Taktik anwenden und immer wieder zurück ins Feld kommen, beziehungsweise nie wirklich ganz den Anschluss verlieren. Wir ekelten uns über jeden einzelnen der vielen Anstiege drüber und konnten uns spätestens in den Abfahrten immer wieder retten. Das war zwar nicht schön, aber hatte natürlich den entscheidenden Vorteil, dass wir möglichst lange ohne Rückstand blieben.

Erst am vorletzten Berg bildete sich dann so richtig das große Gruppetto und wir kamen schließlich mit sehr "entspannten“ 33 Minuten Rückstand die steile Zielgerade hinauf gekrepelt. Das Ding war auf jeden Fall zum Abschluss noch mal ein schöner Zieher, mein lieber Scholli. Das war so steil, dass man nach'm Ziel noch nicht mal richtig rollen lassen konnte, es sei denn, man wollte direkt wieder rückwärts nach unten.

Nach internen Hochrechnungen hätten wir übrigens sogar mit 45 Minuten Rückstand ankommen dürfen und ich würde mir ehrlich gesagt wünschen, dass wir die 12 Minuten des "ungenutzten Zeitvolumens“ einfach mal auf die morgige Etappe mitnehmen könnten. Zu einer durchaus erholsameren Nachtruhe meinerseits würde das definitiv führen. Bei gewissen Mobilfunk-Verträgen darf man doch seine Inklusive-Minuten oder das Datenvolumen auch mitnehmen…die sollen sich also mal nicht so haben bei der ASO. Das wäre doch echt mal 'ne geile Neuerung und vielleicht lassen wir im Gruppetto 'ne Petition kursieren? Da mache ich mich bestimmt beliebt…

Unser Freund Titi Voeckler wurde heute wieder mit dem pornösen Chromrad gesichtet, hatte aber wohl vor lauter Aufregung ganz vergessen, sich ein Ticket für die Gruppe zu lösen.  Dafür fuhr an seiner Stelle jedoch "Marcel der Grüne“ ganz vorne mit - und er hat ja auch ein cooles Bike. Er scheint momentan wirklich die besten Beine aller Zeiten zu haben und muss sich teilweise "nur auf's Lenken konzentrieren“. Dass er im Maillot Vert bis nach Paris kommen kann, halte ich inzwischen für mehr als realistisch und es wäre doch wunderbar, wenn wir endlich mal wieder einen deutschen Rennfahrer in Paris auf dem Gesamt-Podium hätten.

Marcel kam pünktlich zum Finale dann aber doch auch noch zu uns nach hinten ins Gruppetto und ich bin froh, dass er nicht vergessen hat, wo er eigentlich hingehört. Wir Sprinter müssen ja zusammenhalten…und so wurde auch heute wieder viel Deutsch bei uns gesprochen. Ebenfalls nicht unerwähnt lassen möchte ich heute Nils Pollitt. Dafür dass er in seinen jungen Jahren (er ist 23) das erste mal bei der goßen Schleife startet, liefert er echt 'ne Wahnsinnsleistung ab. Ob in der Sprintvorbereitung oder auch in den Bergen: Der Motor von Nils läuft. Wie schon mal erwähnt, denke ich, dass wir da in der Zukunft noch viel Spaß haben werden.

Aus Sicht unseres Teams war natürlich die Leistung von George Bennett heute wieder höchst erfreulich. Mit der Spitzengruppe ins Ziel gekommen - absolut der Platz, wo er hingehört! Aktuell weiterhin auf Platz neun der Gesamtwertung und noch immer gut drauf. George ist ja Neuseeländer und vielleicht war er heute auch besonders motiviert, weil ein guter Kumpel von ihm als VIP Gast im Begleitwagen saß: Conrad Smith. Conrad ist Mitglied der legendären "All Blacks“, der Neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft, und spielt aktuell in Europa Rugby. Der Junge gilt als "the smallest All Black ever" - aber so schmal sieht er jetzt gar nicht aus. Mit dem willst Du definitiv nicht im Sprint um die letzte kleine Lücke fechten, nicht mal Cav würde das wollen! Ich fand es cool, ihn kennenzulernen, da ich es generell immer gut finde, auch Sportler aus anderen Bereichen zu treffen, aber auch, weil er echt ein netter Kerl ist. Ich hatte kurz mal überlegt, ihn zu fragen, ob er mir nicht mal den "Haka“ vortanzen will. Motiviert hätte mich das definitiv.

