Radsport News hörte sich im Feld um

Motordoping: Stirnrunzeln, Gelächter und Glaubenspraktiken

Von Tom Mustroph aus Oman

Foto zu dem Text "Motordoping: Stirnrunzeln, Gelächter und Glaubenspraktiken"
Motordoping-Kontrolle bei der Tour de France 2016 | Foto: Cor Vos

17.02.2017  |  (rsn) - Die Motordoping-Vorwürfe werden für die Vergangenheit als realistisch eingeschätzt, der Vorwurf an Team Sky, beim Tour-Zeitfahren 2015 eine Magnetantriebstechnologie benutzt zu haben, aber für lächerlich erachtet. Ein Stimmungsbild zu einem Klassikerthema.

Bei der Tour of Oman sah man die UCI-Kommissäre noch nicht mit ihren blauen Tablets an den Rahmen der Rennmaschinen entlang fahren, um verbotene Motoren aufzuspüren. Das verwundert. Einerseits sind zwar die Kritiken an der Wirksamkeit der von vom Radsportweltverband eingeführten Testmethoden nicht verstummt. Den bislang einzig nachgewiesenen Motor fanden aber die UCI-Leute. Punkt für sie. Etwas mehr Abschreckungseifer könnte der Weltverband deshalb auch an den Tag legen.

Denn Motordoping bedroht den Radsport in seiner Essenz. "Wir hatten in der Vergangenheit die Dopingprobleme. Wir sind sie aggressiv angegangen, wir mussten das auch. Aber wenn jetzt on the top noch Motordoping kommt, dann wird es sehr schwer. Dann verliert die Öffentlichkeit komplett den Respekt vor dem Radsport. Und der Sport verliert seinen epischen Kern, den er mit einer Tour de France über 20 Tage und dreieinhalbtausend Kilometer, in Höhe und Hitze, bei Regen und Kälte ja hat. Denn dann sagen die Leute: 'Die sind ja nur mit dem Motorrad l'Alpe-d'Huez hochgefahren'", beschreibt Rolf Aldag, Performance Manager beim Team Dimension Data, das Szenario.

Den "On the top"-Vorwurf hatte Ende Januar die CBS-Sendung "60 minutes" aktualisiert. Der Ingenieur der Kleinmotoren, der Ungar Istvan "Stefano" Varjas, tätigte in der Sendung zwei wesentliche Aussagen. Zum einen präsentierte er einen Kontoauszug, der etwa zwei Millionen Dollar auf seinem Konto aufwies - seinen Angaben nach das Schweigegeld eines Exklusivkunden, der sich damit das alleinige Nutzungsrecht des Varjas-Motors für die Jahre 1999 bis 2008 erkaufte.

Zum anderen stellte er ein jüngeres Produkt vor: einen Kranz von Magneten, der in die Felge integriert werden kann und so für zusätzlichen Vortrieb sorgt. Etwa 800 Gramm wiege das System, meinte er noch - und setzte die CBS-Reporter auf die Fährte, dass Team Sky beim Tour-Zeitfahren 2015 800 Gramm schwerere Räder als die Konkurrenz an den Start gebracht habe. Fette Vorwürfe. Sie würden im Falle der Bestätigung die Ära Armstrong zusätzlich schwärzen und die Ägide Sky als kaum minder verlogen herausstellen.

Gesehen hat den Beitrag nach nicht-repräsentativer Befragung von radsport-news.com wohl nur eine Minderheit im Peloton und im Tross; vom Hörensagen waren aber fast alle mit dem Inhalt vertraut. Die Reaktionen lassen sich als besorgtes Stirnrunzeln im Falle des einen Vorwurfs und schallendes Gelächter bezüglich des anderen einordnen.

