Vor sieben Jahren starb José Maria Jimenez

Drogen und Depressionen töteten „el Chaba“

Von Guido Scholl

06.12.2010  |  (rsn) - Heute vor sieben Jahren ist der spanische Radprofi José Maria Jimenez gestorben. Sein Tod war für die Fans ein Schock – eigentlich hatte Jimenez ein Comeback angekündigt. Wir erinnern an den Kletterstar, der den Spitznamen „el Chaba“ („der Bengel“) trug.

Auch wenn Jimenez nie eine Tour de France-Etappe gewonnen hat, so ist der Spanier aus El Barraco den Beobachtern der Szene als einer der besten Bergfahrer seiner Generation in Erinnerung geblieben. Und diese Generation hatte nicht eben wenige starke Kletterer: Außer Roberto Heras, Fernando Escartin und Richard Virenque war auch Marco Pantani zeitgleich mit Jimenez aktiv. Vergleiche der beiden exzentrischen Profis bieten sich nicht nur an, weil beide ständig attackierten, sobald die Straße zu steigen begann: Pantani starb am 14. Februar 2004 nur drei Monate nach „el Chaba“, acht Tage zuvor hätte der Spanier seinen 33. Geburtstag gefeiert. Pantani wurde 34 Jahre alt.

In beiden Fällen machten schnell Gerüchte um psychische Probleme und Drogenkonsum die Runde. Wie Pantani soll auch Jimenez unter anderem Kokain in großen Mengen konsumiert haben, hinzu seien Alkoholexzesse gekommen. Offiziell starb „el Chaba“ an Herzversagen – viel mehr ist nie ans Licht gekommen. Seine überragenden Leistungen am Berg stellt dies möglicherweise eine Spur zu sehr in den Schatten. Zeit, die spektakuläre Laufbahn des vierfachen Bergkönigs der Vuelta a Espana wieder ans Licht zu bringen.

Jimenez’ Stern ging im Jahr 1997 auf. Er war bereits seit 1993 Radprofi, fuhr bis 1996 beim Team Banesto als Helfer für den großen Miguel Indurain. 1997 reiste die Equipe mit Abraham Olano an der Spitze zur Tour de France. In dessen Schatten kletterte Jimenez auf Platz acht in der Gesamtwertung, obwohl er häufig auf seinen am Berg schwächelnden Kapitän warten musste. Olano wurde damals hinter Jan Ullrich, Richard Virenque und Marco Pantani immerhin Gesamt-Vierter.

Wenige Wochen später landete Jimenez bei der Spanien-Rundfahrt seinen ersten großen Coup. Ohne auf einen Kapitän Rücksicht nehmen zu müssen, attackierte er so lange, bis er in Los Angeles de San Rafael endlich eine Etappe für sich entscheiden konnte. Im Sprint hängte er damals Pascal Richard, Roberto Heras und Daniel Clavero ab. Am Ende der Rundfahrt gewann der Kletterer auch erstmals die Bergwertung der Vuelta.

1998 kam Jimenez wieder mit Banesto und an der Seite von Olano zur Frankreich-Rundfahrt. Die Mannschaft stieg – wie die anderen spanischen Teams auch – bei der Skandal-Tour wegen der anhaltenden Polizeikontrollen aus dem Rennen aus. Dennoch sollte es im Spätsommer zum Duell Jimenez vs. Olano kommen, das eigentlich keines hätte sein dürfen. In etwa gleich stark, kämpften sie für Banesto um den Vuelta-Sieg. Olano hatte deutliche Vorteile im Kampf gegen die Uhr, Jimenez war dem Straßenweltmeister von 1995 am Berg weit überlegen. Immer wieder heftete sich „el Chaba“ an die Hinterräder von Fernando Escartin und Roberto Heras, die als Kelme-Duo im Gebirge den Kampf mit den beiden Banesto-Stars aufnahmen.

Nur einmal entwischte Heras auf dem Weg nach Avila, ansonsten neutralisierte Jimenez die Angriffe weitgehend. Und er fuhr dabei zu vier Tagessiegen: Den ersten schnappte sich der Mann aus El Barraco am Alto de Cati, wo er dem zuvor ausgerissenen Lance Armstrong das Nachsehen gab. Auch die Bergwertung war dem Spanier nicht zu nehmen. Nur im Kampf um den Gesamtsieg musste Jimenez Olano im letzten Zeitfahren das Gelbe Trikot überlassen und belegte Rang drei der Abschlusswertung.

Zur neuen Saison wechselte Olano als frischgebackener Zeitfahrweltmeister das Team. Angeblich aus Ärger über Jimenez’ Fahrweise in den Bergen der Vuelta, wobei Experten damals schon vermuteten, dass Olano die Rundfahrt nicht gewonnen hätte, wenn Jimenez an den Anstiegen mit den beiden Kelme-Fahrern koaliert hätte, anstatt nur an deren Hinterrädern zu „kleben“. Im dem Fall hätte Escartin wohl zu viel Zeit herausgefahren, als dass Olano ihn im Kampf gegen die Uhr noch hätte einholen können.

1999 entschied sich Jimenez dafür, den Giro und die Vuelta zu fahren. Der Tour blieb er fern. In Italien stilisierten die Medien das Aufeinandertreffen mit Pantani zum "Gipfel der Kletterkönige" hoch. Das Duell war allerdings nur bei der ersten schweren Bergankunft spannend. Lange konnte Jimenez am Gran Sasso d’Italia bei Pantani bleiben, wurde allerdings als letzter Kontrahent vom „Piraten“ noch um 23 Sekunden distanziert. Anschließend verschwand Jimenez aus dem Rampenlicht und ließ lediglich am Mortirolo am vorletzten Tag des Giro seine Klasse erneut aufblitzen. Für den Tagesieg reichte es indes nicht. Pantani war da bereits wegen eines zu hohen Hämatokritwertes vom Giro ausgeschlossen worden.

