Pollack, Cunego und Cipo - die 1. Woche des Giro

16.05.2004  |  Vorwort zum Prolog: Die schlechte Nachricht zum 87. Giro D’Italia erreicht uns noch vor dem Prolog in Genua: Doping-Fahnder des Internationalen Radsport-Verband UCI stellen bei der obligatorischen Blutkontrollen vor dem Giro-Start bei dem Kolumbianer Uberlino Mesa und dem Slowenen Jure Golcer erhöhte Werte fest. Beiden Profis wird Startverbot erteilt. Die gute Nachricht: Alle anderen Fahrer werden negativ getestet.

Vorspiel: Beim Prolog dann schreiben andere Schlagzeilen, aus deutscher Sicht Olaf Pollack vom Team Gerolsteiner: Der 30jährige Sprintspezialist belegt hinter dem Australier Bradley McGee einen ebenso überraschenden wie ausgezeichneten zweiten Platz. Und ist hinterher maßlos enttäuscht, dass ihm der ganz große Coup, das Rosa Trikot, nicht gelang.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Olaf Pollack verwirklicht sich nur einen Tag später auf der ersten Etappe seinen großen Traum. Platz zwei hinter dem italienischen Sprintkönig Alessandro Petacchi reicht dem Cottbusser, um als erster Deutscher nach Jens Heppner das Rosa Trikot des in der Gesamtwertung Führenden überzustreifen.

Wie gewonnen so zerronnen: Postwendend holt sich McGee das Rosa Trikot wieder zurück. Auf den 183 Kilometer von Novi Ligure nach Potremoli setzt das Saeco-Team des italienischen Top-Favoriten auf den Gesamtsieg, Gilberto Simoni, die Konkurrenz unter Druck. Wie in einem Mannschaftszeitfahren jagt die Mannschaft des Titelverteidigers Gilberto Simoni in einer roten Phalanx an der Spitze des Feldes dem Ziel entgegen. Im Finale besiegt die 22jährige Saeco-Nachwuchshoffnung Damiano Cunego in einem packenden Sprint Bradley McGee, der dank vorheriger Zeitgutschriften wieder die Gesamtführung übernimmt. Nach seinem Sieg gibt sich Cunego selbstbewusst-diplomatisch. Er traue sich noch mehr beim Giro zu, aber letztlich sei er nur hier um zu lernen. Von wem? Natürlich von seinem Kapitän Gilberto Simoni.

Der Top-Favorit schlägt zu: Die dritte Etappe von Pontremoli nach Corno alle Scale gehört Gilberto Simoni. Auf dem Weg zur Bergankunft lässt er alle hinter sich, auch seinen vermeintlich größten Konkurrenten Stefano Garzelli. Doppelter Lohn für seine Anstrengungen: Tagessieg und Führung in der Gesamtwertung. Nur Mannschaftskollege Cunego kann seinem Kapitän folgen, attackiert aber nicht. Sein Lohn: Etappenzweiter und als Zweiter in der Gesamtwertung auf Lauerstellung. Die beiden Hoffnungen vom Team Gerolsteiner, Davide Rebellin, Dreifachgewinner der Frühjahrsklassiker, und der Schweizer Sven Montgomery, kommen mit den ersten Verfolgern ins Ziel. Dabei sind die Aussichten der beiden ganz unterschiedlich. Rebellins Formkurve zeigt nach unten, für Montgomery hat das Rennen nach Aussagen seines Sportlichen Leiters gerade erst begonnen.

Petacchi zum Zweiten: Alessandro Petacchi ist auch in diesem Jahr der König der Sprinter. Nach 187 Kilometern von Poretta Terme nach Civitella Val di Chiana lässt der 30 jährige Italiener im Sprint dem Australier Robbie McEwen keine Chance. Drama um den großen alten Herrn des Sprints: Mario Cipollini stürzt 150 Meter vor dem Ziel, bedrängt von seinem Mannschaftskollegen Anris Aug. In der Klinik müssen seine Wunden am Knie und am Knöchel genäht werden. Weiterfahrt fraglich. Besser läuft es für einen jungen Deutschen. Fabian Wegmann vom Team Gerolsteiner ist nicht nur bester Deutscher in der Gesamtwertung, sondern belegt in der Bergwertung hinter den Italienern Simoni und Cunego einen unerwarteten dritten Platz.

Abo auf Platz zwei: Olaf Pollack scheint den zweiten Rang gepachtet zu haben. Bei der Sprintankunft auf der fünften Etappe von Civitella Val di Chiana nach Spoleto spielt zwar der Übersprinter Petacchi nach einem Fahrfehler eines Mannschaftskameraden diesmal keine Rolle, aber die Gunst der Stunde nutzt nicht der Cottbusser, sondern Robbie McEwen. Der Australier rettet eine halbe Radlänge Vorsprung vor dem heranstürmenden Pollack ins Ziel. Knapp geschlagen ist auch verloren. Leiden muss Mario Cipollini. Der am Vortag Gestürzte tritt zwar wieder an, aber muss sich ins Ziel quälen. Kein Gedanke an den ersten Etappensieg beim diesjährigen Giro. In der Gesamtwertung bleibt alles beim Alten. Simoni führt mit 13 Sekunden vor dem Ukrainer Jaroslaw Popowitsch, dem am Tag zuvor Zeitgutschriften zu Platz zwei verholfen hatten.

Petacchi - wer sonst: Alessandro Petacchi hat sein Missgeschick vom Vortag bestens verdaut und feiert auf der Regen-Etappe von Spoleto nach Valmontone schon seinen dritten Tageserfolg. Erneut hervorragender Zweiter wird, na wer wohl: Olaf Pollack. Diesmal ist die Angelegenheit klarer als auf der ersten Etappe, als Pollack den Italiener beinahe noch hätte abfangen können. In der Gesamtwertung ändert sich nichts. Das Pech bleibt Domina Vacance, der Mannschaft von Mario Cipollini, treu. Bei einem schweren Sturz hinter der Ziellinie zieht sich Anris Aug Brüche an einem Knochen der Wirbelsäule, am linken Schlüsselbein und am kleinen Finger der linken Hand zu und muss operiert werden.

Jugend drängt: Damiano Cunego triumphiert auf der 214 Kilometer langen Bergetappe von Frosinone nach Montevergine, entreißt seinem Kapitän Gilberto Simoni das Rosa Trikot und stellt die Rangordnung seines Saeco-Teams auf den Kopf. Erinnerungen werden wach an den Sommer 1997. Damals gewann ein 23jähriger Deutscher bei der Tour de France die zehnte Etappe nach Andorra-Arcalis. Eigentlich angetreten, um seinem Kapitän Bjaerne Riis bei dessen Titelverteidigung wertvolle Dienste zu leisten, erwieß sich Jan Ullrich als der Stärkere und fuhr ins Gelbe Trikot, um es bis zum Ende der drei Wochen nicht mehr abzugeben.

Für die fast noch größere Überraschung sorgt Bradley McGee. Der australische Sprint- und Zeitfahrspezialist kommt bestens über die zahlreichen Anstiege und kann im Finale gegen Cunego um den Sieg sprinten. Völlig entkräftet stürzt er hinter der Ziellinie vom Rad.

Mehr als nur eine Episode am Rande: Mario Cipollini tritt zur siebten Etappe nicht mehr an. Die Schmerzen im lädierten Bein sind zu groß. Nichts wird es mehr mit einem Sieg, den er dem verstorbenen Mario Pantani widmen wollte.

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