"Klar stellt man bei den Jahren 1999 bis 2008 sofort eine gedankliche Verbindung her", meinte Valerio Piva bezüglich des Exklusivkunden mit dem Schweigegeld. Der Italiener, in jener Zeit Sportlicher Leiter erst bei Mapei und Vlaanderen, dann bei T-Mobile und aktuell bei BMC unter Vertrag, warnte aber auch: "Das ist Spekulation." Und er fordert: "Varjas soll mit den Namen herausrücken". Ähnlich sehen es Rolf Aldag und Brian Holm. Aldag fuhr zu der Zeit noch Rennen, Holm war bereits Sportlicher Leiter. Holm wirft dem dunkel raunenden Varjas sogar Publicity-Sucht vor. "Er macht gute Werbung für sich", meint er zu radsport-news.com. Der Däne regt sich - zu Recht - auch über Jean-Pierre Verdy, den einstigen Kontrollchef der französischen Antidopingagentur AFLD, auf. Verdy hatte schon während der Tour 2015 Hinweise auf Motordoping bei Tour de France-Teilnehmern erhalten, konnten denen aber nicht substanziell genug nachgehen und machte erstmals im Frühjahr 2016, mehr als ein halbes Jahr später, öffentlich darauf aufmerksam. "Sie sollen nicht später damit herauskommen, sondern gleich. Und sie sollen Beweise bringen", meinte der aktuelle sportliche Leiter von Quick-Step Floors zu radsport-news.com.

Über den Vorwurf der schweren Zeitfahrräder von Sky und die so hergestellte Verbindung zu Motordoping konnte Holm aber nur lachen. "Man kann sich über eine Menge bei Sky beklagen, aber das ist völliger Mist. Zeitfahrräder sind immer schwerer als normale Straßenräder. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Räder aller anderen Teams genau das Gleiche wogen", meinte der Däne. Warum das so ist, erläuterte später Aldag. "Zeitfahrräder sind alle schwerer, weil es einfach schwierig ist, ein Karbon-Lay Up hinzukriegen, das aerodynamisch ist. Man muss gegen die Belastungsbereiche legen und packt deshalb mehr Karbon ran. Dadurch werden die alle schwerer", meinte der 48-Jährige.

Er erinnerte daran, dass bei flachen Zeitfahren das Gewicht ohnehin zu vernachlässigen sei. "Da ist Aerodynamik der große Faktor. Berghoch wird es dann interessanter. Aber auch da ist es meistens so, dass Aerodynamik Gewicht schlägt", meinte er. Letztlich kann man selbst ganz gut ausrechnen, wieviel Aerodynamik-Vorteil Sky mit den Rädern der Tour 2015 zu erreichen hoffte. "Es ist ja jetzt bekannt, dass die Spitzenfahrer 6 Watt pro kg Körpergewicht leisten. Wenn sie 100 Gramm mehr Gewicht mitnehmen, müssen sie 0,6 Watt mehr leisten", liefert Aldag die Vorlage. Bei 800 Gramm mehr muss sich das auf High Tech getrimmte Team Sky einen dauerhaften aerodynamischen Vorteil von mindestens 4,8 Watt versprochen haben. Das wäre zumindest eine alternative Erklärung.

Für Aldag, aufgrund seiner langjährigen Betreuung des Zeitfahrspezialisten Tony Martin auch ein Aerodynamik-Experte, ist der Vorwurf insgesamt aber hanebüchen. "Ich habe mir echt vor den Kopf geschlagen", sagte er. Er empfand sogar Mitleid mit dem gescholtenen britischen Team: "Sky kriegt es momentan von allen Seiten ab. Ob zurecht bei den anderen Themen, weiß ich nicht. Aber gerade scheint es der absolute Trend zu sein: 'Hau drauf auf Sky, dann liegst du immer richtig'."

In Sachen Zeitfahrräder von Sky liegt es also nahe, Entwarnung zu geben. Das bedeutet aber nicht, dass Varjas' Produkte - und auch Motoren anderer Hersteller - nicht im Umlauf waren oder sind. Noch einmal Aldag: "Glaube ich persönlich, dass es Motordoping gab? Sicherlich, es wäre unrealistisch zu sagen, das hat es nie gegeben." Aldag hält es allerdings auch für unwahrscheinlich, dass es Motordoping gegenwärtig im Peloton gibt. "Die Strafen sind drakonisch. Und anders als beim Doping, das auch ein einzelner machen kann, muss hier das Team involviert sein. Bei uns weiß zum Beispiel keiner der drei Mechaniker vorher, wessen Rad er gleich in den Händen haben wird. Und sollte da ein Kabel sein, was dort nicht hingehört, dann wird jeder stutzig", meinte er.

Um den epischen Charakter des Straßenradsports zu bewahren, sollte die UCI allerdings größeren Kontrolleifer an den Tag legen - und es, warum nicht?, auch einmal mit Wärmebildkameras versuchen. So heiß ist es im Oman gerade nicht, als dass die Bilder unbrauchbar würden.

