"Keiner erwartet, dass ich Weltmeister werde"

Martin hat nichts zu verlieren - gewinnt er alles?

Von Daniel Brickwedde

Foto zu dem Text "Martin hat nichts zu verlieren - gewinnt er alles?"
Tony Martin - gewinnt er morgen sein viertes WM-Zeitfahr-Gold? | Foto: Cor Vos

11.10.2016  |  (rsn) - Ein Kurs für die Spezialisten, für die kraftvollen Tempozeitfahrer. Eine Beschreibung, die häufiger im Radsport-Jargon fällt, wenn ein Zeitfahren eher flach daherkommt. Aber wohl selten zuvor war diese Beschreibung so passend, wie zum diesjährigen Parcours bei den Weltmeisterschaften in Doha: 40 Kilometer lang, kleinere technische Herausforderungen und ansonsten komplett flach. Vorteil Tony Martin?

"Die Topografie ist eher mein Terrain als in Rio und sollte mir vielleicht auch mehr entgegenkommen als Fahrern wie Dumoulin oder Dennis", zeigte sich der dreimalige Zeitfahrweltmeister vor dem Rennen vorsichtig optimistisch.

Die Olympischen Spiele in Rio waren Martins persönlicher Tiefpunkt: Platz zwölf, schmerzende drei Minuten hinter Goldmedaillengewinner Fabian Cancellara. Das war nicht der Martin, an dem in seiner Spezialdisziplin über Jahre kein Vorbeikommen war. Er war die "Benchmark" und bei den Saisonhöhepunkten jahrelang kaum zu schlagen: Drei Weltmeistertitel in Folge und 26 Einzelzeitfahrsiege zwischen 2011 und 2015 zeugen davon.

Doch auf Rang zwei bei den Weltmeisterschaften 2014 in Ponferrada folgte Platz sieben im Vorjahr bei den Titelkämpfen in Richmond. Und in dieser Saison schien Martin seine Dominanz auf dem Zeitfahrrad endgültig eingebüßt zu haben - nur bei der deutschen Meisterschaft und der Tour of Britain gelangen ihm Siege.

Das Selbstvertrauen und die Selbstverständlichkeit waren weg. Martin versuchte Neues und haderte. "Wir hatten im Windkanal und auf der Bahn versucht, die Position aerodynamisch zu optimieren. Ich musste aber spätestens nach Rio einsehen, dass das keine Position ist, in der ich optimale Leistung bringen kann", erklärte er. Martin kehrte mitten in der Saison zur alten Sitzposition zurück. Und damit zurück zum Erfolg? Zumindest fühlt er sich wieder deutlich wohler, gibt er zu.

"Ich bin gelöster und gerade an einem Punkt, wo ich nichts zu verlieren habe. Es erwartet keiner, dass ich am Ende Weltmeister werde. Es ist immer schwerer, als Weltmeister oder Vize-Weltmeister am Start zu stehen, als nach dem 7. Platz im letzten Jahr oder mit der Niederlage in Rio", sagte er zu den an ihn gerichteten Erwartungen.

Dabei zählt der Deutsche Zeitfahrmeister natürlich auch dieses Mal wieder zum Favoritenkreis. Nicht zuletzt, da Martin bereits einen Titel in Doha gewonnen hat. Im Mannschaftszeitfahren sicherte er sich mit Etixx-Quick-Step den dritten Titel nach 2012 und 2013 – auf demselben Kurs, auf dem auch das Einzelzeitfahren ausgetragen wird. Es gibt schlechtere Voraussetzungen. "Vielleicht merkt man mir auch an, dass ich gelöst bin. Ich habe mit dem Sieg gestern (Sonntag, d. Red) schon sehr viel erreicht, im Prinzip kann es keine schlechte Woche mehr für mich werden", gab sich Martin entspannt.

An der Vorbereitung auf die extremen äußeren Bedingungen kann es zumindest am Ende nicht liegen. Martin hat frühzeitig die Hitze als entscheidenden Faktor erkannt – und vorgesorgt. "Ich habe mir zu Hause mein eigenes Klimastudio aufgebaut: Kleiner Raum, Heizlüfter, dicke Klamotten und dann bis zur 'Vergasung' auf der Rolle gefahren. Das waren mit meine längsten Rollentrainingseinheiten, die ich bis jetzt durchgeführt habe - zumindest mental", erklärte er.

