Zweifel auch nach dem Freispruch

Die arithmetische Lex Froome

Von Tom Mustroph

Foto zu dem Text "Die arithmetische Lex Froome"
Chris Froome (Sky) | Foto: Cor Vos

04.07.2018  |  (rsn) - Mathematik ist zuweilen eine Zauberwissenschaft, sie kann Dinge verschwinden lassen - bei der Division durch Null - oder Positives in Negatives verwandeln - Multiplikation mit negativen Zahlen, wir erinnern uns. Und wir denken da noch nicht einmal an die Algorithmen der Big Data-Industrie, die uns mit welchen Sachverhalten auch immer verknüpfen.

Der Freispruch von Chris Froome - erfolgt durch den Radsportweltverband UCI in Abstimmung mit der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA - ist nun auch so ein Zauberwerk der Mathematik. Darauf weist ein Interview von Froome selbst hin, das er Matt Dickinson von der "Times" gab, und in dem er einige interessante Details liefert. Für alle Nicht-Abonnenten der "Times" arbeitete cyclingnews die Sache noch einmal auf.

Bekannt war bereits, dass Froomes gemessener Salbutamolwert von 1.920 ng/ml rechnerisch auf 1.429 ng/ml angepasst wurde. Grundlagen sind offenbar Studien über Flüssigkeitsverluste bei großen Anstrengungen. Dreiwöchige Rundfahrten gehören mit Sicherheit in diese Kategorie.

Die genaue Mathematik dahinter wurde leider nicht verraten. Also weder, wie hoch durchschnittliche Flüssigkeitsverluste waren, wie sie von Minimal- wie Maximalwerten unter- bzw. überboten wurden, in welchem Setting die Messungen stattfanden und wie vergleichbar das Testdesign mit Froomes Vuelta-Fahrt war. Das hinterlässt ein großes Fragezeichen hinter den 1.429 ng/ml - selbst wenn die Tatsache, dass der Verlust von Flüssigkeit zu einer höheren Konzentration einer Substanz bei deren gleichbleibender Menge führt, vollkommen einleuchtet.

Neue Verordnung mit rückwirkenden Folgen

Weit über dem Grenzwert - 1.000 ng/ml - lag Froome aber immer noch. Zu Hilfe kam ihm und seinem Verteidigungsteam nun eine neue Berechnungsgrundlage für Grenzwerte der WADA. Die wurde am 15. November 2017 vorgestellt - zwei Monate nach Froomes Durchbrechen der Salbutamol-Schallmauer. In Kraft gesetzt wurde sie am 1.3.2018.

Rechtlich gesehen galt sie gar nicht für den Froome-Fall. Sie wurde aber rückwirkend für den Briten angewendet. Das klingt einerseits nach Rechtsbeugung, denn der Paragraph galt ja noch nicht für den Fall. Fachlich kann man die Entscheidung aber auch begrüßen, weil eben neuere Forschungsergebnisse berücksichtigt werden. Messfehler sollen so ausgeglichen werden.

Die neue Verordnung, technisches Kürzel TD2018DL, erhöht in zwei Schritten den Grenzwert von 1.000 ng/ml auf 1.200 ng/ml. Als "absolute Standardungenauigkeit" werden für Salbutamol 100 ng/ml gesetzt, als "relative Standardungenauigkeit" zudem 10 Prozent des Grenzwerts, also weitere 100 ng/ml, bestimmt. Addiert mit dem Grenzwert kommt man dann auf die 1.200 ng/ml. Warum allerdings nicht gleich der Grenzwert erhöht wurde, wird in dem Dokument nicht erklärt. Auf Anfragen verwies die WADA nur auf ihre Website. Transparenz geht anders.

Die neuen Toleranzbereiche - sie gelten auch für andere Substanzen wie Ephedrin, Morphin und Wachstumshormone - führten dazu, dass Froomes Grenzwertüberschreitung nun nicht mehr fast das Doppelte betrug, sondern weniger als 20 Prozent - mit 1.429 ng/ml liegt er nur 229 ng/ml über der neuen Schwelle.

Nicht alle Faktoren messbar und quantifizierbar

Als zusätzlichen Parameter führte der Wissenschaftliche Direktor der WADA, Olivier Rabin, den Fakt ein, dass 60 bis 70 Prozent des Salbutamols beim Inhalieren direkt in den Stoffwechsel gehen. Nachzulesen ist das hier.

Rabin sagte dazu: "Wir hatten in diesem Fall verschiedene spezifische Faktoren. Es gab erstens eine sehr deutliche Erhöhung der Dosis in den Tagen zuvor (allerdings innerhalb der erlaubten Limits). Zweitens wurde er (Froome) wegen einer Entzündung behandelt. Und dann gab es noch den physiologischen Effekt des Rennens selbst und andere Faktoren wie Nahrungsergänzungsmittel. All das in Betracht ziehend entschieden wir, dass eine Untersuchung des Stoffwechsels und der Exkremente Froomes nicht möglich und das Testergebnis selbst nicht unvereinbar mit therapeutischen Dosierungen war."

