Sportrechtler äußert sich zu Armstrongs Geständnis

Fröhlich: „Eine Talkshow ist kein Gerichtssaal“

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Sportrechtler Siegfried Fröhlich | Foto vom Autor

24.01.2013  |  (rsn) - Auch der Sportrechtler Siegfried Fröhlich hat vergangene Woche das Dopinggeständnis von Lance Armstrong mitverfolgt. Im Interview mit Radsport News erklärt der Jurist aus Mainz, warum ihn das Interview mit Oprah Winfrey überrascht hat und weshalb er bezweifelt, dass es im Zuge des Dopingskandals zu personellen Veränderungen an der Spitze des Radsportweltverbandes UCI kommen wird. Die gegen Armstrong ausgesprochene lebenslange Sperre nannte Fröhlich zudem ein „klares Unrecht.“

Lance Armstrong hat Doping zugegeben. Überrascht Sie das?
Fröhlich: Als er sich auf seinem Sofa mit all den Tour-Trikots fotografieren ließ, war ich mir sicher, dass dies die endgültige Verweigerung eines Geständnisses darstellen sollte. Ich dachte mir, dass dies der Auftakt einer Gegenkampagne von Armstrong sei. Mit einem Geständnis hätte ich daher nicht wirklich gerechnet und war sehr, sehr überrascht.

Armstrong ist in seinem TV-Geständnis sehr allgemein geblieben. Hat er Ihrer Auffassung nach überhaupt etwas zugegeben, was ihm strafrechtliche Probleme bereiten könnte?
Fröhlich: Ich als deutscher Jurist kann das nicht seriös einschätzen. Das Strafrecht der Länder, in denen Armstrong gedopt hat oder wider besseres Wissen vor Gericht die Unwahrheit hat feststellen lassen, ist mir nicht bekannt. Was ich aber mit Gewissheit sagen könnte: Eine deutsche Staatsanwaltschaft würde, sofern sie zuständig wäre, zumindest Ermittlungen aufnehmen. Ob mit Erfolg? Das glaube ich allerdings nicht.

Hat Armstrong in dem Interview irgendetwas gesagt, was Sie überrascht hat?
Fröhlich: Zunächst war ich überrascht, dass Armstrong nicht über Dritte reden wollte. Ich vermutete unmittelbar vor Sendebeginn folgendes Drehbuch: ‚Die Kronzeugen hätten bei weitem nicht alles gesagt, der Verband habe ihn unterstützt.’ Ich dachte, er würde seine „Gegner“ auf sein derzeitiges „Ansehen herunterziehen“, um dann wieder an der Spitze zu stehen. Doch da habe ich mich geirrt. In fast allen Reaktionen der letzten Tage wurde ihm vorgeworfen, dass er nicht über Dritte, über seine Hintermänner und Mittäter sprach.
Das wird sie jetzt überraschen: Dass er genau das nicht gemacht hat, fand ich persönlich sehr gut. Eine Talkshow ist kein Gerichtssaal. Dritte im Fernsehen belasten, sich auf deren Kosten die eigene Position zu retten, finde ich berechnend und falsch. Ich würde sagen, Armstrong hat sich ein wenig verhalten wie ein Mensch. Das hätte ich ihm nicht zugetraut.

Das war also eine positive Überraschung. Gab es auch eine negative?
Fröhlich: Negativ überrascht hat mich vor allen Dingen der Vergleich seiner Sperre mit der Todesstrafe. Bildlich gesprochen hat Armstrong meines Erachtens die Todesstrafe erhalten, als bei ihm 1996 Krebs diagnostiziert wurde. In den Jahren nach seiner Heilung engagierte er sich für die Krebsforschung und gab vielen an Krebs erkrankten Menschen Halt. Seine Stiftung nannte er einmal sein sechstes Kind. Dass er vor diesem Hintergrund seine Sperre als Todesstrafe bezeichnet, hat mich entsetzt. Das hat mir gezeigt, dass Armstrong vielleicht denkt, er sei inzwischen ein anderer Mensch, er aber wohl noch einen langen Weg vor sich hat.

Armstrong hat die UCI ausdrücklich in Schutz genommen, auch wenn viele Indizien dafür sprechen, dass der Verband selber tief in den Skandal verwickelt ist. Warum hat er das gemacht?
Fröhlich: Die einzig vernünftige Antwort wäre natürlich, weil die UCI nichts Unrechtes getan hat und die Vorwürfe falsch wären. Das fällt allerdings schwer zu glauben. Dass Armstrong einfach mal so 150.000 EUR an die UCI überweist, weil diese ihn darum gebeten hat, klingt natürlich wie im Märchen. Da hätte ich ihn auch mal fragen sollen.

Sitzt die UCI-Spitze jetzt wieder fester im Sattel?
Fröhlich: Etwas fester vielleicht. Gerade Greg LeMond hat sich die Unterstützung Armstrongs durch die UCI ja ordentlich auf die Fahne geschrieben. Für diese Fahne fehlt jetzt der Wind. Ich bin mir aber auch sicher, dass der Fall Armstrong für die Zukunft von McQuaid und anderen ohnehin keine allzu große Rolle spielt. Es ist ja nicht die Öffentlichkeit, die das Präsidium der UCI wählt. Entscheidend wird sein, ob die nationalen Verbände ernsthaft eine Aufarbeitung der Vergangenheit wollen und betreiben. Nur die nationalen Verbände, mit Abstrichen noch das IOC, können Einfluss auf die personelle Besetzung der UCI nehmen.

