Die Verlierer der Tour de France 2024

Titelverteidiger bezwungen, zwei Topteams gehen leer aus

Von Peter Maurer

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Primoz Roglic (Red Bull - Bora - hansgrohe) musste die Tour de France nach zwei Stürzen vorzeitig beenden. | Foto: Cor Vos

22.07.2024  |  (rsn) – In Nizza endete am Sonntag die 111. Austragung der Tour de France. Das Rennen rund um Frankreich, welches heuer erstmals in Italien begann, sorgte für viel Action, Dramatik, Freude und Tränen, welche nicht immer nur dem Glück gewidmet waren. So blieb vor allem Titelverteidiger Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) in Erinnerung, der bei dieser Tour eine Achterbahnfahrt an Emotionen erlebte.

Nach seinem schweren Sturz im Baskenland hatte ihm kaum jemand zugetraut, dass er in Florenz wieder voll gesundet und fit in die drei Wochen gehen würde. Doch der Däne, zuletzt zweifacher Gesamtsieger und damit die erste Nemesis von Topfavorit Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) erwies sich von Beginn an als erster und auch härtester Gegner des Slowenen.

Ein Zweiter der Gesamtwertung mag auf dem Papier der erste Verlierer sein, weshalb sich der Däne auch in dieser Auflistung findet, dennoch überraschte er mit seinem Leistungsniveau, fuhr stark wie in den Jahren zuvor, hatte einfach nur mit Pogacar einen übermächtigen Gegner, der sich in der Form seines Lebens befand. Dementsprechend war Vingegaard am Boden zerstört, als er an der schweren Etappe hinauf nach Isola 2000 weiter Zeit verlor. Eigentlich hatte er diesen Tag angekreuzt, wollte dort noch einmal die Wende im Dauerduell mit dem Slowenen erzwingen.

Seit 2021 besetzten die beiden abwechselnd die Ränge eins und zwei der Gesamtwertung und auch bei dieser Tour änderte sich nichts daran. Wirkte es in den letzten Jahren aber so, als hätte der Däne die stärkeren Helfer an seiner Seite, so ging dieser Vergleich erstmals an Pogacar. Vingegaard biss sich mit einer Ausnahme die Zähne am Slowenen aus. Im Zentralmassiv konnte er eine Etappe gewinnen, nachdem ihm Pogacar schon enteilt war, holte er ihn mit einer unglaublichen Leistung wieder ein, übersprintete ihn dann im Finish und deutete an, dass er doch in der Lage sein könnte, Pogacars Double-Ambitionen zu gefährden.

Doch am Ende war die Tour für Pogacar eine ähnlich klare Angelegenheit wie für Vingegaard ein Jahr zuvor. Diesmal verlies der Däne die Rundfahrt grübelnd, obwohl er sich selbst nichts vorwerfen konnte. Dennoch wird er den Leistungsunterschied genau analysieren, um 2025 wieder das Maillot Jaune erringen zu können. Mit einer unfallfreien Vorbereitung könnte er auf die Gewinnerstraße zurückkehren.

Ineos Grenadiers: Der tiefe Fall der früheren Tour-Dominatoren

Denkt man gut zehn Jahre zurück, so war mit dem britischen Team Sky eine Mannschaft extrem dominant, führte die entscheidenden Etappen vom ersten bis zum letzten Kilometer an und produzierte mit Bradley Wiggins, Chris Froome, Geraint Thomas und Egan Bernal gleich vier Gesamtsieger. Doch der frühere Glanz ist verflogen.

An der mangelnden Qualität der Fahrer lag es definitiv nicht, dennoch konnte das britische Team nicht einmal einen Etappensieg erzielen. Aus einer Ausreißergruppe heraus war der frühere Weltmeister Michal Kwiatkowski nahe dran, trotzdem sollte für einen so starken Kader mehr als nur eine Chance auf einen Tageserfolg vorhanden sein.

Als Gesamtsiebter war Carlos Rodriguez zwar der beste Fahrer der restlichen Welt hinter den drei Topteams UAE Team Emirates, Visma – Lease a Bike und Soudal – Quick Step, dennoch konnte der 23-Jährige nicht an seine starken Fahrten vor einem Jahr anschließen. Er wurde, wie 2023 schon, Zweiter in der Nachwuchswertung, ein wirklich zählbares Tagesresultat wie sein Etappensieg 2023, gab es aber nicht. Der frühere Sieger Thomas kämpfte mit einer Corona-Infektion und war weit von seiner Topform entfernt. Bernal überraschte zwar als Vierter bei der Tour de Suisse (2.UWT), konnte aber in den letzten drei Wochen keine Akzente setzen. Das Team, welches jahrelang dominierte, hat aktuell keinen Athleten im Kader, der um einen Toursieg mitfahren kann.