Das bedeutet: Weil nicht alle Faktoren messbar und quantifizierbar sind, könnte Froome beim Inhalieren tatsächlich innerhalb der erlaubten Mengen geblieben sein. Das mag sein. Das Problem ist, dass die Antidoping-Wissenschaft sich mit dieser Entscheidung als Schätzwissenschaft etabliert. Vertrauen ist erschüttert. Und wer genug fachliche Manpower an den Start zu bringen vermag, kann über Zweifel an den Messverfahren Werte nachträglich modifizieren.

Ein Freispruch 2. Klasse

Ein ungutes Grundgefühl bleibt weiter, vor allem wenn man sich die Vuelta 2017 noch einmal vor Augen führt. Froome verlor in der letzten Woche kontinuierlich Zeit auf seinen härtesten Rivalen Vincenzo Nibali, 20 Sekunden auf der 12. Etappe, gleich 42 Sekunden am Tag vor dem ominösen Testergebnis. Froome selbst konnte in diesem Zeitraum nur beim Zeitfahren (16. Etappe) auftrumpfen und auf der 15. Etappe magere sechs Sekunden auf Nibali gewinnen. Ansonsten sah er den Sizilianer vornehmlich von hinten.

Am 7. September, der Tag, an dem die Probe nach dem Rennen genommen wurde, änderten sich aber die Verhältnisse. Froome schien wie ausgewechselt, nahm am gleichen Tag Nibali 21 Sekunden ab, und zwei Tage später am Angliru sogar 34 Sekunden. Er hatte die Rundfahrt im Sack. Gut, vielleicht war die Entzündung, von der WADA-Forschungschef Rabin sprach, abgeklungen. Die zeitliche Korrelation zu dem erhöhten Salbutamolwert vom 7. September legt aber auch nahe, dass Froome von einer erhöhten Dosis profitiert haben könnte.

Dass er selbst die Dosis erhöht hatte, ist unstrittig. Unklar bleibt weiterhin, ob er bei der Einnahme innerhalb des erlaubten Bereichs blieb oder ihn doch überschritt. "Freispruch aus Mangel an Beweisen" sagt man bei gewöhnlichen Sterblichen dazu. Es ist ein Freispruch, aber einer 2. Klasse.

Mehr Informationen zu diesem Thema

22.07.2018Madiot: “Der Radsport hat ein Glaubwürdigkeitsproblem“

Carcassonne (dpa) - Die Daumen nach unten, laute Buhrufe für das britische Sky-Team und sogar kleine Schubser gegen Chris Froome: Das Verhältnis zwischen Publikum und der britischen Star-Trupe bleib

13.07.2018Froome: WADA-Begründung für Freispruch noch nicht gelesen

Chartres (dpa) - Chris Froome (Sky) hat seinen Freispruch in der Salbutamol-Affäre erneut begrüßt, die nachgeschobene Begründung der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) "aber noch gar nicht richtig ge

12.07.2018UCI und WADA lieferten sich mit Froome ein Schneckenrennen

(rsn) - Die Welt-Antidoping-Agentur WADA reagiert auf öffentlichen Druck. Eine gute Woche nach dem blitzartigen Freispruch für Chris Froome (Sky) gab sie in einem längeren Kommuniqué jetzt mehrere

10.07.2018Brailsford wird UCI-Chef Lappartient im Fall Froome Parteilichkeit vor

(dpa) - Erstmals in der Tour-Geschichte war Sarzeau heute Etappenort. Die Verbindung zum Radsport war für das 10 000 Einwohner große Städtchen vielleicht bei der Bewerbung nicht hinderlich: Weltver

06.07.2018Fall Froome: Martin kritisiert UCI und fordert Regeländerung

Berlin (dpa) - Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin (Katusha-Alpecin) hat den Radsportweltverband UCI erneut für den Umgang mit der Salbutamol-Affäre von Tour-de-France-Sieger Chris Froom

06.07.2018Froome: “Werde dem Gelben Trikot niemals Schande machen“

Paris (dpa) - Kurz vor dem Start der Tour de France hat der vom Dopingverdacht freigesprochene Vorjahressieger Chris Froome beteuert, dass er seine Siege ehrlich errungen hat. "Ich war völlig ehrlic

05.07.2018Denk zum Freispruch für Froome: “Bin froh, dass es kein Dopingfall ist“

Noirmoutier (dpa) - Bora-hansgrohe-Teammanager Ralph Denk hat das Ende des Ende des Verfahrens gegen Chris Froome (Sky) begrüßt. "Ich bin froh, dass es kein Dopingfall ist", sagte der Raublinger der

04.07.2018Froome bittet die Fans in Frankreich um Fairness

Saint-Mars-La-Reorthe (dpa) - Saint-Mars-La-Reorthe, die örtliche Turnhalle des Städtchens im Westen Frankreichs ist proppevoll: Am Mittwoch drängten sich beim ersten öffentlichen Auftritt Chris F

