Siegfried Fröhlichs Sportrechtsblog

Armstrong über Komplizenbetrug gestolpert?

Von Siegfried Fröhlich

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Sportrechtler Siegfried Fröhlich | Foto vom Autor

24.08.2012  |  (rsn) - „Ex-Teamkollegen belasten Armstrong schwer“ – so war es Anfang Juli im Internet zu lesen. George Hincapie, Floyd Landis und andere ehemaligen Kollegen sollen gegenüber der amerikanischen Anti-Doping Agentur USADA den Texaner des Dopings bezichtigt haben. Hincapie soll dabei von einer Kronzeugenregelung Gebrauch gemacht haben: Da er auch eigenes Doping gestand, habe er nun auch eine reduzierte Sperre von sechs Monaten zu erwarten – und zwar nach Ende seiner Karriere.

Als ich diesen Bericht las, musste ich an eine Vorlesung zu Beginn meines Studiums denken. Es ging um die Strafbarkeit des sogenannten Komplizenbetruges. Was das ist, erklärt folgender Fall: Autohändler A stiftet den Dieb D an, einen 5er BMW zu stehlen. Vom Verkaufserlös verspricht A dem D einen Anteil von 50 Prozent. D stiehlt das Auto und liefert es dem A. Der wiederum verkauft das Auto selbst für 20.000 EUR, erzählt dem D aber, der Verkaufserlös habe bei 10.000,00 EUR gelegen und zahlt dem D dessen Anteil von 5.000 EUR aus. Hat A den D nun betrogen oder nicht? Kann D den A auf Zahlung der restlichen 5.000 EUR verklagen? Hierüber streiten Juristen seit fast einem Jahrhundert.

Heute, ein paar Wochen später, erklärt Lance Armstrong, dass er sich nicht länger gegen Doping-Vorwürfe aktiv verteidigen werde.

Ich habe Lance Armstrong nie sonderlich gemocht. Hätte man mir gesagt, dass er an einer Weltverschwörung arbeiten würde: Es hätte mich nicht gewundert. Natürlich hat es mich auch geärgert, dass er Jan Ullrich immer wieder stehen ließ. Als er 2004 Andreas Klöden in Le Grand-Bornand einen für’s Gesamtklassement wertlosen Tagessieg im Sprint entriss, war ich mir sicher, dass Armstrong die Verkörperung des Bösen sein müsste.

Ich gehöre also sicher nicht zu „Lance & Friends“. Doch ist es wirklich mutig, ist es gar moralisch, wenn George Hincapie als Kronzeuge gegen Lance Armstrong in den Ring trat? Ist das die Selbstreinigung des Radsports, die von der Presse stets gefordert wird?

Bereits seit Jahren kritisiere ich das Strafsystem im Sport. Um meine Kritik zu verstehen, möchte ich kurz das Strafsystem im staatlichen Recht erklären. Wird ein Dieb vor Gericht schuldig gesprochen, geht ein Richter bei der Strafzumessung zunächst von einer mittleren Strafe aus. Dann prüft er, ob Gründe zur Verschärfung oder zur Milderung der Strafe vorliegen. Ein Geständnis des Täters zeugt dabei von Reue und muss die Strafe mindern.

Auch den Kronzeugen kennt das deutsche Strafrecht. Wenn bei schweren Straftaten (beispielsweise Hochverrat, Mord, etc.) ein Täter zur Aufklärung einer anderen Straftat beiträgt, kann dessen Strafe gemildert werden. Die Regelung wurde geschaffen, um Mitglieder des organisierten Verbrechens zum Ausstieg aus der Szene zu bewegen.

Im Sportrecht hingegen wird das Geständnis in eigenen Angelegenheiten nicht strafmildernd berücksichtigt. Belohnt wird nur, wenn man das Doping anderer „aufdeckt“. Wen wundert es dann, wenn ein Sportler Doping trotz positiver Probe bestreitet?

Als wäre dies nicht schon sinnlos genug, setzt die Kronzeugenregelung im WADA-Code dem Schwachsinn meines Erachtens die Krone auf: Der einen Dritten belastende Täter soll Strafverkürzung erhalten, um wieder schneller in das System hineinzukommen, dass er zuvor angeschwärzt hat. Das Wehklagen von Jörg Jaksche über eine erfolglose Teamsuche und die damalige Unterstützung weiter Teile der Presse sind für mich heute noch unverständlich. Zunächst belastet ein Kronzeuge andere Sportler, Team-Manager und im Radsport tätige Ärzte - und wundert sich anschließend, warum ihn die „Familie“ nicht mehr aufnimmt?