Ein Aufwand, der sich bezahlt machen könnte. "Das war extrem, aber ich habe nach der Anreise sofort gemerkt, dass es etwas gebracht hat und hatte seit der Anreise keine größeren Probleme mit der Hitze", fügte Martin an.

Trotz der passenden Vorbereitung und der Rückkehr zur früheren erfolgreicheren Position auf dem Rad stapelte Martin dennoch tief: "Jetzt sind andere im ganz großen Favoritenkreis und ich kann aus dem Windschatten agieren."

Wäre Tony Martin also ein Überraschungssieger im Zeitfahren? Dafür hat er sich zu gut vorbereitet. Er ist heiß auf seinen vierten Weltmeistertitel.

Mehr Informationen zu diesem Thema

16.11.2016Andersen bei der WM absichtlich von Polizeiauto umgefahren?

(rsn) – Bei der Straßen-WM in Doha ist die Norwegerin Susanne Andersen von einem Polizeiauto umgefahren worden, nachdem sie von ihrem Einsatz im Zeitfahren der Juniorinnen auf dem Weg zurück zum T

18.10.2016Bitte nie wieder eine Qual Qatar!

(rsn) - Wir hätten eine riesengroße Bitte an die Verantwortlichen im Radsportweltverband. Nie wieder! Bitte nie wieder eine Straßen-WM in einem Land, das mit Radsport soviel gemein hat wie Rosamund

17.10.2016Kittel: "Das ist auch Erfahrungssache"

(rsn) – Mit gleich zwei Debütanten trat das nur sechsköpfige deutsche Team in gestrigen WM-Straßenrennen von Doha an. Der Kölner Nils Politt und der Freiburger Jasha Sütterlin hatten sich nach

17.10.2016L´Equipe: Ein "Großes Fiasko" für die Franzosen

(rsn) - Wo waren eigentlich die Franzosen im WM-Straßenrennen von Doha? Einen Tag nach den Titelkämpfen und dem erneuten Triumph von Peter Sagan sind die Mannschaften aus Belgien, Italien, Norwegen,

17.10.2016Degenkolb: Auf "The Pearl" wurde aus Hoffnung Frust

(rsn) – John Degenkolb ist bereits im Besitz von zwei WM-Medaillen. In seinem ersten U23-Jahr gewann der Oberurseler 2008 in Florenz die Bronzemedaille, zwei Jahre später musste er sich im australi

17.10.2016Windkante und Plattfuß kosteten Deutschland alle Chancen

(rsn) - Die Enttäuschung war riesig. Während Vertreter der Nachwuchs- und Frauen-Mannschaften des Bundes Deutscher Radfahrer gemeinsam mit Vize-Präsident Udo Sprenger auf dem Podium die Ehrung als

16.10.2016Weltmeister Sagan: Unfassbar erfolgreich

(rsn) - Selbst den ganz großen Namen wie Eddy Merckx oder Alfredo Binda blieb diese Ehre verwehrt: die Titelverteidigung bei einer Straßen-Weltmeisterschaft. Peter Sagan hat den beiden Radsport-Lege

16.10.2016Medaillenspiegel der Straßen-WM 2016

(rsn) - In insgesamt zwölf Wettbewerben der 89. UCI-Straßen-Weltmeisterschaften in Katar werden vom 9. – 16. Oktober 2016 insgesamt 36 Medaillen vergeben.In Einzelzeitfahren und Straßenrennen kä

16.10.2016Cavendish: Starke Saison ohne fettes Ausrufezeichen

(rsn) - Es wäre das fette Ausrufezeichen hinter eine Saison gewesen, die für Mark Cavendish eine Art sportlicher Wiedergeburt war. Bei der Tour de France katapultierte er sich mit vier Etappensiegen

16.10.2016Leezer fehlten in Doha 300 Meter zum WM-Gold

(rsn) – Wie bei den Deutschen ging auch bei den Niederländern der Plan nicht auf, am Ende des WM-Straßenrennens von Doha zumindest einen schnellen Mann vorne mit dabei zu haben. Denn Sprinthoffnun

16.10.2016Sagan krönt sein fabelhaftes Jahr mit zweitem WM-Gold in Folge

(rsn) – Bereits nach gut 80 Kilometern war in Katar der Traum der deutschen Profis vom ersten WM-Gold seit 50 Jahren jäh beendet. Bei einer von den Belgiern in der Wüste initiierten Windkantenatta