04.07.2018WADA: Kein Prominenten-Bonus für Froome

Paris (dpa) - Der am Montag vom Dopingvorwurf freigesprochene Chris Froome (Sky) hat Verständnis für seine Kritiker geäußert. "Der Radsport hat eine schwierige Geschichte, und ein mehrmaliger Tour

03.07.2018Kerrison: “Wenn Chris gefordert ist, kann er alles zur Seite schieben“

Berlin (dpa) - Anti-Doping-Experten fordern Aufklärung zum umstrittenen Froome-Freispruch, und die französische Presse prophezeit dem britischen Seriensieger schwere drei Wochen. Alle rechtlichen

03.07.2018Anti-Dopingexperte Parisotto: “Es fehlen die Begründungen“

Berlin (dpa) - Anti-Doping-Experten kritisieren den Freispruch für den viermaligen Tour-de-France-Sieger Chris Froome und fordern vom Radsport-Weltverband UCI sowie von der Welt-Anti-Doping-Agentur W

02.07.2018“UCI-Urteil trägt nicht zur Glaubwürdigkeit des Radsports bei“

(rsn) - Nach rund neun Monaten hat der Radsportweltverband UCI am Montag das Verfahren gegen den viermaligen Tour-de-France-Gewinner Chris Froome (Sky) eingestellt. Der Brite hatte bei der Vuelta 201

Weitere Radsportnachrichten

12.08.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über die wic

12.08.2025Uijtdebroeks will es langsam angehen lassen und “lernen zu gewinnen“

(rsn) – Cian Uijtdebroeks hat sich bei der Tour de l`Ain zurückgemeldet. Mit seinem Erfolg bei der schweren Rundfahrt durch Frankreich, die ihm seine ersten beiden Profisiege bescherte, hat sich de

12.08.2025Pedersen krönt sich zum König von Bornholm

(rsn) – Das Resultat kommt nicht unbedingt überraschend, der Etappenverlauf schon eher. Mads Pedersen (Lidl – Trek) ist mit einem Sieg in die Dänemark-Rundfahrt (2.Pro) gestartet. Dabei pokerte

12.08.2025Consonni gewinnt Auftakt der Polen-Rundfahrt

(rsn) – Chiara Consonni (Canyon – Sram – zondacrypto) hat den Auftakt der Polen-Rundfahrt der Frauen (2.1) gewonnen. Rund um Zamosc nahe der Grenze zur Ukraine gewann die Italienerin den Massens

12.08.2025Kitzki zieht die Handbremse: Wenn die Angst mitfährt

(rsn) – Mit nur 21 Jahren hat Louis Kitzki seine Karriere beendet. Am Montag verkündete das deutsche Nachwuchstalent in den Sozialen Medien seinen Rücktritt – und ließ dabei tief blicken. "Ohne

12.08.2025Vermaerke wechselt als Allround-Helfer zu UAE

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

12.08.2025Hamburger Cyclassics im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(ran) - Die Cyclassics in Hamburg sind seit Jahren fester Bestandteil des WorldTour-Rennkalenders. Das meistens Ende August ausgetragene Rennen kommt den Sprintern entgegen, auch wenn im Finale mehrm

12.08.2025Fürsprecher Hushovd: Trondheim für Start der Tour de France 2030 im Gespräch

(rsn) – So langsam kommen sie alle aus der Deckung. Nachdem sich Dresden und Mitteldeutschland als Kandidat für den Grand Départ 2030 zuletzt nochmal etwas lauter ins Spiel gebracht haben, wird nu

11.08.2025McNulty widmet Sieg in Polen verletztem Teammitglied

(rsn) – Brandon McNulty (UAE – Emirates – XRG) feierte mit dem Gesamtsieg bei der Tour de Pologne (2. UWT) seinen ersten Rundfahrten-Sieg bei einem WorldTour-Rennen. Im Augenblick des Triumphs

11.08.2025Tour de Romandie Féminin im Rückblick: Die ersten drei Jahre

(ran) - Während die Tour de Romandie der Männer seit Jahren fester Bestandteil des Kalenders ist, existiert die Tour de Romandie Féminin erst seit 2022. Radsport-news.com blickt auf die ersten Aus

11.08.2025“Zeit für etwas Neues“ – Evenepoel über Red-Bull-Wechsel

(rsn) – Remco Evenepoel hat sich bislang noch nicht ausführlich zu seinem Wechsel von Soudal – Quick-Step zu Red Bull-Bora-hansgrohe geäußert. Der Doppel-Olympiasieger ging nach Abschluss des

11.08.2025Gianetti: “Pogacar zu sein ist schön, aber nicht einfach“

(rsn) – Mauro Gianetti, der Teamchef von UAE – Emirates – XRG hat sich zum kommenden Rennkalender und zum Vuelta-Verzicht von Tadej Pogacar geäußert. Am Ende der Tour de Pologne sagte er gege

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Tour de Maurice (2.2, 000)
  • Tour of Szeklerland (2.2, ROU)
  • PostNord Tour of Denmark (2.Pro, DEN)