Geil ist, dass auch unser George früher mal Rugby gespielt hat, auch wenn man das bei seiner Statur ja nun wirklich nicht glauben mag. Im Alter von 5 bis 17 Jahren war er ohne Rad sportlich auf dem Rasen unterwegs. Ach ja: Und jetzt wiegt er gerade mal 57 Kilogramm. Das müsst Ihr Euch also mal bildlich vorstellen!

Nach der Etappe gab es für uns einen ziemlich langen Transfer von knapp 2,5 Stunden und somit hieß es mal "Essen auf Rädern“. Wir haben mit "daily fresh“ einen Sponsor, der frische Lebensmittel vakuumverpackt liefert und uns somit die komplette Tour über begleitet. Unser Koch Jesper Boom hat einen eigenen Kühlwagen von denen bekommen und kann uns somit immer perfekt versorgen. Gestern hat unser Busfahrer uns für den Weg schon mal ordentlich was warm gemacht und wir konnten somit unsere Speicher schnell wieder füllen.

Zusätzlich haben wir uns gemeinsam im Bus die letzten 50 Kilometer der Etappe angeschaut. Die werden täglich aufgezeichnet und wir haben also immer die Möglichkeit, den Tag noch mal zu analysieren. Allerdings muss ich gestehen, dass das auf so Etappen wie gestern sehr surreal ist. Wenn ich diese Bergfahrer da sehe, empfinde ich das als eine andere Sportart. Meine ist das definitiv nicht!

Und noch ein kleiner Insider: Wir bekommen nach dem Ziel immer direkt "'ne Pulle“ Kirschsaft zu trinken. Wissenschaftliche Studien habe wohl herausgefunden, dass das der Muskulatur hilft nach starken Belastungen. Momentan merke ich davon zwar nichts, aber immerhin schmeckt es.

Mit Aru und Bardet ist die Tour nun wieder richtig spannend geworden und für die Zuschauer ist das auf jeden Fall spannend. Allerdings heißt das auch, dass nun alle anderen wieder viel motivierter sind. Das wiederum heißt, es gibt noch mehr Action. Und die Konsequenz der Story könnt ihr Euch denken: Richtig, wir Jungs im Gruppetto sind am Ende wieder die Leidtragenden. Aber auch das kriegen wir irgendwie hin, müssen wir ja!

Etappe 13 am Freitag (das klingt schon so dämlich) wird der pure Hass! Wir starten erst um 15 Uhr, also schön zur Primetime, und wir werden auf jeden Fall richtig zu leiden haben. Nur 100 Kilometer, ab dafür drei Anstiege der 1. Kategorie, bravo!

Nun könne man jammern und weinen oder man geht das ganze psychologisch an und redet sich das schön: Von den 100 Kilometern geht es die ersten 25 nur leicht ansteigend bergauf, grade mal 280 Höhenmeter. Dann hat der erste Col nur 5,6 Kilometer bei 7 Prozent und wenn ich den irgendwie überlebe, geht es nach einer kurzen Abfahrt auch nur zehn Kilometer aufwärts. Da brauchen wir dann Manpower und nach der kommenden Abfahrt ist auch schon der letzte Anstieg des Tages dran: Nur noch mal neun Kilometer. Die letzten 26 Kilometer sind dann Abfahrt bis flach und da wird absolutes Finale sein, um die Karenzzeit zu schaffen.

Zusammengefasst geht es also nur zwischen Kilometer 25 und 74 bergauf, das klingt gar nicht nach Tour de France in den Bergen. Wünscht mir Glück und dass ich morgen keinen "Sack in der Kette“ habe!

Euer Wagi und Paddi

PS: Wir freuen uns sehr, dass Ihr alle so viel Spaß beim lesen des Blogs habt. Wenn ihr mögt, schaut Euch doch mal Paddi's Buch über die Tour im letzten Jahr an - das wird Euch definitiv auch gefallen. Wagi kommt dabei natürlich auch nicht zu kurz.

"DNF - Dienstreise Nach Frankreich“ ist pünktlich zum Tourstart 2017 erschienen und es werden 5€ je verkauftem Buch an den deutschen Radsport-Nachwuchs gespendet.

Alle Infos unter: www.dienstreise-nach-frankreich.de

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