Bei der Vuelta 1999 sahen die Fans wieder den ganz großen Jimenez. Platz fünf in der Endabrechnung und Bergtrikot Nummer drei gingen auf sein Konto. Gesamtsieger wurde ein gewisser Jan Ullrich. Legendär ist bis heute „el Chabas“ Etappensieg am erstmals gefahrenen Alto de el Angliru. Am damals steilsten aller Radsportgipfel sah Pavel Tonkov lange Zeit wie der sichere Sieger aus, ehe sich Jimenez zweieinhalb Kilometer vor dem Ziel von seinem Wegbegleiter Heras löste und zur Aufholjagd blies. Am Ende der Steigung stellte der Spanier den Russen und hängte ihn in der kurzen Abfahrt zum Ziel ab. Jimenez hatte davon geträumt, Allererster auf dem Angliru zu sein. Und er machte diesen Traum war.

Es folgte ein schwieriges Jahr 2000. Im Juni deutete er noch Bestform an, als er das französische Eintagesrennen Classique des Alpes und die Katalonien-Rundfahrt gewann. Bei der Tour sollte Jimenez anschließend Etappensiege für Banesto einfahren und Alex Zülle im Kampf um die Podestplätze unterstützen – mit der Option auf ein eigenes Top-10-Resultat wie drei Jahre zuvor. Auch das Bergtrikot sollte ein Thema sein. Es kam anders.

Bei der ersten Bergankunft in Hautacam musste Jimenez dem entfesselten Lance Armstrong desillusioniert hinterher blicken. Auf dem Weg zum Mont Ventoux entschied er sich für eine frühe Fluchtgruppe, die zu wenig Vorsprung mit in den Schlussanstieg nahm. Besser lief es bei der Zielankunft in Courchevel, doch auf dem letzten Kilometer kam Marco Pantani von hinten an den bis dahin führenden Jimenez herangeflogen und zog an ihm vorbei. Das letzte Duell mit dem „Piraten“ endete wie das Treffen beim Giro 1999.

Die Spanien-Rundfahrt musste „el Chaba“ in jenem Jahr verletzungsbedingt auslassen. Auch in der ersten Saisonhälfte 2001 blieb es weitgehend ruhig um den Kletterstar. Wie Phoenix aus der Asche meldete sich Jimenez bei der Vuelta 2001 ein letztes Mal in der Weltelite zurück. Drei Etappensiege und das vierte Bergtrikot standen in seiner Bilanz. Und es hätte noch mehr herausspringen können.

An jedem Schlussanstieg war Jimenez in der Lage, den anderen starken Rundfahrern Zeit abzunehmen. Peu a peu schob sich der vor den Bergen zurückgefallene Banesto-Mann in den Top 10 nach vorn, bis das Goldtrikot in Reichweite kam. Jimenez siegte sogar im Kampf gegen die Uhr – allerdings bergauf nach Andorra Arcalis. Doch dann folgte ein unerklärlicher Einbruch auf dem Weg zum Alto de Aitana. Der Kletterer büßte rund zehn Minuten ein, das Podest verschwand endgültig aus dem Blickfeld.

In seinen besten Jahren war Jimenez’ einziger echter Dauerrivale sein Landsmann Roberto Heras. Diesen beiden „Bergziegen“ wurde eine Intimfeindschaft nachgesagt. Zwar hat Heras mit seinen drei verbliebenen Vuelta-Siegen – der vierte wurde ihm wegen Dopings aberkannt - und mehr noch mit seinen starken Auftritten in der Tour das gewichtigere Palmares erklettert. Doch im direkten Vergleich zumindest bei der Spanien-Rundfahrt behielt Jimenez am Berg stets die Nabe vorn.

Lediglich seine Zeitfahrqualitäten verhalfen Heras – ausgenommen das Jahr 1998 – zu besseren Gesamtplätzen. Eigentlich eine Ironie, denn während Heras die typische knorrige Kletterer-Statur hatte, wirkte Jimenez eher wie ein kompletter Rennfahrer, der mit Kraft aus den Hüften arbeitete. Doch „el Chaba“ liebte die Berge, deshalb trainierte er vor allem auf diesem Terrain. Zunächst mit Erfolg.

Ein Schritt hin zur Perfektion schien ihm ausgerechnet bei seinem letzten Vuelta-Tagessieg, als er das Bergzeitfahren in Andorra gewann, gelungen zu sein. Optimisten sagten für 2002 Jimenez’ Vuelta-Triumph voraus. Doch es kam wieder anders und endete tragisch.

Dass Jimenez nur gut zwei Jahre nach seinen letzten Siegen bei der Spanien-Rundfahrt verstarb, schockte die Beobachter. Tausende Radsportfans gaben dem Bergkönig im Dezember 2003 das letzte Geleit. Er wurde als „einer vom alten Schlag“ gewürdigt. Kein Geringerer als Miguel Indurain bezeichnete seinen einstigen Wegbegleiter so, weil dieser taktische Zwänge ablehnte und lieber Mann gegen Mann um Siege und Sekunden kämpfte.

Den größten Kampf – den gegen Depression und Drogensucht – hat „el Chaba“, „der Bengel“, verloren.

Mit Frank Vandenbroucke verstarb im vergangenen Jahr ein weiterer Ausnahmekönner jener Generation unter ähnlichen Umständen wie José Maria Jimenez und Marco Pantani. Hinter vorgehaltener Hand wurde früh ein Zusammenhang zwischen Doping und Drogensucht hergestellt. Es sieht so aus, dass die Passion Radsport diesen Dreien zum Verhängnis wurde.

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