Analyse des Scheiterns erst nach dem Straßenrennen

Martin: Im Rückenwind Fokus, Rhythmus und die Moral verloren

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Tomy Martin wurde im WM-Einzelzeitfahren nur enttäuschender Siebter. | Foto: Cor Vos

24.09.2015  |  (rsn) - Am Ende blieb nichts als tiefe Ratlosigkeit! Niemand konnte sich den dramatischen Einbruch von Top-Favorit Tony Martin in Richmond erklären. Zum ersten Mal seit 2008 und nach dreimal Gold in Folge zwischen 2011 und 2013 sowie Silber 2014 verpasste der Eschborner das Podium im Einzelzeitfahren einer Straßen-Weltmeisterschaft.

Martins siebter Platz bedeutete gleichzeitig das schlechteste Zeitfahrergebnis des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) seit 2005, als Sebastian Lang und Michael Rich nur Achter bzw. Zehnter geworden waren. Außerdem ist es seit 1921 erst die sechste WM überhaupt ohne deutsche Medaille (1996,97,98, 2004, 05) im Zeitfahren der Männer.

Auch  Martin selber konnte nicht erklären, was ihm auf der 53,5 Kilometer langen Strecke widerfahren war, die ihm auf den Leib geschneidert schien. „Sicher ist die Enttäuschung zu 100 Prozent da. Für mich ist aber jetzt viel wichtiger, was überhaupt passierte und was zu diesem Rennablauf geführt hat", meinte der direkt nach dem Rennen. So viel wusste der 30-Jährige aber zu sagen: „Das ist mit Sicherheit eines der schlechtesten Zeitfahren, das ich in den letzten fünf bis sechs Jahren gefahren bin. Und da steht erstmal nicht das Ergebnis im Vordergrund, sondern wirklich die Analyse und die große Frage, was heute passiert ist."

Seinen auf der 6. Etappe der Tour de France im Gelben Trikot erlittenen Schlüsselbeinbruch wollte er nach der „schmerzfrei und problemlos"  verlaufenen Vorbereitung überigens nicht als Ausrede gelten lassen.

Nach einem zufriedenstellenden Start verwandelte sich seine Zuversicht schnell in pure Verzeiflung. „Ich habe mich auf den ersten acht Kilometern recht gut gefühlt. Das war ein Bereich, wo man wirklich mit der Power spielen konnte und der Wind doch etwas von vorne kam", erklärte er. Doch dann nahm das Drama seinen Lauf.

„Aber nach acht Kilometern, nach einer Rechtskurve, gab es Rückenwind. Ab da konnte ich mit dem hohen Speed nicht mehr umgehen", schilderte der Zeitfahrspezialist, wie sein Traum vom vierten Gold und damit die Einstellung des Rekordes von Fabian Cancellara (Schweiz)  platzte. „Ich hatte dann durchweg 55-60 km/h auf der Uhr und irgendwie den ganzen Rhythmus verloren und mich über den hohen Speed kaputtgefahren. Ich verlor komplett den Fokus, den Rhythmus, die Moral und sah dann nur noch zu, dass ich irgendwie ins Ziel komme. Warum, kann ich bis jetzt nicht erklären", so ein konsternierter Martin.

So sehr er auch kämpfte, nach der Hälfte des Rennens war ihm klar, dass Gold immer mehr aus der Reichweite entschwand. „Ich habe versucht, bis zur Hälfte des Rennens meinen Rhythmus zu halten. Ich hatte zwar gemerkt, dass ich schon Kraft verloren habe, aber ich dachte, wenn ich den Rhythmus halte, finde ich ins Rennen zurück."

Es blieb ihm die Hoffnung, dass die schon enteilten Gegner noch einen Einbruch erleiden würden. „Ich hatte natürlich die Zwischenzeiten, dachte, dass einige es sehr schnell angegangen sind und über die 53 Kilometer irgendwann eingehen. Allerdings habe ich über die Zwischenzeiten auch zum Ende hin gemerkt, dass ich konstant an Boden verlor", sagte der Deutsche Zeitfahrmeister.

Für den erfolgsverwöhnten Profi begann die Leidenszeit: Martin: „Wenn der Zug einmal abgefahren ist, fällt es extrem schwer, noch mal annähernd ans Limit oder in den Roten Bereich zu gehen. Ich habe dann nur noch versucht, irgendwie ins Ziel zu kommen. Ich war mental  komplett neben der Spur."

Als er endlich das Ziel erreichte - und nur auf Rang sieben geführt wurde- , war er wie alle Experten von der Medaillenvergabe überrascht. „Das sind sicherlich nicht unbedingt die Namen, die man erwartet hat. Sicherlich waren Kiryienka und Malori schon im Bereich, wo man gesagt hat, dass die ums Podium mitfahren. Aber dass sie wirklich ganz vorne ankommen, und dann auch noch ein Jerome Coppel, den man nicht unbedingt auf der Rechnung hatte, auf Platz drei fährt, das ist komplett unerwartet - zumal es ja doch einige andere Favoriten gab."  Martin tröstete dabei auch nicht „dass auch andere Favoriten anscheinend mit dem Kurs nicht ganz so gut klargekommen sind."

Nach dem für ihn so niederschmetternd verlaufenen Zeitfahren ging Martin mit der in Richmond anwesenden Familie Essen. Ab heute beginnt für ihn die Vorbereitung auf das Straßenrennen, wo seine Teamkollegen John Degenkolb und André Greipel zu den Madaillenkandidaten zählen.

„Sicherlich werde ich erstmal 24 Strunden brauchen, um das Ganze zu verarbeiten, aber wenn ich dann mit der Mannschaft zusammen bin, bin ich sicher, dass mich das gut ablenken wird und der Sonntag erstmal im Fokus steht. Aber danach muss die Analyse erfolgen, was im Zeitfahren passierte", kündigte Martin an.

 

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