Und wie sehen sie die Chancen, dass eine Mehrheit der nationalen Verbände McQuaid die Unterstützung entzieht?
Fröhlich: Da bin ich skeptisch. Lobend erwähnen muss man da den kleinen luxemburgischen Radsportverband. Aber entscheidend sind die großen Verbände aus Spanien, Italien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und aus Deutschland. Ob da wirklich mit Widerstand gerechnet werden kann, weiß ich nicht. Zumindest hat man noch nicht viel davon gehört.

Wie ehrlich oder glaubwürdig kam Ihnen Armstrong vor?
Fröhlich: Ich bin kein Armstrong-Freund und daher vielleicht zu kritisch. Sicherlich hat er das Interview jetzt durchgezogen weil er musste, nicht, weil er es wollte. Aber wer gibt Doping schon gerne öffentlich zu? Ehrlich war Armstrong wohl, als er, wie oben geschildert, seine Sperre mit einer Todesstrafe verglichen hat.
Wo ich große Zweifel habe: Armstrong hat davon gesprochen, sich keinen Vorteil erdopt zu haben und nicht mehr gemacht zu haben als alle anderen. Das sehe ich dann doch kritisch. Alles, was Armstrong und auch seine Mannschaftskollegen im Vorfeld zugegeben haben, waren bereits bekannte Dopingpraktiken. Jetzt fällt es mir schwer vorzustellen, dass Armstrong, der grundsätzlich alles professioneller als andere gemacht hat, auf „herkömmliches“ Doping zurückgreift.
Da glaube ich auch nicht den Aussagen von Hamilton, Hincapie und Landis. Vielleicht erwarte ich zuviel des Bösen: Aber dass diese Mannschaft wirklich nur Methoden angewendet hat, die wir Außenstehende aus anderen Dopingverfahren her kannten, will ich nicht glauben.

Was wird auf Armstrong Ihrer Einschätzung nach noch zukommen?
Fröhlich: Strafrechtlich fehlt mir das Wissen für diese Einschätzung. Aber ich denke schon, dass die Ermittlungsbehörden zumindest mal überlegen, ob eventuelle Straftaten verjährt sind oder nicht. Zivilrechtlich werden jetzt ehemalige Gegner „das Rückspiel“ eröffnen, Sponsoren eventuell Geld zurückverlangen. Auf letzteres bin ich besonders gespannt. Denn es stellt sich dann auch die Frage, was mit dem Gewinn, etwa auch durch Radverkäufe, passiert. Wenn sich 2005 jemand in Tour-Euphorie ein Replica-Rad von Armstrong gekauft hat, war das Sponsoring ja auch trotz oder gerade wegen Dopings erfolgreich.

Welche Folgen hat Ihrer Meinung nach das Geständnis für den heutigen Radsport?
Fröhlich: Meines Erachtens keine. Wieso sollte ein heutiger Doper aufhören zu dopen, weil Armstrong etwas zugegeben hat.? Bezüglich der Öffentlichkeit ist es so: Über Radsport kann ja gar nicht schlechter berichtet werden, als dies derzeit der Fall ist. Wenn das personifizierte Böse im Radsport jetzt überführt wurde, wäre das doch eher ein Grund für etwas positivere Berichterstattung: Erwischt wird, ohne Rücksicht auf Rang und Namen, letztlich jeder.

Es gibt auch Stimmen, die darauf verweisen, dass der heutige Radsport nicht mehr mit dem aus den „Armstrong-Jahren“ vergleichbar sei. Stimmen Sie dieser Auffassung zu?
Fröhlich: Das hat die Generation Armstrong auch nach dem Festina-Skandal gesagt. Ich würde zur Wahrheitsfindung einfach folgendes vorschlagen: Machen wir jedes Jahr bei der Tour de France ein Bergzeitfahren am Mont Ventoux auf der 10. Etappe bei exakt gleicher Streckenlänge. Dann schauen wir uns die Entwicklung der Zeiten an und werden sehen, ob sich was verändert hat. Ich jedenfalls wage die Behauptung, dass ungedopt niemand auf der Welt schneller Rad fahren kann, als Armstrong dies tat. Aber das ist nur ein Vorschlag und eine Einschätzung eines Nicht-Sportwissenschaftlers.

Wird Armstrong die Rückkehr in den Wettkampfsport gelingen?
Fröhlich: Die lebenslange Sperre ist meines Erachtens klares Unrecht. Ohne auf die Gründe näher einzugehen, ist die Sperre meiner Meinung nach nicht vom WADA-Code gerechtfertigt. Armstrong hat angekündigt, sich hiermit auseinanderzusetzen. Macht er das, werden weite Teile der Sperre fallen und Armstrong wird wieder im Wettkampfsport auftreten. Und die Veranstalter, die jetzt am lautesten „Pfui“ rufen, werden die größten Gagen bieten.

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