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03.08.2022 | (rsn) - Lisa Brennauer (Ceratizit – WNT) hat ihren Rücktritt vom Profi-Radsport bekanntgegeben. Mit der 34-jährigen Allgäuerin verlässt die stärkste deutsche Fahrerin des letzten Jahrzehnts die Bühne. radsport-news.com hat am Abend vor der öffentlichen Bekanntmachung dieses Schritts noch einmal lange mit Brennauer gesprochen – über die Entscheidung selbst, aber auch über ihre Karriere und gerade den Zeitpunkt des Abschieds:
___STEADY_PAYWALL___ Gerade ist die Tour de France der Frauen zu Ende gegangen – das größte Event in der Geschichte des Frauen-Radsports und der vorläufige Höhepunkt einer über fast zehn Jahre angelaufenen Entwicklung, immer parallel zu Brennauers Karriere.
Die Entscheidung steht und in wenigen Stunden wird sie verkündet – wie fühlt sich das an?
Brennauer: "Es ist mit ganz viel Emotionen verbunden. Immer wieder tauchen Momente aus all den Jahren auf, über die ich lachen muss oder mich freue – und sicher wird auch die eine oder andere Träne noch fließen. Ich bin heute zum Beispiel zu einer Freundin geradelt am Abend, weil ich nicht allein sein wollte."
Aber wieso dann dieser Schritt?
Brennauer: "Viele haben mir gesagt: Du merkst es schon, wenn irgendwann der richtige Zeitpunkt ist, dass Du aufhören willst. Das habe ich nie richtig verstanden, aber jetzt tue ich es. In mir ist immer mehr der Gedanke gereift, dass es doch ideal wäre: Die Tour noch mitzumachen und dann die European Games in München, so nah von daheim – einen cooleren Punkt für den Abschluss hätte ich mir nicht ausdenken können."
Der letzte Titel auf der Straße: In Marsberg wurde Brennauer Ende Juni zum fünften Mal Deutsche Zeitfahrmeisterin. | Foto: Cor Vos
Wie spürt man es denn dann, dass es soweit ist? Schwindet die Lust, Rennen zu fahren?
Brennauer: "Das gar nicht. Ich könnte vom Kopf und Körper her auf jeden Fall weitermachen und es ist auch nicht so, dass ich keine Lust mehr hätte. Aber die Ziele außerhalb des aktiven Sports sind einfach immer mehr in den Fokus gerückt. Wir bauen ein Haus im Allgäu, ich möchte irgendwann Familie haben – diese privaten Ziele sind größer geworden. Und auch beruflich etwas anderes zu machen."
Was wird das sein?
Brennauer: "Ich bin seit letztem Jahr Berufssoldatin. Da gibt es natürlich unzählige Möglichkeiten – aber auch ein paar, um mit dem Sport verbunden zu bleiben. Ich würde mir wünschen, mein Wissen und meine Erfahrung weitergeben zu können und so weit wie möglich im Sport zu bleiben. Aber bisher ist noch nicht klar, wie es genau aussehen kann und wird."
Im vergangenen Herbst haben Sie bereits angedeutet, dass Sie sich über die Olympischen Spiele in Paris – also eine mögliche Titelverteidigung – keine Gedanken machen. Wie weit waren Sie mit dem Thema Karriereende da schon?
Brennauer: "Noch nicht ganz soweit. Aber Paris war schon immer weit weg und es ist nie wirklich in meinen Kopf gekommen, dort am Start zu stehen und unseren Titel zu verteidigen. Deshalb war ich wohl schon langsam auf dem Weg in Richtung dieser Entscheidung. Aber erst in dieser Saison, als ich im Frühjahr meine Ziele abgesteckt habe, kam der Gedanke auf, dass München ein geiler Abschluss wäre. Das hat sich dann immer mehr verfestigt, aber ausgesprochen habe ich es erst in den letzten Wochen."
Was wäre gewesen, wenn 2021 nicht so erfolgreich geworden wäre mit Olympiasieg, EM- und WM-Titeln auf der Bahn und der Straße und auch einer starken Klassiker-Kampagne um Platz zwei bei der Flandern-Rundfahrt?
Brennauer: "Gute Frage. Ich denke, ich wäre trotzdem an diesen Punkt gekommen. Aber es hätte sich nicht so komplett angefühlt. Ich schaue jetzt auf eine Karriere zurück, in der ich alles erreicht habe, was ich mir je erhofft hatte. Das ist 2021 komplett geworden. So ist es auf jeden Fall viel leicht gefallen und sonst wäre ich mit einem anderen Gefühl gegangen."
