Am 9. Mai vor 19 Jahren

Wegmanns großer Coup mit dem Bergtrikot

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Wegmanns großer Coup mit dem Bergtrikot"
Fabian Wegmann (Gerolsteiner) sicherte sich durch einen Kraftakt am Mortirolo auf der 19. Etappe des Giro d´Italia 2004 den Gewinn des Bergtrikots. | Foto: Cor Vos

09.05.2023  |  (rsn) - Ehe Pascal Ackermann im Mai 2019 das Maglia Ciclamino nach Verona trug und somit die Punktewertung des 102. Giro d'Italia für sich entschied, war es der größte Erfolg, den je ein Deutscher bei der Italien-Rundfahrt gefeiert hatte: Fabian Wegmanns Gewinn des Bergtrikots im Jahr 2004. Auf den Tag genau 19 Jahre ist es nun her, dass die dreiwöchige Odysee des damals 23-jährigen Grand-Tour-Debütanten begann.

Am 9. Mai 2004 spurtete Wegmann am sogenannten Colle di Cadibona nach 47 Kilometern der 1. Etappe als Erster über die Wertungslinie des ersten Bergpreises des 87. Giro d'Italia. Der 23-jährige Deutsche vom Team Gerolsteiner klemmte sich am Ende der immerhin acht Kilometer langen und 423 Höhenmeter überbrückenden Steigung an die Hinterräder des Teams Colombia - Selle Italia und sprintete von dort souverän zum Gewinn der ersten drei Bergpunkte der Rundfahrt, die ihm das Maglia Verde bescherten. Dass er drei Wochen später auch in Mailand dieses Trikot tragen würde, davon träumte Wegmann zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal.

"Ne, überhaupt nicht! Es ging wirklich von Tag zu Tag erstmal. Wir haben lediglich gesehen, dass es auf der 1. Etappe nur diese eine Bergwertung gab, und dachten: 'Okay, is' ja cool - einmal anstrengen und schon kannst Du einen Tag das Trikot tragen", erinnerte sich Wegmann im Jahr 2020 im Gespräch mit radsport-news.com. "Als dann ein kleines italienisches Team die Ausreißer vorher zurückgeholt hat und vor der Bergwertung wie einen Sprintzug für seinen Bergfloh aufzog, habe ich mich an die vierte Stelle gesetzt und bin einfach vorbeigesprintet. Dadurch hatte ich das Trikot und eigentlich war der Giro damit für mich erledigt: sauber, Wertungstrikot für einen Tag, bei der ersten Grand Tour - besser geht eh' nicht!"

 

Fernduell ohne echten Zweikampf

Doch es kam noch viel besser. Wegmann gab das Trikot zwar nur einen Tag später an den Schweizer Alexandre Moos vom Team Phonak ab, doch er sammelte im Verlauf der ersten Rennwoche immer wieder Punkte - entweder als Ausreißer oder auch einfach aus dem Feld heraus dank seines starken Bergaufsprints. "Mariano Piccoli, der das Trikot auch schon zweimal gewonnen hatte, hat mir gesagt: Genau so musst Du es machen: immer wieder ausreißen und Punkte sammeln", erzählte Wegmann.

Auf der 6. Etappe holte er sich das Grüne am Forca dell'Arone, einem Berg der 2. Kategorie, nach 33 Kilometern zurück, tagsdrauf aber musste er die Führung in der Bergwertung in Montevergine di Mercogliano wieder abgeben - an Damiano Cunego (Saeco).

Da Italiens neuer Radsport-Held damals aber auch das Maglia Rosa des Gesamtführenden eroberte, trug Wegmann weiter Grün – zunächst stellvertretend für vier Tage, nach Etappe 11 in Cesena aber wieder auch ganz offiziell. Einer von seinen sechs Ausreißversuchen im Verlauf der drei Wochen brachte ihm dort weitere sieben Punkte und somit die Führung in der Bergwertung zurück. Von nun an entwickelte sich ein spannender Kampf gegen Cunego, der gar kein echter war.

"Er ist eigentlich ja gar nicht aufs Bergtrikot gefahren, sondern hat durch seine Etappensiege auf Bergetappen im Kampf um Rosa die Bergpunkte so mitgenommen", gab Wegmann zu. "Und natürlich muss ich dazu sagen, dass das Punktesystem damals anders und der Unterschied zwischen Bergen der 3. oder 4. Kategorie zu den ganz großen Bergen nicht so groß war in der Bepunktung. Das hat mir geholfen, denn eigentlich konnte ich bei den richtig schweren Bergen mit den Besten nicht mithalten - null Chance. Aber an kürzeren Steigungen war ich schnell."

 

Riesige Enttäuschung auf dem Giro-Dach am Gavia-Pass

Wegmann sammelte also fleißig weiter Punkte und Cunego holte sich quasi im Gleichschritt Bergpunkte auf seinem Weg zum Gesamtsieg. Vor der 18. Etappe stand es schließlich 45:38 für Wegmann, mit dem nächsten Verfolger - Moos - bei 27 Punkten. Es war klar, dass das Trikot nur noch zwischen dem Deutschen und dem Italiener ausgefahren werden würde.