Echten Trost findet man momentan nur im Glauben. Romain Bardet, Tour-Zweiter hinter Sky-Kapitän Chris Froome, meinte zu radsport-news.com: "Halten wir die Finger gekreuzt, dass mit den Kontrollen das Problem gelöst ist. Der Radsport sollte nicht vom pharmazeutischen Dopingskandal zum Motordopingskandal übergehen."

Mehr Informationen zu diesem Thema

07.06.2019UCI will Methoden im Kampf gegen Motordoping verbessern

(rsn) - Der Radsportweltverband UCI will ab der kommenden Saison im Kampf gegen das sogenannte Motordoping weitere Maßnahmen ergreifen. Dazu gehört eine verbesserte Version des bereits jetzt einges

22.03.2018UCI nun auch mit Wärmebildkameras und Röntgengeräten

Genf (dpa) - Der Radsportweltverband UCI verstärkt den Kampf gegen Motordoping. Zukünftig werden auch mobile Röntgengeräte und Wärmebildkameras zur Aufdeckung auffälliger Magnetresonanzen verwen

17.03.2018Motor-Doping: Franzose wegen Betrugs verurteilt

(rsn) - Wie die französische Tageszeitung Le Parisien vorgestern berichtete, ist der Amateur Cyril Fontayne vom "Tribunal Correctionnel", einem Strafgericht in Périgueux/ Dordogne am vergangenen Die

24.12.2017Lappartient will mehr Effektivität im Kampf gegen “Motor-Doping“

(rsn) - David Lappartient will mit besseren Kontrollen dafür sorgen, dass die Diskussionen um das Thema "Motor-Doping“ beendet werden und der Radsportweltverband UCI Vertrauen in die Wirksamkeit se

21.12.2017Französische Behörden Motordoping-Komplott auf der Spur?

(rsn) - Wie das französische Wochenmagazin Le Canard Enchaîné berichtet, sind zwei hochrangige Untersuchungsrichter einem Fall von groß angelegtem mechanischem Doping auf der Spur. Demnach handele

18.11.2017Cancellara fordert Gaimon zum Kräftemessen heraus

(rsn) - Fabian Cancellara hat sich per Twitter öffentlich an Phil Gaimon gewendet und den US-Amerikaner zu einem Kräftemessen auf dem Rad herausgefordert. Der Schweizer reagiert damit nun auch selbs

15.11.2017Gaimon von Cancellaras juristischen Schritten unbeeindruckt

(rsn) - Philipp Gaimon ist offensichtlich unbeeindruckt von Fabian Cancellaras Bemühen, den Verkauf seines Buches "Draft Animals - Zugtiere“, in dem der US-Amerikaner dem viermaligen Zeitfahrweltme

14.11.2017Cancellaras Anwälte fordern Verkaufsstopp des Gaimon-Buchs

(rsn) - Fabian Cancellara wehrt sich. Der Schweizer hat durch seine Anwälte einen sofortigen Verkaufsstopp des Buchs "Draft Animals: Living the Pro Cycling Dream (Once in a While)" von Ex-Profi Phill

11.11.2017Cancellaras Ex-Mechaniker dementiert Motor-Doping-Vorwürfe

(rsn) - Ein ehemaliger Mechaniker hat Fabian Cancellara gegen vom ehemaligen Cannondale-Profi Philipp Gaimon erhobenen Vorwürfe des mechanischen Dopings in Schutz genommen. “Ich denke, dass es schl

10.11.2017Peraud künftig bei der UCI für Motordoping-Kontrollen zuständig

(rsn) - Der ehemalige Ag2R-Profi Jean-Christophe Peraud wird als neuer UCI Manager of Equipment künftig an leitender Stelle für den Kampf gegen mechanisches Doping zuständig sein. Wie der Radsportw

09.11.2017UCI will Motor-Dopingvorwürfe gegen Cancellara prüfen

(rsn) - Der Radsportweltverband UCI will die vom ehemaligen Profi Phillip Gaimon gegen Fabian Cancellara erhobenen Vorwürfe des Motor-Dopings überprüfen. Damit reagierte der neue Präsident David L