16.10.2016Boonen holt WM-Bronze in Doha - und hadert

(rsn) - Würde der Weltmeister nach Fleißarbeit ermittelt werden, dann hätte die belgische Equipe mit ihrem Einsatz berechtigten Anspruch auf den Titel in Doha gehabt. Doch so groß der Teamgedanke

Weitere Radsportnachrichten

27.04.2024Huys saust im Zeitfahren allen davon

(rsn) – So schnell wie Tabea Huys (Maxx Solar Rose Women Racing) war noch nie eine Athletin auf dem 13,5 Kilometer langen Zeitfahrparcours der Gracia-Rundfahrt in der Tschechischen Republik. Seit 20

27.04.2024Königsetappe in der Romandie geht an Carapaz

(rsn) – Lange blieb es auf der Königsetappe der Tour de Romandie (2.UWT) ruhig, doch das letzte Drittel des Schlussanstieges reichte aus, um die Gesamtwertung nochmal ordentlich durchzuwirbeln. Und

27.04.2024“Alles in trockenen Tüchern“: Dorn hat Rot und Weiß sicher

(rsn) - Einen Tag vor Rundfahrtende hat Vinzent Dorn (Bike Aid) freudige Gewissheit. Nach dem Bergtrikot ist dem Freiburger bei der Tour of Turkiye (2.Pro) auch das Weiße Trikot der Zwischensprintwe

27.04.2024Andresen sprintet zum Tageserfolg in Izmir

(rsn) - Der Däne Tobias Lund Andresen feiert auf der 7. Etappe der 59. Tour of Türkiye seinen zweiten Sieg in wenigen Tagen und gleich den fünften für sein Team DSM Firmenich - PostNL bei der aktu

27.04.2024Reusser zurück im Feld und am Weg zu Olympia

(rsn) - Knapp ein Monat ist seit dem schweren Sturz bei der Flandern-Rundfahrt vergangen, der für die 32-jährige Marlen Reusser (SD Worx - Protime) schwere Folgen hatte. Ober- und Unterkiefer, die

27.04.2024Ein Klassikerfrühjahr 2025 mit Evenepoel?

(rsn) – Mit Lüttich-Bastogne-Lüttich hat Remco Evenepoel (Soudal – Quick Step) schon eines der fünf Monumente abgehakt, auch die Lombardei-Rundfahrt liegt dem jungen Belgier gut. Im nächsten J

26.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

26.04.2024Highlight-Video der 3. Etappe der Tour de Romandie

(rsn) – Brandon McNulty (UAE Team Emirates) hat das Einzelzeitfahren der 77. Tour de Romandie gewonnen. Der US-Meister in dieser Disziplin benötigte für den 15,5 Kilometer langen Parcours rund um

26.04.2024Helferrolle bei der Vuelta: Vorjahresfünfte Bauernfeind kränkelt

(rsn) – Im vergangenen Jahr hat eine Deutsche bei der Vuelta Espana Femenina die Weltspitze überrascht und ist bei den Bergankünften am Mirador de Penas Llanas und an den Lagos de Covadonga mit de

26.04.2024Teutenberg büßt Führung ein, peilt nun aber Gesamtwertung an

(rsn) - Auf der 2. Etappe der Tour de Bretagne (2.2) hat Tim Torn Teutenberg (Lidl - Trek Future Racing) das hellgrüne Trikot des Gesamtführenden abgeben müssen. Der 21-Jährige aus Mettmann, der

26.04.2024Bike Aid nach Türkei-Königsetappe “etwas enttäuscht“

(rsn) - Aufgrund der starken Leistungen an den ersten fünf Tagen und der guten Ausgangssituation für die Kletterer im Team ging Bike Aid optimistisch in die Königsetappe der Türkei-Rundfahrt (2.P

26.04.2024McNulty gewinnt Zeitfahren, Teamkollege Ayuso holt Gelb

(rsn) – 142 Fahrer lang musste Brandon McNulty (UAE Team Emirates) warten, ehe er endgültige Gewissheit darüber hatte, dass ihm seine 20:06 Minuten für das 15,5 Kilometer lange Zeitfahren auf der

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de Romandie (2.UWT, SUI)
  • Radrennen Männer

  • Gracia Orlová (2.2, CZE)
  • Tour de Bretagne (2.2, FRA)
  • Tour of the Gila (2.2, USA)