Deutsche Radstars bei „Talk unterm Turm“

Kittel setzt aufs Bauchgefühl, Martin auf seine Regenerationskräfte

Von Sebastian Lindner

Foto zu dem Text "Kittel setzt aufs Bauchgefühl, Martin auf seine Regenerationskräfte"
Marcel Kittel (li.) und Tony Martin bei „Talk unterm Turm“ | Foto: ROTH

09.11.2013  |  (rsn) - Dass das Thema Doping beim „Talk unterm Turm“ unumgänglich sein würde, wenn Marcel Kittel und Tony Martin in den Berliner Rathaus-Passagen direkt zu Füßen des Fernsehturms zugegen sein würde, war absehbar. Glücklicherweise aber bekamen beide Fahrer die Gelegenheit, ein breites Spektrum an Fragen zu beantworten. Oben drauf lieferten sie dazu die eine oder andere schöne Anekdote.

Da neben dem dreifachen Weltmeister im Einzelzeitfahren auch ein früherer zweifacher Junioren-Weltmeister in dieser Disziplin auf dem Podium saß, berichtete Kittel zunächst von seiner Metamorphose zu einem der weltbesten Sprinter. Mit dem Wechsel zu Argos-Shimano ins Profigeschäft habe sich der Wandel vollzogen, erklärte der 25-Jährige, der „eigentlich als Anfahrer geholt“ wurde. Gute Watt-Werte in Trainingssprints führten schnell dazu, dass Kittel auf eigene Kappe fahren durfte, und so klappte es auch gleich beim ersten Rennen in Malaysia mit einem Etappensieg. „Von da an war klar: Wir machen jetzt weiter als Sprinter“, so der Arnstädter.

Sprinten blieb auch weiterhin ein das Gesprächs-Thema. Der Kopf spiele bei ihm – anders als beim großen Kontrahenten Mark Cavendish – kaum eine Rolle, so Kittel. „Was im Finale passiert, ist ein Automatismus zwischen mir und der Mannschaft, im Großen und Ganzen weiß ich, dass ich den Jungs vertrauen kann“. Deswegen ist „der Kopf ist nie wirklich gefragt.“ Das klinge zwar blöd, aber es sei „viel mehr ein Bauchgefühl, wie man das Finale fährt“, gibt der viermalige Etappensieger der Tour de France 2013 Einblick in seine Vorgehensweise. Gleichzeitig sei er weniger gerne „der blinde Passagier“ im Sprinterzug des Gegners.

Auch die fehlende Angst bei 70 km/h im Finale sei ein Ausdruck der Fähigkeit, den Kopf ausschalten zu können. „Nervenkitzel und Spaß“ würden die Furcht vor Stürzen, erklärte Kittel weiter.

Der sturzerprobte Tony Martin hingegen, der sich selbst „gute Regenerationskräfte“ zuspricht, geht mit einer anderen Einstellung in die Rennen. „Mir fällt es nicht ganz so leicht, den Kopf auszuschalten, aber ich denke, dass ist auch natürlich, weil Marcel für den eigenen Sieg fährt, und ich bin mehr oder weniger nur der Helfer.“ Nämlich für Mark Cavendish. Natürlich gehe dessen Sieg vor, aber „wenn Mark nicht gewinnen kann, dann ist mir Marcel der liebste Sieger“, denn „zwei Herzen“ zwei Herzen schlagen in der Brust des 28-Jährigen. So ähnlich geht es sicherlich auch Jörg Werner, der nicht nur Manager der beiden ist, sondern auch „Freund und Vaterfigur“.

Sollte es irgendwann einmal dazu kommen, dass die beiden Deutschen in einem Team fahren, hätte keiner von beiden etwas dagegen. Kittel, der durchaus ein gewisses Mitspracherecht bei der Teamzusammenstellung von Argos hat, hält Martin durchaus für „eine große Übersetzung“ und bot vorsorglich schon mal an, seinem Freund im Gegenzug vor einem Rennen „die Beine auszuschütteln.“

Wie Kittel und Martin zum Radsport gekommen seien, wurden sie noch gefragt. Bei beiden hätten die Väter einen großen Einfluss gehabt, doch braucht es „eine große Portion Glück, um Profi zu werden“, wusste Kittel. Trotzdem seien sich beide „bewusst, wo wir herkommen, denn andere Jungs haben genauso hart trainiert“.

Training ist auch der Ansatzpunkt, der bei Martin auf dem Plan steht, geht es um seine möglichen Ambitionen als Rundfahrer. Neben einer Gewichtsreduktion um mindestens fünf Kilogramm wäre auch ein anderer Trainingsplan vonnöten. Doch aktuell ist der Weltmeister mit seiner „Rolle als Top-Zeitfahrer sehr zufrieden“, diesen Status durch eine „Hauruck-Aktion“ zu gefährden, wäre nicht in seinem Sinne. Die „Entscheidung ist in die Zukunft vertagt“, so Martin, er wolle „sich die Sache noch mal durch den Kopf gehen lassen.“ Ähnlich denkt auch Kittel über die Teilnahme an Sechstagerennen, ob der kurzen Winterpause spiele diese Option „im Moment keine Rolle“.

Über kurz oder lang wandte sich die Diskussion dann doch dem über alles thronendem Thema zu. Auch die Fahrer könnten die Thematik „Doping nicht komplett ausblenden.“ So müsse „der Radsport mit den Schlagzeilen leben“ meinte Kittel, schließlich habe er es sich „zum Großteil selbst zuzuschreiben“. Martin ergänzte, es „bringt nichts, auf andere zu zeigen.“ Das „unglaublich große Glaubwürdigkeitsproblem“ sei demnach hausgemacht.