Red Bull: Alles auf eine Karte gesetzt und verloren

Als im vergangenen Herbst Primoz Roglic eine neue sportliche Heimat suchte, öffnete sich für Ralph Denk eine Möglichkeit, 2024 in den Kampf um das Gelbe Trikot einzugreifen. Das deutsche WorldTeam verpflichtete den Slowenen und stimmte die Saison voll auf dessen Einsatz in Frankreich ab. Als Sieger der Dauphiné-Rundfahrt zeigte Roglic, dass er durchaus in der Lage sein könnte, mit um das Podium zu fahren.

Doch ein Sturz auf der 12. Etappe bedeutete das Ende seiner Ambitionen und einen heftigen Tiefschlag für das Team. Denn mit der Ausrichtung auf einen Kapitän waren die Chancen, mit einem der anderen Fahrer einen Etappensieg zu landen, gering, zumal mit Aleksandr Vlasov auch der zweitbeste Kletterer schon ausgestiegen war.

Am Ende blieben die Raublinger ohne Etappensieg und landeten im Preisgeld-Ranking auf dem letzten Platz. Kein Einstand nach Maß für den neuen Sponsor, einen österreichischen Getränkehersteller, dessen Trikots noch mit großem Pomp vor der Tour in Salzburg präsentiert wurde.

Kaum eine Chance für Ausreißer

Gerade einmal fünf der 21 Tagesabschnitte endeten damit, dass Ausreißer den Erfolg untereinander ausmachen konnten. Nach dem Auftaktsieg von Romain Bardet (dsm-firmenich - PostNL) in Rimini sicherte sich Kevin Vauquelin (Arkea - B&BHotels) gleich das zweite Teilstück in Italien. Auf der Schotteretappe rund um Troyes setzte sich mit Anthony Turgis (TotalEnergies) der dritte Franzose durch, die 17. Etappe ging an Richard Carapaz (EF Education – EasyPost) und am folgenden Tag fuhr Victor Campenaerts (Lotto - Dstny) zum Etappenerfolg. Während im flachen Terrain die Sprinterteams jeden Versuch zunichtemachten, waren an den Bergtagen die Klassementteams mit ihrer Nachführarbeit mitverantwortlich dafür, dass die Ausreißer nicht den Hauch einer Chance hatten.

Wie auch in den letzten Jahren war deshalb auf den flacheren Teilstücken das Interesse mehr als gering, um in die Gruppe des Tages zu kommen, während sobald es bergauf ging, sich beinahe das halbe Peloton auf die Jagd machte. Es ist zwar sehr positiv zu sehen, dass fast alle Tourteams nicht mehr auf die Werbeminuten der Fluchtgruppen angewiesen sind, andererseits sorgt es auf den Sprintetappen für nahezu lähmende Langweile, wenn das Feld geschlossen durch Frankreich fuhr.

Eine weitere Gefahr besteht auch darin, dass sich viele Klassikerspezialisten in Zukunft gegen eine Tourteilnahme entscheiden könnten. Denn so richtig kam beispielsweise einem Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) kaum eine Etappe entgegen. Warum sollte sich der aktuelle Weltmeister in den nächsten Jahren durch die Tour quälen, wenn für ihn nur wenig herauskommen kann.

Verrückte Etappenpläne, aber Langeweile im Klassement

In Zeiten eines Tadej Pogacar ist es natürlich schwer, eine Route zu finden, die auch für Abwechslung in der Gesamtwertung sorgt. Das war 2024 weder beim Giro d'Italia noch bei der Tour de France der Fall. Schon die ersten Etappen waren sehr selektiv, am vierten Tourtag ging es bereits über den Galibier. Danach gab der Slowene sein Maillot Jaune nicht mehr ab und selbst wenn er es gewollt hätte, kaum ein Fahrer aus der dritten Reihe wäre noch in Reichweite gewesen.

Nach den frühen Actiontagen im Klassement ging es erst wieder in der dritten Woche in die Berge. Bis dorthin hätte vielleicht ein anderer Träger des Gelben Trikots für Abwechslung, Spannung oder neue Geschichten gesorgt. So wurde es eine lange Wartezeit, ehe die Tour dann in den Alpen noch einmal von neuem begann.

Zwei sehr spezielle Etappen, nämlich der Schotterabschnitt rund um Troyes sowie auch das Abschlusszeitfahren in Nizza, standen als Neuerungen im Programm. Im Hinblick auf die Sicherheit und Gesundheit der Fahrer waren diese Abschnitte  fragwürdig. In Troyes sorgte der teilweise tiefe Schotter für Stürze und Chaos, was möglicherweise auch erwünscht war. Ob man ein Tourfeld über solche Sektoren schicken muss, darf diskutiert werden, genauso wie das finale Zeitfahren.

Als Reminiszenz zum legendären Duell zwischen Laurent Fignon und Greg Lemond wieder aufgelebt, entwickelte sich der Schlusstag eher zu einem zähen Kaugummi. Aber die schwere Streckenführung von Monaco über die Anstiege nach Nizza wäre bei heftigem Regen zur Farce geworden. Stürze und fast unbefahrbare Abfahrten hätten das Klassement ordentlich durcheinanderwirbeln können.

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