Doch zurück zu Hincapie. Dieser war bekanntlich bei allen Tour-Siegen Armstrongs als dessen Edelhelfer mit an Bord. Sicher war und ist Hincapie ein sehr guter Radprofi. Doch man muss kein Hellseher sein um zu erkennen, dass Hincapies Lohn-Situation sich proportional zu Armstrongs Erfolgen verhielt. Ich bin mir sicher, dass es ohne Armstrongs Tour-Siege nach 1999 kein US Postal-Team gegeben hätte. Gleiches gilt für das Team Discovery Channel.

Armstrong fuhr zudem Millionen an Prämien ein, auf die er selbst zugunsten seiner Helfer wie Hincapie verzichtete. Schließlich nahm Armstrong seine Entourage zu Nachtour-Kriterien mit, wo seine Helfer die Gage durch die Nähe zu Armstrong wohl selbst bestimmen konnten. Die Vorteile, die ein George Hincapie dadurch genoss, lassen sich selbstverständlich schwer beziffern. Doch bin ich mir sicher, dass es sich um einen deutlichen siebenstelligen Euro-Betrag im Laufe der Jahre handeln dürfte.

Wenn die Berichterstattung über Hincapie wirklich stimmte, machte er nun also reinen Tisch. Die Bestrafung fällt „hart“ aus: Gerade die deutsche Presse lobt seinen Mut, er darf bei der diesjährigen Tour de France den Teilnahme-Rekord aufstellen und wird nach Ende seiner Karriere für ein halbes Jahr gesperrt. Eine Absicht, seinem früheren Kapitän Armstrong wenigstens die Prämien zu überlassen, ist nicht überliefert.

Bei allem Verständnis für den Dopingkampf, bei allen Zweifeln an der Sauberkeit von Lance Armstrong: Aber ich persönlich finde das Verhalten seiner ehemaligen Entourage und seiner jetzigen Widersacher für moralisch nicht vertretbar. Handelt es sich hier um eine Art Komplizenbetrug, weil man Armstrongs Geld gerne nahm und dessen Kontakte gerne nutzte, ihm nun aber in den Rücken fällt? Kann Armstrong nun eventuell von ehemaligen Helfern zumindest geschenkte Prämien zurückverlangen? Wahrscheinlich werden diese Fragen die Gerichte dieser Welt nie beschäftigen.

Doch kann ich Armstrong verstehen, wenn er die Welt seiner ehemaligen Freunde nicht mehr versteht und heute angeblich einen Schlussstrich unter seine Verteidigung gezogen hat. In seiner Erklärung gab er an, nicht zu verstehen, dass das Ergebnis von Doping-Proben unwichtiger sei als die Aussagen ehemaliger Mannschaftskollegen. Gerade in diesem Punkt pflichte ich Armstrong bei, auch weil die Identität der Belastungszeugen ihm gegenüber wohl noch nicht offen gelegt wurde. Das ist meines Erachtens so, als ob einer der Klitschkos gegen einen Gegner mit Tarnkappe kämpft. Im staatlichen Recht wäre das undenkbar. „Tarnkappen-Kronzeugen“ hat der Rechtsstaat nicht nötig. Scheinbar aber hat der organisierte Sport sie nötig, der „Tarnkappen-Kronzeugen“ mit dem Recht auf Fairplay begründet; ein zynischer Ansatz, meiner Meinung nach.

Schon allein der Umstand, dass Armstrong der Rekord-Sieger der Tour de France ist, macht es notwendig, dass auch seine Erfolge kritisch geprüft und notfalls sanktioniert werden. Auch ich bin eigentlich davon überzeugt, dass Armstrong nicht sauber gewesen sein kann. Wenn der Zweit-, Dritt- und Viertplatzierte eines Rennens des Dopings überführt wurde: kann dann der Sieger sauber sein? Sind die anderen Fahrer zu doof zu dopen? Oder aber bringt Doping entgegen aller Erwartung sportlich doch nichts?

Aber heiligt der Zweck wirklich alle Mittel? Als überzeugter Rechtsstaatler meine ich: nein.

Erich Mielke nannte die Denunziation ein Zeichen antifaschistischer Wachsamkeit. Dass der WADA- Code derartige „Wachsamkeit“ belohnt, bleibt für mich ein Skandal, der jeden einzelnen Dopingfall übersteigt. Doping wird hierdurch mitnichten bekämpft.


Der Sportrechtler Siegfried Fröhlich schreibt in einem Blog auf Radsport News Stellung über aktuelle und Themen aus dem Radsport.

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