Pre-Event weckt Hoffnungen

Middle East Peace Tour: Bewegungsfreiheit durch Radsport

Von Tom Mustroph

Foto zu dem Text "Middle East Peace Tour: Bewegungsfreiheit durch Radsport"
Annemiek van Vleuten beim Pre-Event zur Middle East Peace Tour | Foto: Tom Mustroph

02.05.2017  |  (rsn) - Der Pre-Event der Middle East Peace Tour, die nächstes Jahr ausgetragen werden soll, deutete das Potenzial des 7-Etappen-Rennens durch Jordanien, Ägypten, Israel und Palästina an - sportlich wie politisch.

Die letzte Etappe war die schwerste. Politisch gesehen zumindest. Denn unmittelbar vor der Einfahrt in das von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwaltete Jericho stellte der israelische Busfahrer den Motor aus. Der Grund: Ein Schild am Straßenrand verbot israelischen Staatsbürgern ausdrücklich die Weiterfahrt. Es warnte sogar vor Todesgefahr für Israelis. Aufregung im Bus.

Sollte hier schon die Middle East Peace Tour scheitern, bei ihrem Vor-Event? Nun, der Busfahrer ließ sich nach längeren Telefonaten überzeugen. Der Konvoi konnte auf den Schutz des österreichischen Botschafters bei der Palästinensischen Autonomiebehörde zählen. Der war nicht so sehr gegenüber den Palästinensern nötig. Er beruhigte vielmehr den Busfahrer, dass er keine Strafen von den Behörden seiner Heimat zu befürchten habe. Österreichs Diplomat war mit im Boot, weil Gerhard Schönbacher, Organisator der Middle East Peace Tour, ein Landsmann ist.

Wie verzwickt die Situation ist, erläuterte wenig später in Jericho Malak Hasan. Die junge Frau kam mit ihrem Rad eigens von Ramallah nach Jericho. Sie ist vom palästinensischen Radsportverband, der sich hier noch Verband für Motorsport und Radsport nennt.

"Es ist tatsächlich so, dass Israel seinen Bürgern die Einreise in das Westjordanland verbietet. Eine Ausnahme sind die Bewohner der israelischen Siedlungen hier. Aber allen anderen wird Glauben gemacht, dass Palästinenser böse seien und den Juden nach dem Leben trachten. Umgekehrt untersagt Israel uns Palästinensern die Einfahrt nach Israel", sagte Hasan zu radsport-news.com. Nicht einmal auf allen Straßen, die durchs palästinensische Gebiet führen, darf sie mit ihrem Rad.

"Wir haben hier die Zonen A, B und C. Die Zone A untersteht der palästinensischen Polizei, das ist kein Problem für uns. Die Zone B wird halb und halb von Palästinensern und Israelis kontrolliert. Die Zone C ist nur für israelische Siedler und das Militär. Hier zu fahren, ist nicht sicher, erst recht angesichts der jüngsten Spannungen", erklärte sie. Gemeinsame Fahrten von jüdischen und palästinensischen Sportlern sind angesichts der Rechtslage also gar nicht denkbar.

Das zeigt dann auch die Dimension dieser Middle East Peace Tour. Ein einfaches Radrennen macht die Alltagsprobleme der Region deutlich. Es kann sie aber auch überwinden helfen. Denn mit dem Tross des Pre-Events ist nicht nur der israelische Busfahrer ins palästinensische Jericho gekommen. Auch Ido Eindor, Funktionär des iraelischen Radsportverbands, Kommissär der UCI und neben dem Österreicher Gerhard Schönbacher Initiator der Peace Tour, fuhr mit.

Eindor drehte mit Malak Hasan und den anderen sogar eine Runde auf dem Rad durch Jericho. Gelassen meinte er zu radsport-news.com: "Ich bin früher viel im Westjordanland gefahren. Ich habe zahlreiche palästinensische Freunde. Einige leben in der Westbank, andere haben die israelische Staatsbürgerschaft. Ich habe gemerkt, wir wollen alle das Gleiche: eine Familie, einen guten Job, vor allem ein gutes Leben, Das sind gemeinsame, ganz normale menschliche Wünsche. Leider bringen die Extremisten auf beiden Seiten uns in diese verrückte Lage, in der wir sind."

Eindors Überzeugung ist, dass ganz normale Dinge, wie eben gemeinsam Rad zu fahren, die Menschen aus dieser verfahrenen politischen Lage auch wieder herausbringen und einen gesellschaftlichen Prozess anstoßen können. "Wir brauchen mehr von solchen ganz normalen, funktionierenden Sachen", sagte er.

