Bei der Tour ist ein Platz in den Top Ten eine Menge wert

Die Zehn muss steh´n

Von Guido Scholl

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Tour de France 2008

Foto: ROTH

01.07.2009  |  (rsn) - So umstritten sie mittlerweile ist – die Tour de France ist noch immer das größte und faszinierendste jährliche Sportereignis. Und ein unvergleichliches Zahlenspiel. Sekunden, Minuten, sogar Stunden trennen die Radprofis im Klassement voneinander. Etappenlängen, Höhenmeter, Zwischenzeiten, Punktwertung, Bergwertung, Startnummern – die Ziffernfolgen fliegen einem förmlich um die Ohren. Die Zahl „10“ hat eine besondere Bedeutung in der Tour.

Die 96. „Grand Boucle“ bietet mal wieder etwas ganz Besonderes: Zehn Jahre nach seinem Comeback kehrt der erfolgreichste Tourfahrer aller Zeiten, Lance Armstrong, erneut zur Frankreich-Rundfahrt zurück. Die Gazzetten überschlagen sich mit Spekulationen über das Leistungsvermögen des Texaners. Doch selbst wenn Armstrong erneut als Bester in Paris ankommen – die Tour ist größer als jeder Sieger. Denn nicht nur der Erste sichert sich einen Platz im Geschichtsbuch. Seit Jahrzehnten streben die Teilnehmer nach einem Platz unter den ersten Zehn.

Wer nach rund 3.500 Rennkilometern einen der ersten zehn Ränge des Gesamtklassements belegt, verschafft sich Respekt unter Kollegen, gilt fortan als exzellenter Rundfahrer. Der erste Schritt in Richtung Toursieg ist oft genug eine Top-10-Platzierung. Bestes Beispiel: Vorjahressieger Carlos Sastre. Vor sieben Jahren rangierte der Spanier an zehnter Position, nachdem es im Jahr 2000 nur zu Platz 20 gereicht hatte. 2003 war der 34-Jährige bereits Neunter und sicherte sich einen Etappensieg in Ax Trois Domaines. 2004 folgte Platz acht, 2006 und 2007 beendete Sastre die Tour an vierter Position, und 2008 gelang ihm endlich der Sprung aufs Podest, sogar gleich auf Rang eins. Sastre hat die Annäherung an den Toursieg musterhaft exerziert.

Denis Mentschow, Fränk Schleck, Levy Leipheimer, Cadel Evans, Christian Vande Velde – sie alle gehören wie Armstrong und Sastre zu den Anwärtern auf vordere Positionen in der diesjährigen Tour. Und sie alle haben sich bereits - teils mehrfach - unter den ersten Zehn der Frankreichrundfahrt platziert. Dies ist die Region der Gesamtwertung, in die die Beobachter am Ende des Rennens schauen. Es ist der Teil des Ergebnis-Tableaus, der am Ende jeder Etappe im Fernsehen eingeblendet und in den Tageszeitungen abgedruckt wird. Die unzähligen Bücher über die Geschichte der Tour de France haben ebenfalls maximal die ersten Zehn jeder Austragung im Statistik-Teil.

Soll heißen: Wer dem großen Publikum auffallen will, muss dort landen. Wer als Radprofi sicher gehen will, dass in zig Jahren noch junge oder alte Sportfans seinen Namen lesen und kennen, muss zwischen Rang eins und zehn in Paris ankommen. Selbst Stars, die sich an der Tour stets die Zähne ausgebissen haben, schafften es so, unvergesslich zu bleiben: Wer in den Annalen der „Grand Boucle“ stöbert liest außer den Gesamtsiegern wie Hinault, Merckx, Armstrong, Fignon und so weiter auch die Namen Rominger, Jalabert, Escartin, Jimenez oder Hampsten. Mindestens genauso sehr wie mit ihren Etappensiegen haben sich diese Cracks von einst mit ihren Gesamtplatzierungen ins Gedächtnis gebrannt.

Aus deutscher Sicht waren die ersten Zehn lange Zeit verwaistes Terrain. Als sich Kurt Stöpel, Oscar Thierbach und einige andere in den 1930er Jahren weit vorn platzieren konnten, war die Tour noch jung. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich ein Augenmerk auf den Top-10. Der Deutsche Hennes Junkermann (4. im Jahr 1960, 5. 1961, 9. 1963 und 1964) war Anfang der sechziger Jahre Stammgast in den vorderen Positionen. Dann wurde es ruhiger um die deutschen Spitzenplatzierungen. Karl-Heinz Kunde beendete die Frankreich-Rundfahrt 1966 als 9., Vuelta-Gewinner Rolf Wolfshohl belegte 1968 Rang acht.

Dann dauerte es bis ins Jahr 1977, als Dietrich Thurau mit Platz fünf in der Endabrechnung, 18 Etappen im Gelben Trikot und fünf Tageserfolgen Deutschland in einen Freudentaumel stürzte. Der „Didi“ konnte die fortan in ihn gesetzten Erwartungen zwar selten erfüllen. Aber 1979 kam er immerhin noch einmal als 10. in Paris an. Eine erneute Durststrecke setzte ein – doch es war keineswegs Jan Ullrich im Jahr 1996, der diese Phase beendete. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, radelte Jens Heppner, einer von Ullrichs späteren Helfern, im Jahr 1992 auf Rang zehn des Gesamtklassements. Nur zwei Jahre später beendete Udo Bölts, ein anderer späterer Ullrich-Helfer, die Große Schleife auf dem 9. Platz.

Dann kam Ullrich. Zweiter im Jahr 1996, erster deutscher Sieger 1997, erneut Zweiter 1998. Wer weiß, was noch drin gewesen wäre, wenn es nicht diesen Texaner aus Austin gegeben hätte? Aber immerhin: Weitere zweite Plätze 2000, 2001 und 2003, 4. in 2004 und Dritter in 2005 runden die Ullrichs Erfolgsstatistik ab und markieren das erfolgreichste deutsche Jahrzehnt in den ersten Zehn der Tour. Dazu steuerte auch Andreas Klöden mit zwei zweiten Plätzen in den Jahren 2004 und 2006 bei. So gut waren die deutschen Rundfahrer noch nie. Trotz Linus Gerdemann und Tony Martin - in diesem Jahr wäre es eine Überraschung, wenn einer der deutschen Spitzenfahrer in die besten Zehn fahren würde.

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