Das 18. Teilstück führte dann von Cles über den Passo Tonale auf das Dach des Giro am Gavia Pass, wo es dank der Ehrenwertung Cima Coppi ganze 20 Punkte zu ergattern gab. Und dann weiter bis zur Bergankunft in Bormio 2000. Wieder einmal schaffte Wegmann den Sprung in die Spitzengruppe und gewann den Bergpreis am Tonale-Pass, wodurch er auf 50:38 erhöhte. Der Gewinn der Bergwertung dieses Giro schien zum Greifen nah. Dann aber kam am Gavia der Mann mit dem Hammer. Wegmann konnte seinen Begleitern nicht mehr folgen und rund einen Kilometer vor der Passhöhe flog die Favoritengruppe um Cunego an ihm vorbei.

"Da gibt es ein Foto vom Gavia, auf dem ich heule", erinnert sich Wegmann. "Ich hatte mir schon ausgerechnet: Wenn Du die Punkte am Gavia holst, dann hast Du das Trikot ziemlich sicher. Aber dann kamen die Tretviecher von hinten und sind mit 20 Mann einen Kilometer vor der Bergwertung an mir vorbeigeflogen. Das war echt bitter." Umso bitterer, weil Cunego die Etappe in Bormio schließlich gewann und plötzlich doch wieder mit 53:50 im Kampf um Grün führte. Wegmann hatte das Trikot nicht nur nicht abgesichert, sondern sogar wieder verloren.

 

Alles auf eine Karte am Mortirolo

Doch der junge Münsteraner gab nicht auf. "Es tat weh. Denn wenn Du es so lange hast, dann willst Du es auch unbedingt bis zum Schluss behalten", berichtete er. "Ich hatte nichts mehr zu verlieren und bin am Tag danach auf der letzten Bergetappe All-In gegangen, um unbedingt in die Gruppe zu kommen." Die Hoffnung hieß Mortirolo. Nach einer Abfahrt von Bormio ging es in den brutal steilen Anstieg, an dem drei Monate nach dem Tod von Marco Pantani ein Bergpreis zu dessen Ehren vergeben wurde.

"Ich musste die Punkte dort irgendwie mitnehmen, also galt für mich nur eins: Das Ziel war dort oben. Auch wenn danach noch 80 Kilometer über zwei weitere Berge zu fahren waren, die würde ich schon irgendwie im Zeitlimit schaffen. Meine einzige Chance war der Mortirolo", erinnerte sich Wegmann. "Zwischendrin war ich von den anderen in der Gruppe schon abgehängt, aber ich habe dann nur noch Vollgas gegeben und kam doch noch als Zweiter oben an." Sechs Punkte brachte ihm das und schon stand es wieder 56:53 für den Giro-Debütanten. Doch der Weg ins Ziel war noch weit, und Cunego brauchte nur vier weitere Punkte.

 

"Als die Bestätigung über Funk kam, das war geil!"

"Es kamen noch zwei Berge - und ich war total tot. Da ging gar nichts mehr", erzählte Wegmann. "Ich habe dann die Gruppe fahren lassen und nach der Abfahrt kamen von hinten sieben Mann zu mir - ohne Cunego. Also dachte ich: Okay, wenn ich denen jetzt helfe und Vollgas fahre, dann kommen sie vielleicht noch über den nächsten Berg vor ihm und nehmen ihm Punkte weg. Also habe ich im Flachen alles gegeben, habe sie so schnell ich konnte in den Berg (Passo del Vivione, Anm. d. Red.) geführt und bin ausgeschert. Irgendwann kam das Feld mit Cunego wie ein D-Zug vorbeigeballert und dann begann eine sehr spannende Zeit. Ich war ständig im Kontakt mit meinem Sportlichen Leiter und habe immer wieder gefragt, ob Cunego vorne dran ist."

Stefano Garzelli (Vini Caldirola - Nobili) gewann schließlich die Etappe vor Gilberto Simoni (Saeco) und Tadej Valjavec (Phonak) - alle drei aus der Gruppe, die Wegmann in den Vivione-Anstieg hineingeführt hatte. Cunego wurde mit 52 Sekunden Rückstand Tagesfünfter, so dass er nur noch einen Punkt sammelte. "Als die Bestätigung über Funk kam, das war echt ein geiler Moment", so Wegmann rückblickend. Er selbst erreichte das Ziel erst 18 Minuten später, doch das war völlig unwichtig. Das Bergtrikot hatte er endgültig gewonnen.

 

Drei Wochen, die Wegmanns Karriere prägten

Sicher: Wegmann war im Jahr 2004 bei weitem nicht der beste Kletterer beim Giro d'Italia. Doch er nahm in Italien am damaligen Eröffnungswochenende der Rundfahrt den Kampf auf und ließ drei Wochen lang nicht locker.

Ihm kam dabei das Punktesystem ebenso entgegen wie die Tatsache, dass die Teams Fassa Bortolo für Sprinter Alessandro Petacchi, der ganze neun Etappen gewann, und Saeco für Cunego und Simoni das Rennen kontrollierten und vielen somit die Motivation nahmen, in eine Ausreißergruppe zu springen. Dadurch wurde es für Wegmann leichter, doch das kann seine Leistung kaum schmälern.

Trotz dreier Deutscher Meistertitel, trotz seiner zwei Siege bei Eschborn-Frankfurt und trotz einigen Tagen im Bergtrikot der Tour de France waren die drei Wochen im Mai 2004 wohl die größte Leistung in seiner Karriere.

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