07.11.2017UCI will Arsenal im Kampf gegen Motor-Doping vergrößern

(rsn) - David Lappartient will den Radsport im Kampf gegen das "Motor-Doping" voranbringen. Hatte sich der Weltverband UCI unter seinem Vorgänger Brian Cookson noch unwillig gezeigt, andere Testmetho

Weitere Radsportnachrichten

25.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

25.04.2024Die Aufgebote für den 107. Giro d´Italia

(rsn) – Am 4. Mai beginnt in Venaria Reale nördlich von Turin mit dem Giro d’Italia (2.UWT) die erste Grand Tour des Jahres. Insgesamt 176 Fahrer aus 22 Teams nehmen die 107. Ausgabe der Italien-

25.04.2024Teutenberg jubelt zum Auftakt der Tour de Bretagne

(rsn) - Nachdem er in seinen ersten drei U23-Jahren vergeblich einem UCI-Sieg hinterhergejagt war, eilt Tim Torn Teutenberg (Lidl - Trek Future Racing) in dieser Saison von Erfolg zu Erfolg. Nach sei

25.04.2024Lechner sorgt für den ersten UCI-Saisonsieg einer Deutschen

(rsn) – Corinna Lechner vom Bundesliga-Team Wheel Divas aus Berlin hat für den ersten Saisonsieg einer deutschen Frau auf UCI-Niveau gesorgt. Die 29-Jährige, die am 14. April bereits Dritte beim e

25.04.2024Romandie-Prologsieger Zijlaard bricht sich Ellenbogen

(rsn) – Nur zwei Tage nach seinem Triumph im Prolog der Tour de Romandie (2.UWT) hat Maikel Zijlaard (Tudor) einen heftigen Rückschlag hinnehmen müssen. Wie der 24-jährige Niederländer gegenüb

25.04.2024Bike-Aid: Dorn hat in der Türkei das Bergtrikot “ziemlich save“

(rsn) – Das deutsche Kontinental-Team Bike Aid ist weiterhin der Aktivposten der Türkei-Rundfahrt (2.Pro). Am fünften Tag in Folge war die saarländische Equipe in der Ausreißergruppe vertreten

25.04.2024Nys krönt ersten Ausreißversuch der Karriere, Lipowitz Vierter

(rsn) – Ein 21-Jähriger Crossspezialist aus Belgien hat bei der Tour de Romandie (2.UWT) für die nächste Überraschung gesorgt. Thibau Nys (Lidl - Trek) entschied auf der 2. Etappe die erste Berg

25.04.2024Jakobsen gibt Andresen Grünes Licht für den zweiten Etappensieg

(rsn) – Tobias Lund Andresen (dsm-firmenich – PostNL) hat mit dem zweiten Tagessieg in Folge seine Führung in der Gesamtwertung der 59. Türkei-Rundfahrt (2.Pro) ausgebaut. Der 21-jährige Däne

25.04.2024Drei Bergankünfte, Sprints, Windkantengefahr & Teamzeitfahren

(rsn) – Nachdem die Spanien-Rundfahrt im vergangenen Jahr von Torrevieja an der Costa Blanca vorbei an Madrid in den Norden nach Asturien an den Atlantik und zur abschließenden Bergankunft an den L

25.04.2024Zwölf deutsche Profis auf vorläufiger Startliste des Giro d´Italia

(rsn) – Insgesamt zwölf deutsche Profis werden nach aktuellem Stand am 4. Mai den 107. Giro d’Italia in Angriff nehmen, wie aus der vom Veranstalter RCS Sport veröffentlichten vorläufigen Start

25.04.202422 Teams am Start der 3. Tour de France Femmes

(rsn) – Mit insgesamt 22 Teams wird am 12. August im niederländischen Rotterdam die 3. Tour de France Femmes (2.WWT) gestartet. Beim Grand Départ dabei sein werden auch die beiden deutschen Frauen

24.04.2024Highlight-Video der 1. Etappe der Tour de Romandie

(rsn) – Der Franzose Dorian Godon (Decathlon – AG2R La Mondiale) hat sich die 1. Etappe der Tour de Romandie gesichert. Nach 165,7 Kilometern vom Château-d´Oex nach Fribourg, wobei sechs Bergwer

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de Romandie (2.UWT, SUI)
  • Radrennen Männer

  • Gracia Orlová (2.2, CZE)
  • Tour de Bretagne (2.2, FRA)
  • Tour of the Gila (2.2, USA)