Kommentar zu “Ja, ich habe gedopt!“

Das Mahnmal Ullrich: Willkommen, aber bitte mit Verantwortung!

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Das Mahnmal Ullrich: Willkommen, aber bitte mit Verantwortung!"
Jan Ullrich auf dem Weg zum Tour-de-France-Sieg 1997. | Foto: Cor Vos

24.11.2023  |  (rsn) - Jan Ullrich hat im Rahmen der Vorstellung seiner Doku-Serie "Jan Ullrich – Der Gejagte" tatsächlich endlich vor Publikum 'Ja' gesagt. Ja, er habe gedopt. Es sind die Worte, die man ihm als Radsport-Fan damals 2006 oder 2007 so sehr wünschte – und die man spätestens 2013 erwartet hätte, als er im Magazin Focus die Zusammenarbeit mit dem spanischen Gynäkologen Eufemiano Fuentes zum Zweck des Eigenblutdopings gestand, die Einnahme verbotener Substanzen aber weiterhin leugnete.

Jetzt, im November 2023, ist auch EPO kein Tabu-Thema mehr – und die große, breite Medienlandschaft steigt voll drauf ein! Ullrich erhielt am Mittwoch und Donnerstag wieder eine Aufmerksamkeit, die leider andere, hoffentlich 'saubere', deutsche Radprofis in den letzten 17 Jahre mit ihren Erfolgen nur selten erreichten. Das an sich ist schon schade und ein Schlag ins Gesicht der aktuellen Generation – wofür Ullrich zwar aktuell nichts mehr kann, historisch aber eben doch auch mit der Hauptgrund ist.

"Ja, ich habe gedopt" - heute, im November 2023, ist das doch eigentlich vor allem eins: völlig egal! "Erzähl' mir was neues", würde man am liebsten rufen.

Ein sehr wichtiger Schritt für vor allem eine Person

Doch dieser endlich ausgesprochene Satz und auch die gesamte Arbeit an der Dokumentation an sich, waren vor allem für einen sehr wichtig: Jan Ullrich selbst. Und für den Menschen muss es einen freuen, diesen im Zuge seiner psychischen Genesung und Selbstreinigung immens wichtigen Schritt endlich gegangen zu sein – und vielleicht auch genau so: vor einem real anwesenden Publikum auf einer Bühne. Keine Chance, sich zu verstecken!

Übel aufstoßen konnte einem das Setting: Eine knappe Woche bevor die vierteilige Doku-Serie auf Amazon Prime Video startet, setzt man den Hauptdarsteller auf eine Bühne fernab aller für seine Person wirklich wichtigen Orte, lädt meinungsbildende oder prominente Gäste ein und lässt die Spiele beginnen. Das ist so der Standard. Macht man halt. Promo-Tour. Könnte auch irgendwer sein. Business as usual. Melkt die Kuh!

Ein tief persönliches Geständnis als Promo für Amazon

Am Montag bereits erschien im Stern ein großes Interview mit Ullrich und er sprach auch dort sehr offen über Doping beim Team Telekom und vor allem seinen Absturz nach dem Karriereende. Aber der Satz, auf den die Öffentlichkeit seit 17 Jahren wartete - oder eben eigentlich schon nicht mehr - der wurde gezielt für die große Amazon-Promo-Bühne am Mittwoch aufgespart. Denn es war ja klar: Der Moment, in dem er das endlich so sagt, der wird für die Aufmerksamkeit und Schlagzeilen sorgen. Schon pervers, wie orchestriert.

Man muss sich schon fragen: Ist es eigentlich ironisch oder tragisch, dass Jan Ullrich in diesem intimen Moment, in dem er sich vor Publikum ehrlich öffnet, schon wieder ferngesteuert und das Vehikel zum Geldverdienen für andere ist? Genau diese Fremdbestimmtheit, die ihn vor 27 Jahren zu zerstören begann?

Pantani als wichtige Orientierungshilfe

Die Anwesenheit einiger Personen bei diesem Event – speziell der Mutter von Marco Pantani – war toll. Ich war nicht in München und kann das Gesagte oder die Emotionen vor Ort nicht richtig einschätzen. Dazu empfiehlt sich ein Text vom Kollegen Andreas Schulz auf eurosport.de. Ullrichs dort zitierte Aussagen klingen gut, klingen gesund und auch reflektiert. Er scheint zu wissen, wo er steht, wie vor allem das hier glauben macht: Er sei "gesund und clean – aber geheilt?", ließ Ullrich offen.

Die Person Jan Ullrich im Jahr 2023, sie ist ein großes Mahnmal in Sachen Doping – und es ist sehr schön, dass es ein lebendiges ist, nicht eines wie Marco Pantani. Und an dieser Stelle geht es eben nun um mehr, als nur um Ullrichs persönliche Heilung, sondern doch auch wieder um die Öffentlichkeit und den Radsport.

"Ich würde gerne wieder was im Radsport machen"

Vorsichtig sollte Ullrich nämlich jetzt damit sein, was er aus dieser Position macht. "Irgendwann soll man das auch mal ad acta legen, es ist so lange her! Ich würde gerne wieder was im Radsport machen, ich habe so viel Erfahrung und würde gerne etwas zurückgeben", soll Ullrich in München gesagt haben.

Die Frage aber ist: Gibt er nicht aktuell viel mehr zurück als er es tun würde, wenn er wieder direkt im Profiradsport eine Rolle einnähme? Würde es der Abschreckungsfunktion, die seine Person im Bezug auf Doping für junge Sportler und Sportlerinnen hat, nicht eher schaden, wenn auch er wie Lance Armstrong wieder richtig tief eintauchen und Teil der Materie Profiradsport werden würde? Würde das nicht suggerieren: Egal was ihr tut, am Ende könnt ihr doch wieder gutes Geld in der Szene verdienen – also macht, was ihr wollt!?

