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20.07.2012 | Brive-la-Gaillarde (dapd) - Bradley Wiggins (Sky) wird als erster britischer Sieger einen festen Platz in der 109-jährigen Geschichte der Frankreich-Rundfahrt einnehmen. Daran gibt es nach den letzten Bergetappen wohl keine Zweifel mehr. Eine Heldengeschichte wird der Brite im Drehbuch der 99. Tour de France über sich aber kaum zu lesen bekommen. Denn die Zweifel bleiben, ob nicht doch sein zweitplatzierter Teamkollege Christopher Froome der stärkste Fahrer im Feld ist.
Und so wurde es dem Mann mit den langen Koteletten und dem mürrischen Blick irgendwann zu bunt. "Es fühlt sich seltsam an. Immer wieder muss ich negative Fragen beantworten. Ich wurde gefragt, ob die Dopingskandale oder die Abwesenheit von Alberto Contador und Andy Schleck meinen Sieg überschatten. Ich bin seit drei Wochen Erster oder Zweiter der Gesamtwertung. Ich habe alle Fragen beantworten. Ich habe über Doping gesprochen und muss mich immer noch rechtfertigen. Mich hat bisher keiner gelobt oder mir auf die Schulter geklopft", klagte Wiggins.
Den Kampf auf der Landstraße hatte er da längst gewonnen, den Kampf um Anerkennung freilich nicht. "Ein Sieger, eine Frage", schrieb das Tour-Organ "L'Equipe" am Freitag: "Wiggins gewinnt die Tour, aber Froome hat gezeigt, dass er ein ehrenvollerer Sieger sein könnte." Mehrmals war der Kronprinz am letzten schweren Anstieg der Tour seinem Kapitän kurz davongefahren, ehe er das Tempo wieder rausnahm und Wiggins per Handzeichen zu sich herbeiwinkte. Die Teamorder wollte es so. So wurde der 32-Jährige von seinem eigenen Teamkollegen in der Stunde seines größten Erfolges ein wenig vorgeführt. Ein paradoxes Szenario, dass die 99. Tour bei ihrem Abschied aus den Pyrenäen da lieferte.
Und so musste sich Wiggins wieder rechtfertigen. "Als Nibali abgehängt war, dachte ich zum ersten Mal, dass ich jetzt die Tour gewonnen habe. Und dann wurde es richtig hart, denn ich habe die Konzentration verloren. Es schossen mir so viele Dinge durch den Kopf. Es war ein unglaubliches Gefühl", erklärte Wiggins, den wohl nur noch ein Sturz auf dem Weg zum Tour-Triumph aufhalten kann. Das sieht auch der Bahn-Olympiasieger so, schließlich wartet als letztes Hindernis nur noch das Zeitfahren am Samstag. Und da hatte Wiggins bereits in Besancon bewiesen, dass er im Kampf gegen die Uhr kaum zu schlagen ist.
Nur durch seine Zeitfahrqualitäten hat Wiggins die Tour aber freilich nicht gewonnen. Immerhin war der 32-Jährige bei den Attacken der Konkurrenz in den Bergen nicht einmal ernsthaft in Schwierigkeiten geraten. Dem früheren französischen Tourhelden Richard Virenque reichte dies freilich nicht aus. "Wenn Wiggins von der Öffentlichkeit in Frankreich bewundert werden will, würde ich ihm raten, aggressiver zu fahren. So wie es Thomas Voeckler etwa macht", mäkelte Virenque.
Doch die geringe Wertschätzung basiert wohl auf Gegenseitigkeit, hatte Wiggins zuvor in einer Kolumne für die englische Zeitung "The Guardian" den früheren Tourzweiten angegriffen. In Großbritannien gebe es eine andere Einstellung zum Thema Doping wie etwa in Frankreich oder Italien, wo Fahrer wie Virenque dopen, erwischt, gesperrt und zurückkommen können und trotzdem Volkshelden bleiben.
Am Ende wird es Wiggins egal sein, was die "Grande Nation" über ihn denkt. "Mein Name wird immer in der Siegerliste stehen. Und das ist alles, was für mich zählt", sagte der Sky-Kapitän, und dass Froome sich jederzeit loyal gezeigt hat, werde er irgendwann zurückzahlen. "Die Zeit von Chris wird kommen. Und ich werde da sein, um ihn jeden Zentimeter zu begleiten, wenn er es bei der Tour macht." Vielleicht wird er dann auch in Frankreich die Anerkennung erhalten, die ihm in diesem Jahr noch verwehrt bleibt.
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