„Der schwarze Peter für die Organisatoren“, die trotz anhaltender Kritik immer schwerere Strecken ansetzen, sei aber nach dem Geschmack Martins „der falsche Ansatz.“ Die Kurse wären zwar „hart, aber definitiv machbar, auch ohne unterstützende Mittel“, ist er sich sicher. Schließlich müsse man nicht mit einem Schnitt von 40 km/h die Bergankunft gewinnen, 38 km/h würden auch reichen.

Um dem Thema Doping endlich den Garaus zu machen, muss nach Meinung von Martin zunächst „in den Köpfen aller Fahrer sein, dass Doping illegal ist.“ Der nächste Schritt sei ein Antidoping-Gesetz in Deutschland mit allen seinen Konsequenzen, das hieße „am Ende auch Gefängnis.“

Ein „Zeichen für den Neustart“ sei zudem auch die Ablösung von Pat McQuaid durch Brian Cookson als UCI-Präsident. Zwar müsse „man erstmal gucken, was der Neue macht“, doch hat Martin bei ihm „ein gutes Gefühl“. Und immerhin gäbe es auch „einiges zu verändern, was in der Vergangenheit nicht so gelungen ist.“

Veränderungsbedürftig sei aber auch der Umgang der Öffentlich-Rechtlichen Fernsehsender mit der neuen Garde des Radsports, insbesondere aus Deutschland. Nicht für die eigene Vermarktung, sondern „für die Fans“ forderte Martin „von den Öffentlich-Rechtlichen, wieder in den Radsport einzusteigen“, um dem aufgrund der Erfolge wieder steigenden Interesse gerecht zu werden.

Weitere Radsportnachrichten

28.11.2025Intermarché-Lotto-Fusion: Trotz Verzögerungen auf gutem Weg

(rsn) – Am 15. Dezember wird der Radsportweltverband UCI die Namen derjenigen Teams veröffentlichen, die für die den nächsten Dreijahreszyklus (2026 – 2028) mit WorldTour-Lizenzen ausgestattet

28.11.2025Auch Flanders Classics gegen ein allgemeines Eintrittsgeld

(rsn) – In der Diskussion um einen mögliches Eintrittsgeld bei Radrennen hat sich nun auch Flanders Classics zu Wort gemeldet. Wie bereits der Radsportweltverband UCI und die ASO reagiert der Veran

28.11.2025Intermarché verabschiedet Girmay mit emotionalem Video

(rsn) – Alle Zeichen deuteten schon seit einiger Zeit daraufhin, dass Biniam Girmay nach der Fusion von Intermarché – Wanty und Lotto nicht zum neuen Aufgebot gehören wird. Der Eritreer selbst h

28.11.2025Äthiopische WM-Siebte Kahsay Kiros zum Canyon-Nachwuchsteam

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

28.11.2025Einer geschmeidigen Saison folgt nun die Masterarbeit

(rsn) - Neues Jahr, neues Team – das war in der Vergangenheit bei Miguel Heidemann nur allzu oft der Fall. Ungewollt, freilich. Und so auch im letzten Winter. Erst im Februar war er bei Rembe – ra

28.11.2025Die Radsport-News-Jahresrangliste der Männer 2025

(rsn) – Es ist inzwischen RSN-Tradition. Und auch wenn sich mit Christoph Adamietz der Vater der Idee vor einem Jahr aus unserem Autoren-Team verabschiedet hat, so soll diese Tradition fortgesetzt w

27.11.2025Mit guten Beinen in Kigali zu WM-Silber

(rsn) – Auf der Liste mit den großen Überraschungen des Jahres 2025 muss Jan Huber (Remax Racingteam) unbedingt vermerkt sein. Denn der 20-jährige Schweizer war vor der Saison ein unbeschriebenes

27.11.2025In Abu Dhabi künstlicher Anstieg zu Pogacars Gunsten?

(rsn) – Wer gedacht hat, dass die Straßen-WM in Abu Dhabi 2028 zu einer Angelegenheit für die Sprinter werden würde, könnte sich getäuscht haben. Wie die spanische Sportzeitung Marca in Erfahru

27.11.2025Hat Lipowitz bereits Langzeitvertrag bei Red Bull unterschrieben?

(rsn) – Wie die belgische Zeitung Het Laatste Nieuws berichtete, bemühe sich das ab 2026 mit deutscher Lizenz ausgestattete Team Lidl – Trek um eine Verpflichtung von Florian Lipowitz zur Saison

27.11.2025Del Toro Mexikos Sportler des Jahres

(rsn) – Isaac Del Toro ist in Mexiko zum Sportler des Jahres gewählt worden. Der Profi von UAE – Team Emirates – XRG feierte in der abgelaufenen Saison nicht weniger als 18 Siege, nur sein Team

27.11.2025“Schwer erkrankt“: Lefevere mehr als drei Wochen in der Klinik

(rsn) – Der langjährige Soudal-Quick-Step-Teammanager Patrick Lefevere war nach eigenen Worten “schwer erkrankt“ und musste 24 Tage im AZ Delta Krankenhaus in Roeselare verbringen. Wie der Belg

27.11.2025Thomas soll als Renndirektor Ineos zu Grand-Tour-Siegen führen

(rsn) – Geraint Thomas hat nach der Tour of Britain seine lange eund erfolgreiche Karriere beendet. Allerdings wird der 39-jährige Waliser auch künftig in Diensten von Ineos Grenadiers stehen. Wie

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Tour de Gyeongnam (2.2, KOR)