Keine offenen Rechnungen mehr?
Brennauer: "Klar gibt es noch ein paar Dinge, die ich nicht gewonnen habe – einen großen Klassiker zum Beispiel. An Flandern habe ich mir immer die Zähne ausgebissen. Aber solche Dinge findet man immer – mehr geht immer. Im Großen und Ganzen ist durch 2021 einfach alles komplett geworden."
Bei der Tour de France Femmes gelang Brennauer zwar kein Spitzenergebnis mehr, das Erlebnis wird sie aber wohl nie vergessen. | Foto: Cor Vos
Die Tour de France Femmes war jetzt das allerletzte Rennen im Profi-Team – wie war das?
Brennauer: "Das war schon emotional – gerade die letzten zwei Tage, wo auch noch Müdigkeit dazukam. Das Team hat mich am Samstagabend überrascht. Ich dachte die ganze Woche, ich hätte diesen Abschied voll im Griff emotional. Aber nichts hatte ich im Griff! Ich habe geweint – und auf der letzten Etappe gab es sogar im Rennen einen Moment, in dem ich etwas übermannt wurde von den Emotionen."
Und dann ging es ganz zum Schluss auf die Super Planche des Belles Filles hinauf – durch riesige Menschenmengen…
Brennauer: "Ja! Ich habe da noch ganz konkrete Momente vor dem inneren Auge und im Ohr – viele Details, das Schreien der Menschen, meinen Blick auf die Straße und den Planche-des-Belles-Filles-Schriftzug direkt vor der Ziellinie. Anschließend bin ich dann runtergerollt und dachte mir: 'Geiler hätte es doch gar nicht sein können!' Dass ich diesen riesigen Entwicklungsschritt des Frauenradsports noch mitmachen durfte, das fand ich richtig cool."
Der Aufschwung des Frauenradsports ist über die letzten zehn Jahre ziemlich parallel zu Ihrer Karriere verlaufen. Wie stolz sind Sie darauf, Teil davon gewesen zu sein?
Brennauer: "Das ist schon schön. Aber ich weiß auch, dass ich nicht die größte treibende Kraft dabei war. Natürlich habe ich mich eingesetzt, aber ich bin nicht die, die bei allen möglichen Institutionen Hebel in Bewegung gesetzt hat. Ich glaube ich habe auch erst in den letzten zwei Jahren realisiert, welches Standing ich eigentlich habe."
Der größte Triumph: Olympiasieg in der Mannschaftsverfolgung in Tokio mit Lisa Klein, Franziska Brauße und Mieke Kröger. | Foto: Cor Vos
Sie haben gesagt, dass einzelne Erinnerungen aus der Karriere in ihrem Kopf derzeit aufpoppen – welche am deutlichsten?
Brennauer: "Sicher der Olympiasieg – aber ich will vielleicht vorne anfangen. Denn eigentlich ist auch der WM-Titel bei den Juniorinnen 2005 sehr wichtig. Das kam total überraschend und war damals der entscheidende Wink mit dem Zaunpfahl, nach dem Abitur den Radsport nicht aufzugeben. Dann die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 in London auf der Bahn und natürlich Ponferrada 2014."
Dort sind Sie Weltmeisterin im Einzel- und Mannschaftszeitfahren sowie Vize-Weltmeisterin auf der Straße geworden – überhaupt waren das die stärksten Straßenjahre, rund um den Titel?
Brennauer: "Ja, auch die WM-Titel im Mannschaftszeitfahren 2012, 2013, 2014 und 2015 gehören dazu – überhaupt war 2015 die ganze Saison toll mit den Siegen bei der Energiewacht tour, der Women's Tour in England, der Holland Ladies Tour – und auch in Thüringen habe ich erst am letzten Tag Gelb verloren. Danach kam etwas die Flaute, vielleicht auch weil in mir das Feuer nicht mehr so gebrannt und mir der Spaß etwas gefehlt hat."
Richtig schlecht waren 2016, 2017 und 2018 aber auch nicht, oder?