Malak Hasan vom palästinensischen Verband sah dies ähnlich. "Ich bin immer dafür, Leute kennenzulernen. Die Grundlage für unsere Kämpfe gegeneinander ist, dass wir die andere Person nicht kennen, und annehmen, sie sei böse und verrückt. Aber wenn du andere Orte besuchst und mit den Leuten redest, dann merkst du, dass sie so normal sind wie du, mit ähnlichen Wünschen, Ambitionen und Träumen", sagte sie, bevor sie aufs Rad stieg, und mit Eindor durch Jericho fuhr.

Das Anliegen der Middle East Peace Tour findet sie daher auch großartig. Skeptische Gedanken äußerte sie dennoch: "Ich würde gern bei diesem Rennen im nächsten Jahr dabei sein. Aber ich glaube nicht, dass das passieren wird wegen der politischen Situation im Moment", sagte Hasan ND. Sollte es aber zu einer Annäherung, vielleicht auch nur zu einer Ausnahmegenehmigung kommen, dann will sie mitmachen: "Ich habe immer gesagt, dass wir Menschen den Moment nutzen sollten. Wir sollten die kleinen Dinge nutzen, um größere zu erreichen. Wenn ich zum Beispiel die Erlaubnis erhalten würde, diese beeindruckende Reise mitzumachen, würde ich nicht nein sagen. Aber ich würde die Zeit nutzen, um mich für mehr Bewegungsfreiheit einzusetzen."

Bewegungsfreiheit - das ist das Kernelement von Straßenradsport schlechthin. Ido Eindor versprach, dass er sich einsetzen werde, damit palästinensische Sportler im nächsten März an dem Rennen teilnehmen können. Damit wieder Begegnungen möglich sind wie jetzt in Jericho. Beim gemeinsamen Essen war der Busfahrer endgültig beruhigt und langte kräftig beim Büffet zu. Gleich neben ihm am Tisch war Ahmed, ein palästinensischer Architekturstudent aus der Trainingsgruppe von Hasan. Ihm trat das Wasser in die Augen, als er erzählte: "Dies ist das erste Mal, dass ich neben einem Israeli sitze und mit ihm gemeinsam Mittag esse." Was für Begegnungsmomente würde da erst eine siebentägige Rundfahrt über 681 Kilometer durch die vier Länder kreieren.

Auch sportlich ist das Rennen durchaus reizvoll. Die erste Etappe wird ein Rundkurs durch die Innenstadt von Amman mit insgesamt 30 Kilometern Länge sein. Start und Ziel sind beim römischen Amphitheater. Co-Organisator Eindor erwartet hier ein Sprintfinale. "Bei der zweiten Etappe sind schon die Bergfahrer gefordert. Nach einem Transfer von etwa 170 Kilometern an den Rand des Toten Meeres geht es über 78 Kilometer nach Petra. Es sind 1200 Höhenmeter zu überwinden, von -400 am Toten Meer bis +800 in Petra", blickte Eindor aufs nächste Jahr voraus.

Am Tag danach geht es wieder vornehmlich bergab, nach Aqaba am Roten Meer. "Keine großen Veränderungen im Klassement", prognostiziert hier Eindor, trotz der Länge von 143 Kilometern. Tags darauf folgt ein Einzelzeitfahren von 25 Kilometern Länge im ägyptischen Taba. Danach die Königsetappe vom israelischen Eilat nach Mitzpe Ramon in der Negev-Wüste. Im Verlauf der 155 Kilometer langen Strecke geht es nicht nur am 40 Kilometer großen Erosionskrater von Mitzpe Ramon vorbei, es müssen auch zahlreiche Anstiege überwunden werden. Die langen Serpentinen durchs nackte bräunliche Gestein erinnern an die Szenerie zum Mont Ventoux, selbst wenn dieser Riese der Provence noch etwa 1000 Meter höher liegt als der Kraterrand bei Mitzpe Ramon. Der vorletzte Tagesabschnitt führt von Mitzpe Ramon wieder weitgehend bergab zum Toten Meer, dieses Mal auf der israelischen Seite, nach Neve Zohar.

Und am letzten Tag geht es entlang des Toten Meers vorbei an der Festung Masada über Jericho nach Jerusalem. "Am liebsten würden wir eine Halbetappe von Neve Zohar nach Jericho führen und am Nachmittag von dort aus nach Jerusalem fahren. Jericho hat nicht genug Hotelkapazitäten, um als Start- oder Zielort zu fungieren. Aber ob die Idee mit dem Zwischenstopp in Jericho realisierbar ist, hängt von den Behörden ab", meinte Eindor gegenüber radsport-news.com.

Noch in diesem Jahr wollen die Veranstalter die Einschreibung für das Rennen freigeben. Angestrebt wird auch eine UCI-Klassifizierung. Eine verrückte Idee nimmt immer mehr Gestalt an.

 

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