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23.07.2012 | Paris/London (dapd) - Er hatte Radsport-Geschichte geschrieben, doch Zeit zum Feiern blieb kaum. Bereits am Sonntagabend, nur wenige Stunden nach seinem Triumph bei der 99. Tour de France, hieß es für Bradley Wiggins: "Au revoir Paris, London Calling".
Der erste britische Sieger in der 109-jährigen Geschichte der Frankreich-Rundfahrt wollte keine Zeit verlieren und begab sich flugs zusammen mit Weltmeister Mark Cavendish auf die Heimreise. Schließlich wartet auf die Protagonisten des britischen Radsport-Aufschwungs schon der nächste Höhepunkt bei den Olympischen Spielen vor der eigenen Haustür.
"Mein Vorsatz ist es, bei Olympia eine Medaille zu holen. Deshalb müssen wir die Feier verschieben. In London heißt es Gold oder Nichts", sagte Wiggins und Teamkollege Cavendish, der auf den Champs Elysees zum 23. Etappensieg seiner Karriere gesprintet war, ergänzte: "Wir haben nächste Woche noch einen weiteren Job zu erledigen. Das können einmalige Wochen für uns werden."
Wohl wahr, am Samstag steht gleich am ersten Wettkampftag der Spiele in London das olympische Straßenrennen auf dem Programm. Dann soll Cavendish mit der Unterstützung von Wiggins den Gastgebern das erste Gold der Spiele bescheren. Am folgenden Mittwoch könnte im Zeitfahren dann wieder die Stunde des Tour-Siegers schlagen. So wie bei den beiden Zeitfahren in Besancon und Chartres, die Wiggins in souveräner Manier gewann und damit den Grundstein zum Gesamtsieg legte.
Doch bevor die beiden britischen Radsport-Heroen den Blick auf die nächsten Höhepunkte richteten, durften sie in den englischen Blättern die Lobeshymnen genießen. "Ein Gentleman fährt nach Paris - und in die Geschichte", titelte der Guardian und benannte das Rennen in Tour de Triomphe um. Sämtlichen Zeitungen war allerdings auch zu entnehmen, dass ein Heimsieg in London fast schon erwartet wird. Die Times schrieb: "Das war das Gelbe, jetzt kommt das Gold."
Pünktlich zu den Olympischen Spielen ist der britische Radsport auf dem Höhepunkt angelangt. Bei den Wettkämpfen auf der Straße und der Bahn könnte die Nationalhymne "God save the Queen" zum Dauerbrenner werden. Bereits in Peking waren 8 der 19 britischen Goldmedaillen auf das Konto der Radsportler gegangen.
Da hatte die professionelle Umstrukturierung im britischen Radsport erstmals Früchte getragen. Mit einem zentralen System in Manchester wurde die Bahn-Nationalmannschaft wie ein Profi-Rennstall geführt. Das kommt heute dem Straßenradsport zugute, denn das System haben auch Wiggins, der drei Olympiasiege auf der Bahn holte, und Cavendish durchlaufen.
Vater des Erfolges ist David Brailsford, der auch Teamchef des millionenschweren Sky-Rennstalls ist. 2009 hatte er den Plan bekannt gegegeben, innerhalb der nächsten fünf Jahre die Tour zu gewinnen. Der Wunsch ging bereits nach drei Jahren in Erfüllung. "Wiggins' Sieg ist der Beginn einer neuen Ära. Es findet ein Wandel im Radsport statt. Die angelsächsischen Länder nehmen den Platz traditioneller Radsport-Nationen wie Belgien, Italien oder Spanien ein", sagte Tourchef Christian Prudhomme.
Ein Brite als Toursieger galt lange Zeit undenkbar. Die Erfolge der Radsportler von der Insel waren doch recht überschaubar. 1962 hatte in Tom Simpson erstmals ein Brite das Gelbe Trikot getragen. Daran erinnern sich aber nur die wenigsten, stand sein Name vielmehr für eine der größten Tragödien der Tour de France. Beim Anstieg zum berüchtigten Mont Ventoux brach Simpson 1967 zusammen und starb. Er hatte sich mit Amphetaminen aufgeputscht.
45 Jahre später haben britische Radsportler wieder die Schlagzeilen der Tour beherrscht, diesmal der positiven Art. Womöglich erst der Beginn eines britischen Radsport-Sommermärchens.
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