Brennauer: "Nein, aber man will ja immer mehr. Und gerade nach den erfolgreichen Jahren 2014 und 2015 ging es dann halt nicht mehr bergauf. Bis ich erstmal begriffen habe, dass man nicht jedes Jahr immer mehr von sich erwarten kann und darf, sind Jahre vergangen. In der Erinnerung aus diesen Jahren bleibt, dass ich nach der Zeitfahr-WM im Interview immer sagen musste, warum ich nicht in den Top 10 war – das vergisst man nicht."
Interessanterweise wirkten Sie wieder präsenter, auch auf der Straße, seit Sie 2018 auf die Bahn zurückgekehrt sind. Welche Rolle hat das gespielt?
Brennauer: "Schon eine recht große. Ich erinnere mich an meinen ersten Trainingstag in Frankfurt/Oder bei einem Bahn-Lehrgang. Dort wusste ich nach fünf Minuten, dass das genau das ist, was ich immer so richtig geliebt habe: Nicht, dass ich die Straße nicht liebe, aber dieses Grummeln im Bauch beim Anpressdruck in der Kurve und all das… Außerdem hatte ich direkt das Gefühl, dass ich etwas richtig mache. Alle haben sich gefreut, dass ich da bin und wir sind gleich schnell gefahren und so weiter. Die Erfolgserlebnisse auf der Bahn waren definitiv eine Wende für mich – gerade die European Games in Glasgow damals mit Medaillen auf Bahn und Straße in einer Woche."
Ein besonderer Sieg: Gold mit der Mixed Staffel bei der Straßen-WM 2021. | Foto: Cor Vos
Sie sind in Ihrer Karriere jeweils lange für die beiden großen, aktuellen deutschen Teams gefahren: Canyon-SRAM und Ceratizit-WNT – wie war das?
Brennauer: "Das zu vergleichen, funktioniert nicht. Es sind zwei ganz unterschiedliche Teams zu unterschiedlichen Zeiten in unserem Sport. Bei Specialized-lululemon beziehungsweise Velocio-SRAM (Vorgänger von Canyon-SRAM, Anm. d. Red. in 2014 und 2015, Anm. d. Red.) waren wir als Gruppe sehr erfolgreich. Das war schon sehr speziell. Überhaupt habe ich in den Jahren bei Ronny (Lauke) meine größte Entwicklung gemacht. Da habe ich sehr viel gelernt und dem Team zu verdanken. Den Tag vor La Course 2014 in Paris werde ich nicht vergessen, als Ronny zum ersten Mal zu mir gesagt hat: 'Morgen fahren wir für Dich!' Die Aufgaben, an denen ich dort wachsen durfte, waren sehr wichtig für mich."
Wieso sind sie dort weggegangen?
Brennauer: "Ich brauchte eine Veränderung, weil die Jahre 2016 und 2017 nicht mehr so liefen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es war nicht so, dass das Team dann schlecht für mich war. Aber ich musste etwas tun."
Sie sind dann für ein Jahr zu Wiggle-High5 gewechselt, das sich aber dann auflöste und gingen schließlich weiter zu Ceratizit-WNT. Wie war es dort?
Brennauer: "Zu Ceratizit kam ich als Fahrerin, die etwas mit aufbauen und ihr Wissen weitergeben möchte – durch die Freiheiten, das Vertrauen und das familiäre Umfeld habe ich mich dort sehr wohlgefühlt. Und ich denke, dass das für mich nach den etwas schwereren Jahren sehr wichtig war, um wieder erfolgreich zu werden. Auch die Zeit, die man mir hier jetzt gegeben hat, nach dem intensiven 2021, das ist sehr besonders!"
Zum Abschluss der Karriere geht es jetzt nochmal auf Bahn und Straße nach München. Aber Sie wollen sicher nicht nur winkend durch Bayern rollen. Was erwarten Sie sich?
Brennauer: "Ich freue mich auf die EM und bin total motiviert. Ich glaube, dass es richtig war, die Tour zu fahren, gerade weil ich da noch nicht in Top-Form war und aber auch weiß, dass mich so eine Belastung immer nochmal richtig nach vorne bringt. Die Konkurrenz im Zeitfahren ist aber riesig. Letztes Jahr war ich Dritte, aber die Konkurrenz ist riesig. Und im Straßenrennen fehlt mir dieses Jahr einfach das Erfolgserlebnis, das einem zeigt: 'Okay, ich bin da und kann in München um den Sieg mitfahren'. Die größten Medaillenchancen haben wir daher sicher auf der Bahn."
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