160 km entlang der früheren DDR-Grenze

Im Grenzbereich: Mit dem Rad auf dem Berliner Mauerweg

Von Gunnar Fehlau

Foto zu dem Text "Im Grenzbereich: Mit dem Rad auf dem Berliner Mauerweg"
Die Autobahn-Raststätte am ehemaligen Grenzübergang Dreilinden | Foto: pressedienst-fahrrad

09.11.2016  |  Heute vor 27 Jahren fiel die Mauer zwischen beiden deutschen Staaten, und vor zehn Jahren wurde der Berliner Mauerweg fertig gestellt. Gunnar Fehlau vom pressedienst-fahrrad befährt aus diesem Anlass mit zwei Freunden den 160 Kilometer langen Rundkurs, der wie kaum ein anderer Weg innerdeutsche Geschichte symbolisiert.

Zeitgeschichte tief einatmen, an jeder Ecke, auf jedem Kilometer: Der Berliner Mauerweg steht für die frühere Teilung Deutschlands. Auf alten Zollwegen führt die 160 Kilometer lange Strecke entlang der ehemaligen DDR-Grenzanlagen vorbei an historischen Gebäuden und Mauerresten – so wird Geschichte erlebbar.

Doch kaum ein Tourist wagt sich im Winter

auf den geschichtsträchtigen Weg. Auch wir, Thomas, Kay und ich, ernten für unser Vorhaben, einen Fahrradausflug entlang des Mauerwegs mitten im Januar, nur Kopfschütteln und ungläubige Kommentare. „Mit dem Rad - ick glob, ick spinne“, meint der Hotelier beim Einchecken.

Zum Start haben wir uns ein Hotel am Wannsee gesucht. Der Plan: Wir umrunden Berlin auf dem Mauerweg, und das in zwei Tagen, also an einem Wochenende, bei Schnee und Eis. Am Ende des ersten Tages werden wir die Ikonen der Teilung und des Widerstandes gesehen haben, und etwa 80 Kilometer geradelt sein. Dann nehmen wir die S-Bahn quer durch die Stadt zurück zum Hotel. Damit sparen wir uns das Übernachtungs-Gepäck.

Für den zweiten Tag haben wir uns den Rest
der insgesamt 160 Kilometer langen Tour vorgenommen. Damit uns die Strecke leichter von der Hand geht, fahren wir mit elektronischer Unterstützung: „Smiles and Miles“, lautet das Motto. Thomas und ich sitzen auf E-MTBs von Flyer, Kay rollt auf einem Fatbike von Felt.

Der Mauerweg ist gut beschildert, also konzentrieren wir uns ganz auf die Ausrüstung. Unser Gepäck, besonders die empfindliche Fotoausrüstung, verschwindet in wasserdichten Ortlieb-Rucksäcken und Rahmentaschen von "Revelate Designs".

Gut gelaunt schwingen wir uns auf die E-Bikes.

Thomas macht sich mit der Motorsteuerung vertraut, während Kay die Fotoausrüstung samt Stativ auf dem Fatbike verstaut. Ich übernehme die Navigation. Die gestaltet sich auf den ersten Metern bis zum eigentlichen Mauerweg hakelig.

Wir drehen ein paar Mal um, und erklimmen schließlich schiebend einen Wall, bevor sich vor uns die berühmte Autobahn-Raststätte am ehemaligen Grenzübergang Dreilinden erhebt. Seit 1973 war der riesige knallrote Pop-Art-Prachtbau markanter Anlaufpunkt für hungrige Transit-Fahrer und „gleichzeitig aber viel mehr: ein buntes Freiheitsversprechen des Westens, gleich hinter der Grenze, ein knalliger Kontrapunkt zur baulichen Tristesse der DDR“, wie der Tagesspiegel schrieb.

Wir pedalieren – oder sollte ich pedelecken sagen? –

südwärts über den menschenleeren Platz: Vom historischen Trubel und Touristen keine Spur. Wir sind allein mit einer Million Schneeflocken, die hier zu Grabe schweben. Denn noch liegt Schnee, doch der Wetterbericht hat für heute steigende Temperaturen angesagt.

Je älter der Tag wird, desto wärmer wird er werden. Gestartet sind wir bei minus zwei Grad Celsius. Es ist aber feucht in der Luft, und der Schnee beginnt pappig zu werden. Die „Jumbo Jim“-Reifen des Fatbikes wabern unbeeindruckt über den Schnee, meine „Hans Dampf“ von Schwalbe gleiten durch den Schnee bis auf den harten Asphalt, wie ein Messer durch warme Butter.

Am Ende der Zollstation klettern wir eine vereiste Treppe

hinauf, und biegen ostwärts ab auf die Königsweg-Brücke. Von nun an ist die Navigation denkbar einfach: Wir sind auf dem offiziellen Mauerweg, und der ist bestens beschildert. Was bleibt, ist Einsamkeit. Bei diesem Wetter geht nur vor die Tür, wer muss.