Es fehlen 17 Jahre Insider-Wissen

Eines ist doch klar: Egal wo Ullrich engagiert würde, es wäre wegen seines großen Namens, der auf gedopt erzielten Erfolgen basiert – egal übrigens, ob es dabei um Chancengleichheit ging oder nicht: Doping ist Doping. Von diesem Namen würden also andere dann wieder profitieren wollen, nicht von etwaiger Expertise in Sachen modernem Material, Ernährung oder Trainingswissenschaft. Da haben sehr viele andere Menschen, die nicht schon vor 17 Jahren aufgehört haben, doch viel, viel mehr aktuelles Know-How.

Es ist aberwitzig, dass am Tag nach dem Kino-Geständnis bereits Journalisten-Kollegen bei Bora – hansgrohe nachfragten, ob Ullrich für den deutschen WorldTour-Rennstall ein Thema sei. Natürlich ist er das nicht!

Ein Geständnis für sich selbst

Nicht falsch verstehen: Jan Ullrich ist herzlichst willkommen! Es ist sehr schön, ihn wieder bei Rennen wie den Deutschen Meisterschaften in diesem Jahr in Bad Dürrheim zu sehen – als Gast! Für Radsport-Fans hätte es im Jahr 2023 aber keine Doku-Reihe und auch kein "Ja, ich habe gedopt" mehr gebraucht, um so zu empfinden. Das taten sie auch vorher schon!

Das hier, lieber Jan, das hast Du für Dich, Deine Familie und Deine Gesundheit getan – und hoffentlich eben nicht für die Branche oder andere Wirtschaftsunternehmen!

Weitere Radsportnachrichten

22.11.2025Wieder ein Trikotregen, wieder ein Pausentag

(rsn) - Robert Müller ist wieder auf Achse. Wer seine Berichte aus den unterschiedlichsten Ecken der Radsport-Welt – von Südamerika bis Asien – kennt, weiß: Wenn "Radbert" unterwegs ist, wird e

22.11.2025Krahl mit Schürfwunden zum Weltcup-Auftakt in Tabor

(rsn) – Im tschechischen Tabor findet am Sonntag der Auftakt des Cross-Weltcups statt. Mit dabei ist auch eine deutsche Delegation, deren bekanntester Name der von Judith Krahl (Rose Racing Circle)

22.11.2025Die Radsport-News-Jahresrangliste der Männer 2025

(rsn) – Es ist inzwischen RSN-Tradition. Und auch wenn sich mit Christoph Adamietz der Vater der Idee vor einem Jahr aus unserem Autoren-Team verabschiedet hat, so soll diese Tradition fortgesetzt w

22.11.2025Mit einer späten Zündung in die Geschichte

(rsn) - Sensation, Coup, Paukenschlag – geschieht in der Welt des Sports ein unerwartetes Ereignis, gibt es vielerlei Begriffe, um es ihn Worte zu fassen. In ein solches Rampenlicht rückte Mathieu

22.11.2025Total-Chaos: Bernaudeau bleibt doch Manager

(rsn) – Vor zwei Tagen meldete die französische Zeitung Ouest-France, dass sich Jean-René Bernaudeau am Ende der Saison nach 26 Jahren als Teammanager des französischen Zweitdivisionärs TotalE

22.11.2025Müller verstärkt Unibets Sprintergruppe

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

22.11.2025Im zweiten U23-Jahr ging es rein ins Scheinwerferlicht

(rsn) – Nachdem er 2024 neben Nillas Behrens und Tim Torn Teutenberg der Jüngste von drei Deutschen im Nachwuchsteam von Lidl – Trek gewesen war, blieb Louis Leidert 2025 als einziger aus dem T

22.11.2025Kittel heuert in neuer Rolle bei Unibet an

(rsn) – Kurz nachdem sich Rose Bikes dem in Frankreich registrierten Unibet als Namenssponsor angeschlossen hatte, präsentierte die Mannschaft mit Jannis Peter (Vorarlberg) auch einen ersten deutsc

21.11.2025Neuer AIOCC-Chef Guillén rechnet nicht mehr mit Protesten

(rsn) – Nach der Umbenennung und Neuausrichtung des bisherigen Teams Israel – Premier Tech ist Vuelta-Direktor Javier Guillén zuversichtlich, dass es bei der kommenden Austragung der Spanien-Rund

21.11.2025Mehr als ein Feuerwehrmann: Kluge auch mit 39 noch gefragt

(rsn) - Rembe - rad-net kann auch in der Saison 2026 auf seinen routiniertesten und namhaftesten Fahrer setzen. Wie das deutsche Kontinental-Team meldete, wurde der Vertrag mit Roger Kluge um ein wei

21.11.2025Konstante Entwicklung zu einem vielseitigen Fahrer

(rsn) - In der Saison 2025 entwickelte sich Ben Felix Jochum kontinuierlich weiter. Der 21-Jährige vom Team Lotto – Kern-Haus – PSD Bank zeigte sowohl auf der Straße als auch auf der Bahn stabil

21.11.2025300 Euro Geldstrafe für pro-palästinensischen Protestierer

(rsn) – Der pro-palästinensische Demonstrant, der in Toulouse auf der Zielgeraden der 11. Etappe der Tour de France beim Kampf um den Tagessieg zwischen dem schließlich siegreichen Jonas Abrahamse

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Tour de Gyeongnam (2.2, KOR)