Und wir radeln! Uns stehen noch gute fünf bis sechs Stunden Pedalieren, Pausieren und Fotografieren bevor. Wir schlagen ein paar Haken in Wohnvierteln, und landen plötzlich zwischen Feldern, Ponyhöfen und kleinen Wäldchen. Der Mauerweg verläuft auf langen Geraden mit fast ausnahmslos rechtwinkligen Kurven. Im frischen Schnee nur wenige Fußspuren und keine Reifenabdrücke.

Wir betreten Neuland. Es ist menschenleer.
Uns steht die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Keiner hätte diese Ruhe, dieses Nichts, so viel Natur in einer Millionenstadt erwartet. Es ist so verdammt „un-berlinisch“ hier. Keine asiatischen Selfie-Stick-Horden, und auch vom pinken oder politischen Berlin ist nichts zu sehen.

Die Berliner Peripherie ist ländlich, schlimmstenfalls provinziell. Und das ist gut so! Denn so macht sie richtig Spaß. Anders als im Zentrum grüßt man sich freundlich. Verständlich, kommt ja nicht oft vor. Ist ja wenig los!

Wir widmen uns weiter dem fotografischen Konzept
dieser Fahrt: Wir wollen sie auf historischen Pfaden mit einer historischen Kamera für eine Reportage im Radkultur-Magazin „fahrstil“ dokumentieren (Anm.: Die Reportage erschien im fahrstil-Sonderheft "Berlin" im März 2016).

Dazu hat Kay eine Praktica MTL mit 50 Millimeter Standard-Brennweite dabei; mit so etwas haben auch die DDR-Grenzsoldaten fotografiert. Festbrennweite und analoge Fotografie im Kleinbildformat, auf einem Schwarzweiß-Film namens Ilford HP5 sind eine Zeitreise in meine Jugend.

Damals, weit im Westen der Republik, war Berlin

sehr weit weg. Bis zur Wende waren die vielfach kopierten Kassetten mit verbotenen Ärzte-Liedern meine einzige Schnittstelle zum Dicken B.

Wir pedalieren weiter, stets im „Eco-Modus“. Bei aller Euphorie, die Pedelecs mit ihren Leistungs-Potenzialen verbreiten, ist es für den halbwegs trainierten Radler nach wie vor so, dass seine Beine den Akku deutlich überleben. Zwar macht der Turbo-Modus richtig Feuer, doch auf langen Touren zieht das Pedelec den Kürzeren. Wir kurbeln die Reichweite optimierend.

Irgendwann auf jeder längeren Rad-Tour kommt
die Warum-Frage. Warum man macht das? Was soll das eigentlich? Auf der weiträumigen Umfahrung von Großziethen ereilt es mich: Der Wind nimmt zu, der Schnee ist schwer und zu einem nicht unerheblichen Teil flüssig in meine Schuhe gelaufen. Kurz: Mir ist kalt, ich bin müde, ich habe Hunger und einen ordentlichen Kaffee hatte ich den ganzen Tag noch nicht – was mache ich hier eigentlich?

Meine beiden Mitfahrer ahnen noch nichts von meiner erodierenden Motivation. Ich komme ins Grübeln. Der Berliner Mauerweg ist das letzte Stück ehemaliger innerdeutscher Grenze, das ich noch nicht mit dem Fahrrad erkundet habe. Es hat sich einfach noch nicht ergeben. Der Mauerweg steht halt wie Ötztaler, Mont Ventoux und was weiß ich noch auf meiner Liste der 777 Dinge, die ich noch vor meinem Ableben tun wollte.

Also ein guter Grund, ihn zu fahren. Aber ein hinreichender,
um das mitten im Winter zu tun? Ich bin durch! Und damit bin ich nicht allein! Thomas ist ziemlich alle, und auch Kay fröstelt. Es ist vier Uhr nachmittags, und die Sonne nimmt langsam Abschied. Gute Fahrfotos entstehen heute ohnehin nicht mehr.

Das Handy holt uns zurück ins Jahr 2016: Mit ein paar Wischern ist unser Standort lokalisiert, und die Heimreise per BVG organisiert. Kaum eine Stunde später genießen wir die Annehmlichkeiten des Hotels, mitsamt einem kühlen Bier, vor einem sehr frühen, aber wohlverdienten Abendessen.

Bleibt die Frage: Ziehen wir die verbliebenen 100 Kilometer

morgen in einem Rutsch durch? Wir entscheiden uns fürs Hotspot-Hopping: Die Glienicker Brücke erreichen wir noch bequem vom Hotel aus. In die Innenstadt mit Brandenburger Tor, Reichstag, Checkpoint Charlie und East Side Gallery shutteln wir mit dem Auto, vor Ort wird geradelt.

Wie man das eben auf einer Städtereise so macht. Was bleibt, ist der unverrückbare Vorsatz, den Berliner Mauerradweg noch zu komplettieren. Vielleicht im nächsten Winter – oder doch im Sommer?

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